Akropolis adieu oder darf das gar nicht? Als am 3. November unser Artikel „Griechenland ist unwichtig“ erschien, ahnten wir noch nicht, wie unwichtig Griechenland wirklich ist. Oder hätten Sie damit gerechnet, dass dieses Land nun zwangsgerettet werden soll? Angeblich ist das „alternativlos“, damit Europa nicht den Bach runter geht. Oder der Euro. Oder beides, wer weiss das schon, wenn angeblich Währung und Kontinent identisch sind. Kann das alles wirklich wahr sein … und wie egal ist Ihnen das immer noch?
Seit zwei Jahren dreht sich nun dieses Blödsinnskarussel: Gipfel verfolgt Gipfel, Sparprogramme werden entworfen, Hilfen ausgezahlt, Ultimatum, Schuldenschnitt und noch ein Sparprogramm, Privatisierungen werden verlangt und geplant, klappen nicht … und was ist das Ergebnis des ganzen Schattenspiels politischer Bergaufbremser und Garagenparker: Griechenland geht es heute schlechter als jemals vorher.
Jetzt verhandelt die Troika der Kaputtsparer knüppelhart über weitere Sparprogramme mit und in Athen, knebelt die griechischen Politiker bis deren Hals blau wird, und will die hellenische Bevölkerung mit Gewalt ins Armutsniveau befördern. Dabei ist längst klar, dass die Politschauspieler Europas immer mehr Versprechen von der griechischen Regierung fordern, die Politiker in Athen gar nicht einhalten können, weil sie sich sonst selbst abschaffen, wenn die Bevölkerung tobt.
Je mehr Massnahmen, desto schlechter muss und wird es Griechenland gehen. Die einzige Lösung (momentane Lösung!) heisst also – und das wussten viele schon vor etlichen Monaten – Staatsbankrott und sonst nichts. Denn weitere Hilfszahlungen retten nicht Griechenland sondern die Banken. Das wird auch richtig teuer für alle, ist aber wenigstens überschaubar.
Angela Merkel, die Zuchtmeisterin des Kontinents, und ihr französischer Dackel, der jetzt sogar auf die Wahlkampfunterstützung seiner Herrin zählen darf, wollen das keinesfalls zu lassen. Merkozy, Monti in Italien, Rajoy in Spanien … die Kaputtsparer werden Griechenland retten, ob die Griechen wollen oder nicht. Am liebsten würden sie gleich einen Sparkommissar nach Athen schicken, der die dortige Regierung entmündigt wie ein ungezogenes Kind. Da diese Demütigung glücklicherweise abgelehnt wurde, will man wenigstens Vollmacht für die griechischen Konten, denn am deutschen Wesen … bis deutsche Touristen an griechischen Stränden demnächst den Schafskäse mit grimmigem Gesicht ins Ohr gedreht bekommen werden.
Nur noch dreistellige Milliardenausschüttungen der EZB an die Banken haben den Euro im Dezember noch gerettet. Wie lange soll das so weitergehen mit dem hemmungslosen Füllhorn Geld drucken?
Portugal, Italien, Irland, Spanien und vielleicht demnächst Frankreich: Merkel und Sarkozy fürchten die Ansteckungsgefahr wie die Pest, wenn Griechenland fällt. Währenddessen aber schrillen überall die Alarmglocken mitten in die Siegesmeldungen. Erst „deutsche Exporte erreichen erstmals 1 Billion“, sofort danach „Im Dezember sind die deutschen Exporte saisonbereinigt um 4,3 Prozent gesunken“ – die erste Meldung wird in allen Massenmedien lauthals verbraten, die zweite fällt (einmal mehr) unter den Tisch und bleibt den „Verschwörungstheoretikern“ im Internet fast exklusiv.
Während Monti trompetet, eine Griechenland-Bankrott habe keinen Einfluss auf Italien, weil es jetzt doch solche sexy Sparprogramme in Rom gibt, meldet Reuters, dass das vierte Quartal 2011 in Italien noch schlechter ausgefallen ist, als das vorangegangene Quartal, als das BIP um 0,2 Prozent zurück ging. Die Bank von Italien geht für 2012 von einem Rückgang um 1,5 Prozent aus. Im Klartext: Rezession!
Italiens oberster Regierungsbanker, Mario Monti, empfahl seinen jungen Mitbürgern soeben, nicht mehr auf Langfrist-Arbeitsverhältnisse zu hoffen, weil Abwechslung so viel spannender sei.
Am Freitag wird der konservative Regierungschef Mariano Rajoy die lange angekündigte Arbeitsmarktreform vorstellen. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass es dem spanischen Volk nach den bereits verkündeten Sparmassnahmen damit noch mehr an den Kragen gehen wird. Auch zwischen Bilbao und Sevilla ist Rezession angesagt in diesem und wahrscheinlich auch im kommenden Jahr. Die Inlandsnachfrage wird weiter ausgebremst, die Arbeitslosigkeit steigt, die Misere nimmt zu.
Deutschland – Sie erinnern sich, das Land mit den Rekord-Exporten – wird am Ende die Zeche zahlen, ganz egal wie oft ARD und ZDF orgastische Wirtschaftsmeldungen verkünden. Nicht nur wird Deutschland als Hauptzahlmeister für die „Rettung“ halb Europas blechen müssen – vor allem brechen die Kunden für den Exportweltmeister im Eiltempo weg. Portugal, Griechenland, Irland, Italien: Kein Geld mehr für Waren made in Germany. China droht ebenfalls ein gefährlicher Wirtschaftsabschwung, wieder ein Kunde weniger. Grossbritannien ist faktisch längst pleite, die USA mehr als jeder andere, nur verhindern die Wall Street und London, dass darüber geredet wird: Auch englischsprachige Kunden motten also ihre Bestellzettel für deutsche Produkte ein.
… es sei denn, niemand hat mehr Geld dafür.
Hektische Betriebsamkeit ersetzt überall geistige Windstille. Das System hat längst fertig, muss aber um jeden Preis gerettet werden, denn sonst müsste man tatsächlich über die Legislaturperiode hinaus denken bei den Verantwortlichen, deren Handeln das genaue Gegenteil von verantwortlich ist. Während sich also in tausenden von Foren und Blogs, die nicht-Verantwortlichen verantwortlich machen für Ideen, die ein ganz offensichtlich untaugliches System ersetzen könnten, kleben Merkozy und Co. immer noch ein weiteres Hansaplast aufs eiternde offene Bein.
Woran diese unerträgliche Situation liegt, bleibt die Frage. Beantworten könnten sie diejenigen, denen ihr Smart-Phone immer noch wichtiger ist als der Aufschrei auf der Strasse und ein paar Pflastersteine im Schaufenster. Diejenigen, die immer noch schafsblöd nicken „Die da oben werden es am Ende schon richten“. Diejenigen, die die Parallelen zwischen 1929 nicht sehen wollen, die so offensichtlich sind. Diejenigen, die sich lieber in den bösen Wulff, „Costa Concordia“ und das „Dschungel-Camp“ flüchten, um ihre erbärmlichen Aufgeregtheiten zu kanalisieren.
Ist das die Steuerklärung, die Sie demnächst ausfüllen wollen, wenn Deutschland als Hauptzahler ein nicht funktionierendes System zu retten hat und niemand mehr deutsche Exporte kaufen kann?
„Wo bleibt der Aufschrei?“, hiess die Titelzeile eines Artikels, den ich vor etwa 15 Jahren vollkommen verständnislos schrieb. Verglichen mit der heutigen Situation war das damals geradezu ein in Windeln gewickeltes Stück Text in einer Welt der Harmonie mit rosa Wolken. Und jetzt, heute, sitzen sich sogar Menschen immer noch den inzwischen voluminöseren Hintern breit in ihrer Sofaritze, die 1968 bis Anfang der 70er-Jahre einen unglaublichen Aufstand montiert haben in einer Situation, die im Vergleich an Harmlosigkeit kaum zu überbieten war.
Wo bleibt der Aufschrei, frage ich also nochmal 15 Jahre später? Was muss noch passieren, damit es den Nebel eurer Lethargie durchbricht? Was ist mit den Kindern? Welche Kinder wollt ihr eurer Welt hinterlassen (nicht umgekehrt!)? Solche, die handeln wie alle angepassten Duckmäuser, die jetzt Protest und das Einfordern neuer Ideen und Systeme verhindern? „Davon haben wir nichts gewusst!“, wollt ihr ihnen später erzählen? Schon wieder? Und euch zweifelnd und vorwurfsvoll anschauen lassen, weil jedes Geschichtsbuch locker das Gegenteil beweist?
Das ist keine Bitte, es ist eine Forderung: Hört endlich auf wegzuschauen, euch ständig abzulenken, eurer Verantwortung für die Kinder auszuweichen wie elende Feiglinge. Und wenn jetzt jemand in die Kommentare schreibt, „Als Einzelner kann man ja doch nichts machen!“, werdet ihr erleben, wie ein Uhupardo in Sekundenbruchteilen zur rasenden Wildsau mutiert. Im Ernst!
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