Hört man Türkisch oder Arabisch, so mutmaßt man die Überfremdung; man spekuliert über das Ende alles Deutschen, wenn Menschen in ihren Heimatsprachen, in Turk- oder semitischer Sprache, parlieren. Das ist der Untergang Deutschlands und des Abendlandes; dann ist der Deutsche nicht mehr Herr in seinem Lande; dann entdeutscht sich Deutschland, arabisiert es sich. Dass die Deutschen aussterben ist ein fataler Irrtum: das Deutsche stirbt aus!
Zur feinen Unternehmenskultur gehört es heute, dass man Englisch radebricht. Es gibt deutsche Unternehmen in Deutschland, in denen es zum Leitbild gehört, stets Englisch zu sprechen. Nicht nur mittels eingefügter Anglizismen. Nein, man ist konsequenter und belegt die Belegschaft mit dem Auftrag, immer das englische Wort im Munde zu führen. Gemäß Günther Oettinger, Sprachgenius und Visionär, der einst in einem Interview verkündete: "Englisch wird die Arbeitssprache. Deutsch bleibt die Sprache der Familie und der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest." Oettinger verkauft als Vision, was in vielen mittleren und größeren Konzernen schon an der Tagesordnung ist, dort wird Englisch bereits als berufliche Muttersprache praktiziert.
In Wahrheit spricht man dort kein Englisch, es ist etwas Englischähnliches, das man hierzulande als business english bezeichnet. Ein Pidgin der Krämer und Händler! Eine lose Folge relativ kurzer, schroffer Wortverstümmelungen, mit denen man wirtschaftliche Abläufe und Verwaltungsprozesse erfassen kann, die aber einem Shakespeare, Whitman oder Joyce niemals künstlerische Freiheit garantiert hätte. Wenn in deutschen Büroräumen ein so entstelltes Englisch ausgekotzt wird, wenn selbst deutsche Texturen mit anglizistischem Schnickschnack durchwoben werden, gleich dem, was Ullrich Wegerich in seinem Krimi "Berliner Macht" persifliert: "Erleben Sie auf beeindruckende Weise, was authentische Führung bedeutet: Face to Face with Horse - eine Begegnung der besonderen Art. Leadership Live Experience - was will ich: Führen oder geführt werden? Leading from Behind - die Wirkung unterschiedlicher Führungspositionen. Beobachten Sie unsere Pferdeherde und erlernen Sie, wie Leadership auch in Ihrer Firma funktioniert! Was lernen Manager von Hund, Adler oder Wolf? In der Natur zeigen sich die Dynamics von Leadership und Gefolgschaft, von Jäger und Gejagtem, von Gewinner und Verlierer..." Der Sozialdarwinismus spricht... ja, was spricht er denn eigentlich? Nicht Fisch, nicht Fleisch - jedenfalls nicht Deutsch und nicht Englisch!
Jedenfalls: wenn in deutschen Büros dergestalt radegebrochen wird, dann fabuliert niemand vom Untergang der deutschen Sprache. Dann ist das Normalität und erwünscht, weil wir hier von einer Fremdsprache sprechen, die sich pekuniär verwerten läßt. Überhaupt wird man einwenden können, dass Fremdsprachen zum wirtschaftlichen Zwecke immer Konjunktur hatten. Das war so, als Italien das Zentrum des Handels war - das war ebenfalls so, als man mit Frankreich verhandelte. Ursprünglich italienische und französische Worte finden sich ja auch im deutschen Wortschatz. In einem deutschen Kontor in der Renaissance, haben die Prokuristen womöglich auch Italienisch gesprochen. Das ist auch gar nicht von der Hand zu weisen. Und doch ist die wirtschaftliche Allmacht des business english eine andere Erscheinung, denn nie zuvor haben wirtschafliche Aspekte so sehr ins Alltagsleben gestrahlt, wie sie es heute tun. Die Sprache der Krämer war ein Soziolekt (in meinem Essay "Worte" verweise ich darauf), der auf Krämerseelen beschränkt war - und deren Fremdsprachengebrauch war auch eingegrenzt. Heute greifen Soziolekt und die damit einhergehende Anglisierung auch in den Alltag krämerisch ungeschulter Zeitgenossen. Das business english ergießt sich in das alltägliche Leben und Sprachschöpfungen aus dem Alltag des Handels übernehmen auch profaneren Charakter, wenn man beispielsweise in die Beziehung investiert - aber das ist eine andere, wenngleich ähnlich Geschichte...
Wenn die deutsche Sprache überhaupt gefährdet ist, dann nicht von Arabesken und Turkiaden. Dann ist sie davon gefährdet, zu einer Sprache zu werden, die dank Ökonomisierung verwischt wird. Sprachkultur, wie sie manche konservativen Sprachschützervereine fordern, wird nicht dadurch geschützt, dass man ausländischen Mitbürgern ihre Heimatsprache, die sie zu Privatzwecken verwenden, verbietet. Man schützt und bewahrt sie, indem man ökonomisierte Sprachpanschereien unterbindet und auch im Schulbetrieb tunlichst darauf achtet, dass Anglizismen und business talk nicht verwendet werden. Noch ist es so, dass der kleine Ali kein türkisches Wort auf dem Pausenhof verwenden darf, ohne dafür gerügt zu werden - wenn er aber das Wort flip chart in die Wirtschafts- und Sozialkunde einbaut, dann erhält er Lob für seine Aufmerksamkeit. Monierten das die Sprachbewahrer aus diversen Vereinen und Organisationen, so würden sie in die richtige Richtung weisen. So aber führen sie Schattengefechte, die nach viel aussehen, aber doch nur wenig sind.