Wo bleibt bloss mein Verständnis?

Neulich unterhielt ich mich mit jemandem darüber, wie schwer wir uns damit tun, zu verstehen, was einen Menschen dazu treibt, sich vegan zu ernähren. “Ich meine, ein Leben so ganz ohne Käse und Eier, das kann ich mir schlicht nicht vorstellen”, sagte ich und plötzlich kam mir das, was ich sagte, ganz bekannt vor. “Ich meine, ein Leben so ganz ohne Steaks und Würste, das kann ich mir schlicht nicht vorstellen…” Wie oft habe ich diesen Satz gehört, seitdem ich als Zehnjährige dem Fleisch abgeschworen habe? 

Fleisch hatte ich noch nie besonders gerne gegessen, erst recht nicht, als die Schafe, die wir mit der Schoppenflasche aufgepäppelt hatten, auf dem Teller landeten. Als wir mit der Schulklasse den Jägern einen Besuch abstatteten, standen da Eimer voller Blut herum und das gab mir den Rest. Damit begann der Kampf ums Verständnis. “Das machst du nur, um aufzufallen”, behaupteten die einen, “Das ist total ungesund”, die anderen, “Das ist nur eine Phase”, die Dritten. Es war keine Phase und nur um Aufmerksamkeit zu bekommen, zog man sowas in den frühen Achtzigern nicht durch. Da galt man nämlich noch als unglaublich schüchtern, wenn man beim Metzger die Wurstscheibe dankend ablehnte und bekam deshalb gleich zwei. Im Ferienlager wurde man als “schnäderfrässig” beschimpft, wenn man auf Fleisch verzichtete und es konnte durchaus vorkommen, dass ein sadistisch veranlagter Lagerleiter einen dazu zwang, einen Landjäger runterzuwürgen, weil “gegessen wird, was auf den Tisch kommt”. In der Kochschule war man als Letzte fertig mit dem Essen, weil es überall Speckwürfel oder Schinkenstücke drin hatte, die man mühselig rausklauben musste und später, als die ersten Vegi-Menüs aufkamen, hatte man die Wahl zwischen Tortellini (Ricotta und Spinat) im Alltag und Auberginen-Schnitzel beim Festessen, weil Köche damals noch glaubten, ein Vegetarier brauche etwas Schnitzelförmiges auf dem Teller, damit er am Tisch nicht unangenehm auffällt. (Fragt nicht, auf wie vielen Hochzeiten um die Jahrtausendwende ich Auberginen-Schnitzel gegessen habe. Ich habe sie nicht gezählt. Aber glaubt mir, meine lieben Freunde, ich habe euch inzwischen verziehen.)

In jenen fernen Tagen fragte natürlich noch niemand “Esst ihr alles, oder ist jemand von euch Vegetarier?” wenn man eingeladen wurde und so kam es öfter mal vor, dass ich mit Todesverachtung und möglichst ohne zu kauen Schinkengipfel oder Chicorée im Schinkenmantel runterwürgte, weil die Gastgeber ausser ein paar welken Salatblättern nichts Fleischloses auf den Tisch gebracht hatten. Der Satz “Tut mir Leid, ich bin Vegetarierin, ich esse lieber nichts”, war in jenen Tagen noch nicht überall salonfähig und hätte eine aufkeimende Freundschaft ernsthaft gefährden können. Aussergewöhnlich rücksichtsvolle Gastgeber dachten natürlich schon damals an die Bedürfnisse der Fleischverächter und kochten deshalb für die Vegetarier etwas mit Poulet. Wie hätte man bei so viel Rücksichtnahme sagen sollen, dass Poulet genau so wenig geht wie Schwein oder Rind?

Besonders schwierig wurde es, als ich Schwiegermama kennen lernte. “Du isst kein Fleisch?”, fragte sie ungläubig. “Na, dann nimm doch wenigstens ein bisschen Salami.” “Ääääähm, Salami ist auch Fleisch…” “Dann eben Rohschinken?” “Auch Fleisch….” “Aber Aufschnitt isst du doch bestimmt?” “Leider nein….” Noch irgendwelche Fragen, warum Schwiegermama und ich uns nicht auf Anhieb bestens verstanden haben? Um des lieben Familienfriedens Willen rang ich mich schweren Herzens dazu durch, wenigstens Poulet zu essen, was so lange halbwegs gut ging, bis mir Schwiegermamas Schwester Hühnerhälse vorsetzte. Von da an war ich wieder strikte Vegetarierin – bis auf die paar Bissen Fisch, die ich hin und wieder aus Vernunftgründen esse, weil Fisch ja bekanntlich klug macht – , auch wenn es Jahre brauchte, bis Schwiegermama sich daran gewöhnen konnte, mir kein Poulet mehr anzubieten und es nicht persönlich zu nehmen, wenn ich ablehnte. 

Inzwischen ist es natürlich längst kein Problem mehr, überall anständiges bis sehr gutes vegetarisches Essen zu bekommen. Die Frage, ob man Vegetarier ist, gehört bei jeder Einladung standardmässig dazu, ebenso wie das Aufatmen, wenn man sagt “Ja, aber nur Vegetarier, nicht vegan. Ich esse eigentlich alles, ausser Fleisch und Fisch.” Vielleicht füge ich noch an. “Aus Überzeugung und weil ich es nicht mag, aber ich würde nie jemanden dazu zwingen, auf Fleisch zu verzichten. Und ja, für meine Kinder koche ich Fleisch”, weil ich genau weiss, dass diese Fragen folgen werden. Vegetarier sind inzwischen so alltäglich, dass sie schon fast langweilig sind. Heute ist sollte man mindestens vegan sein, vielleicht noch ein wenig laktoseintolerant oder Gluten-unverträglich obendrein.

Und wenn ich diesen letzten Satz so schreibe, schäme ich mich ein wenig, denn wer, wenn nicht ich, sollte Verständnis haben, wenn jemand aus Überzeugung seine Ernährung umstellt, obschon die anderen das irgendwie seltsam finden? 

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