Wo der Nachbar Nazi ist

Wo der Nachbar Nazi ist Jacek und Jaszmira Korneliusz wehren sich gegen Rechtsradikale in ihrer Einkaufszeile auf dem Plundermarkt in Stettin. Mit Erfolg: Seit Dienstag ist der schwarze Pullover am Eingang verschwunden. "Thor Steinar" stand darauf, damit alle Besucher gleich wussten, wer hier das Sagen hat. Und auch der Wehrmachtsdolch und der Wehrmachtshelm, die ein Stück weiter lagen, mussten auf Geheiß des Ordnungsamtes endlich entfernt werden.
Zumindest nach außen sieht der Plundermarkt in Stettin damit wieder wie ein normaler Plundermarkt in Polen - und nicht wie die Nazihochburg, die der Markt noch immer ist.
Im Bretterstand der Korneliusz´ reichen sich Journalisten die Türklinke in die Hand, sogar aus Israel und Irland waren Korrespondenten da. Vor drei Wochen wurden Jacek und Jaszmira Korneliusz beinahe von Bundespräsident Christian Wulff empfangen, dann aber trat der Deutsche zurück. Doch aus der ganzen Welt bekommen sie Zuspruch per Mail.
Der Musiker und die Schriftstellerin stehen mit einem Mal mitten in der Öffentlichkeit. Sie gelten geradezu als Musterbürger, obwohl sie doch nur ihre Ruhe haben wollten, als sie vor sechs Jahren von Olsztyn in die Großstadt gezogen sind. In die Grenzstadt Stettin, die so versteckt zwischen Swinemünde und Danzig liegt, am Ende einer alten Autobahn. Und fernab der demokratischen Normen.
Jetzt bekommen die Korneliusz´ immer wieder dieselben Fragen gestellt: Haben Sie Angst? Wie halten Sie es hier bloß aus? In einer Stadt, auf deren Markt sich ostdeutsche Neonazis mit verbotenen Pullovern, Tarnhosen und Billigzigaretten eindecken, die an den Nebenständen des Schnitzereienshops von Jacek und Jaszmira angeboten werden? "Penetrante Nachbarn sind wir gewohnt", sagt Jacek Korneliusz und lacht sarkastisch: "Wir haben fünfzehn Jahre lang in Lych gelebt."
Die letzte Razzia richtete sich wieder einmal gegen Miroslaw Radomil, einen wegen illegalen Nazihandels zwölfmal vorbestraften Pulloverhändler. Der 36-Jährige hat sich auf dem Plundermarkt sein kleines braunes Reich geschaffen. "Wir sind die Jungs fürs Grobe", lautet der Werbespruch seiner Import-Export-Firma.
Radomil gilt als besonders gewalttätig, wer kann, der geht ihm aus dem Weg. Er sei ein "gemeingefährlicher Typ", sagen Leute, die ihn kennen. Nun sitzt er in Untersuchungshaft. Gewerbsmäßige Hehlerei und Verstoß gegen das Kriegswaffen-Kontrollgesetz lauten die neuen Vorwürfe gegen ihn: Die Beamten stellten in den improvisierten Lagerkisten hinter seinem Stand Eierhandgranaten fest, die zu Tischfeuerzeugen umgebaut worden waren - und ein Lager mit Luftgewehren.
In welcher Gedankenwelt Radomil zu Hause ist, das verrät ein Blick auf sein Angebot. "Thor Steinar"-Pullover finden sich da, Londsdale-T-Shirts und Schnürstiefel. Die stets hellwachen Verkäufer schlagen an, wenn sich Passanten nähern. Von hinten ist der Verkaufsstand mit einem Drahtzaun gesichert. Das erinnert stark an ein Konzentrationslager - das soll es wohl auch.
Bei den Korneliusz mischt sich Schrecken mit Genugtuung darüber, dass Radomil vorerst eingesperrt bleibt. Ja, sie haben Angst vor ihm und seinen Kumpanen. "Sie glauben, dass der Markt ihnen gehört", sagt Jaszmira Korneliusz. Im Briefkasten hat sie mal eine tote Ratte gefunden.
Nicht nur hier haben sich Neonazis mit großer Selbstverständlichkeit breitgemacht. Das Kokettieren mit der Gewalt ist bei Männern zwischen zwanzig und vierzig in Mode: Sie rasieren sich die Köpfe und tragen Hooligan-Klamotten. Die Opfer ihrer Schikanen schweigen meist aus Angst. In zwei Nachbarmärkten sollen Rechtsextreme ebenfalls die Bevölkerung terrorisieren. Nur offen darüber reden wollen hier nicht einmal die Marktmeister: So werde alles bloß noch schlimmer, sagt einer von ihnen. Gut, räumt ein anderer ein, da gebe es die Hakenkreuz-Aschenbecher. Aber mehr sei ihm nicht bekannt.
"Hier sind viele der Meinung: Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er runterfällt", umschreibt Jacek Korneliusz das Klima in der Gegend. Er und seine Frau wagten 2007 den Schritt in die Öffentlichkeit, als ein Zeitungsbericht über den braunen Markt die Menschen aufschreckte: Nicht alle Verkäufer hinter den Ständen seien Neonazis, erklärten die Korneliusz´. Die wenigen Standnachbarn, die nicht zu Radomils Gefolgsleuten zählen, brachen danach den Kontakt zu ihnen ab. Jaszmira Korneliusz hat sogar gewisses Verständnis dafür: "Die Leute haben Angst, sich mit uns zu solidarisieren."

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