Wireless Talk #14: Sylvie & Thilo über ihr richtungsweisendes Sabbatical

Sylvie und Thilo waren 16 Jahre lang festangestellt und gehörten zu den sogenannten Leistungsträgern unserer Gesellschaft. Das Bild vom karriereorientierten und geradlinigen Weg hat dann in 2012 Kratzer bekommen. Als beide kurz vor einem Burnout standen, haben sie die Notbremse gezogen und sich für eine lange Auszeit entschieden.

In den Wireless Talks spreche ich mit inspirierenden Menschen, die ihre ganz persönliche Geschichte erzählen. Menschen wie du und ich, die den Mut hatten, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und nach mehr Selbstbestimmung und Freiheit zu suchen. Sie arbeiten ortsunabhängig, leben nach ihren eigenen Vorstellungen und sind Inspiration für den Rest von uns.

In diesem Wireless Talk hatte ich die große Freude mit Sylvie und Thilo zu sprechen. Mitte 2012 haben sich die beiden nach 16 Jahren im Berufsleben für ein Sabbatical entschieden, das dann ab 2013 für 1,5 Jahre angedauert hat und für einige Veränderungen in ihrem Leben gesorgt hat.

Wie sie das Sabbatical angegangen sind und was sich während dieser Zeit gedanklich verändert hat, das haben sie mir in einem einstündigen Skype-Gespräch erzählt. Ich habe versucht, die wichtigsten Punkte so gut wie möglich schriftlich wiederzugeben. Viel Spaß damit.

Hallo Sylvie und Thilo, was hat damals den Ausschlag dafür gegeben, dass ihr eure Jobs verlassen habt?

Thilo: Wir haben 1996 angefangen zu arbeiten und waren beide als Programmierer und Softwareentwickler fest angestellt. Ich war zuletzt Berater in Banken und viel unterwegs, aber sehr unzufrieden im Job. 2011 habe ich damit begonnen, mich nach etwas Neuem umzuschauen. Gelegenheiten gab es genug aber alle (Headhunter und Personaler) wollen dich in eine Schublade packen – das was du in den letzten 1,5 Jahren gemacht hast, darauf wirst du für die nächsten 10 Jahre festgelegt.

Als Berater willst du aber eben nicht immer das Gleiche machen. Die Strukturen in den Firmen sind hier einfach zu starr. Diese Fixierung auf einen ganz bestimmten Weg, ohne jegliche Abweichungen, das hat mich zum Schluss doch erheblich gestört. Dann bin ich Anfang 2012 zudem noch sehr schwer erkrankt, was natürlich ein Weckruf war und die Entscheidung noch beschleunigt hat. So ein Ereignis rückt die Prioritäten ordentlich zurecht.

Sylvie: Bisher waren wir brave Angestellte, keine Umwege, eben so richtig mustergültig. Ich habe mir aber schon länger eine Veränderung gewünscht. Teilzeit war immer eine Option für mich, hat aber nie so richtig geklappt. Ich war auch in einem Beratungshaus angestellt und zum Glück kaum unterwegs. Im Beruf auch Mensch sein zu dürfen, das hat einfach gefehlt. Es wird den Menschen nicht zugetraut, einfach mal etwas Neues zu machen und sich weiterzuentwickeln.

Der Weg im Unternehmen war einfach komplett vorgegeben. Man ist dann im Grunde im Hamsterrad und in diesem System gefangen, aus dem man dann gedanklich erstmal herauskommen muss.

Dann habt ihr euch für das Sabbatical entschieden. Wie seid ihr das angegangen?

Thilo: Wir brauchten 2012 einfach eine längere Pause, da wir kurz vor dem Burnout standen. Meine Firma hat zwar Sabbaticals angeboten, jedoch nicht in der Länge, wie wir das wollten. Außerdem wusste ich zu dem Zeitpunkt auch schon, dass ich nicht in das Unternehmen zurückkehren will.

Sylvie: Wir haben auch gesagt, wir wollten den Horizont ganz weit aufmachen, um nach allen Möglichkeiten zu schauen. Am Tag der Rückkehr durch eine bereits heute bekannte winzig kleine Tür in den alten Job zurückzukehren, das hat uns einfach widerstrebt. Wir haben dann beide einfach gekündigt und sind ausgestiegen.

Thilo: Genau. Es sollte einfach eine Zeit werden, in der wir innerlich zwei Schritte zurücktreten und uns alle Möglichkeiten ganz weit offen halten wollten. Wir sind der Überzeugung, das wäre nicht gegangen, wenn wir uns auf eine Rückkehr festgelegt hätten. Wir wollten einfach komplett frei sein und die Auszeit nach unseren Vorstellungen gestalten.

Sylvie: Wir waren einfach an einem Punkt, wo wir so nicht weitermachen konnten. Die Entscheidung ist dann im Juli 2012 gefallen. Wir haben im September gekündigt und waren ab Januar 2013 im Sabbatical. Wir haben uns nicht arbeitslos gemeldet, da wir zum einen ja wirklich keinen neuen Job gesucht haben und wir uns dann immer wieder mit Jobangeboten hätten auseinandersetzen müssen. Außerdem wollten wir auch nicht betrügen. Da wir ziemlich genau Buch führen über unsere Ein- und Ausnahmen wussten wir genau, wie viel Geld wir für ein Jahr brauchen und ob wir uns das leisten können.

Was passiert eigentlich, wenn man sich nach der Kündigung nicht arbeitslos meldet?

Sylvie: Man muss sich selbst um die Versicherungen kümmern. Bei der Rentenversicherung können einfach freiwillig weiter Beiträge eingezahlt werden. Wir haben uns aber dagegen entschieden. Der Anspruch auf z.B. Reha’s bleibt bestehen, wenn du schon 15 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hast. Für den Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente muss man in den letzten 5 Jahren 3 Jahre Beiträge bezahlt haben, dann hat man hier auch keine Probleme. Für die Krankenkasse mussten wir Nachweise erbringen, dass wir beide keine Einkommen haben und ich musste dann den Mindestbetrag von ca. 150 Euro bezahlen.

Thilo: Ich bin privat versichert und bezahle einfach ganz normal meine Beiträge weiter. Das war ganz problemlos. Bei allen anderen gesetzlichen Stellen wird einfach nur der Kopf geschüttelt, wenn man denen erzählt, dass man weder arbeitet noch arbeitslos ist. Es ist einfach in unserem System nicht vorgesehen.

Wie habt ihr euch die Auszeit finanziert?

Thilo: Wir haben uns vorher Rücklagen gebildet und dann von den Ersparnissen gelebt, was die Sache sehr einfach gemacht hat. Diese Rücklagen waren eigentlich für Krankheit oder Arbeitslosigkeit gedacht, aber unsere Situation haben wir gewissermaßen als Notfall angesehen.

Sylvie: Wir hatten schon 1 Jahr vorher auch unser Auto verkauft, was ja ein großer Kostenblock ist. Da wir zentral in München wohnen, vermissen wir es auch nicht. Behalten haben wir uns einen Luxus, die Mietwohnung in U-Bahn Nähe. Hier wäre natürlich eine Option, die Wohnung unterzuvermieten und dann für eine Weile für deutlich weniger Geld woanders zu wohnen. Das wäre für ein Sabbatical super.

Was ist gedanklich während des Sabbaticals passiert?

Thilo: Das Sabbatical war für uns aus zweierlei Dingen wichtig. Erstens, um einfach mal zu verschnaufen und eine längere Pause machen, in der man mal neue Sachen ausprobiert. Der zweite Gedanke bestand darin, Ideen für die Zeit danach zu sammeln. Wir wussten nicht, wie es weitergeht, wussten aber, dass wir nicht zum Ausgangspunkt zurück wollen.

Wir wollten uns keinem Stress aussetzen, sondern wirklich unseren Gedanken freien Lauf lassen. Deshalb haben wir uns gesagt, dass wir uns ein Jahr nehmen, in dem wir uns um die Zeit danach nicht kümmern. Immer wenn uns eine Idee dafür gekommen ist, dann haben wir die aufgeschrieben und in ein Briefkuvert gepackt.

Sylvie: Man erlaubt sich einfach ein Jahr Freiheit, was nicht leicht ist, aber unglaublich gut tut. Und das mit dem Kuvert hat dabei sehr geholfen.

Thilo: Nach dem Jahr haben wir dann das Kuvert aufgemacht. Da waren allgemeine Gedanken wie “Ich will die Situation wie in meinem Job nicht mehr haben” bis hin zu sehr speziellen Sachen wie “Ich will lieber in diesem Bereich arbeiten”. Damit hatten wir zumindest einen Ausgangspunkt nach dem Jahr, der den Denkprozess angestoßen hat.

Sylvie: Ich habe während dieser Wiedereinstiegszeit viel über das Thema “Finde deine Leidenschaft” gelesen, habe mir auch ein professionelles Coaching organisiert und wir haben Weiterbildungen besucht. Da merkt man natürlich, welche Sachen einen anlachen und fesseln. Ich habe dann gemerkt, dass ich nicht aus der Softwareentwicklung weg will, sondern nur ein anderes Umfeld brauche.

Es geht also darum, seine eigenen Werte zu kennen und sich dazu eine passende Umgebung zu suchen.

Mir hat geholfen, eine Matrix aus Dingen, die ich gerne tue und Dingen, die ich gut kann, aufzustellen. Hier kann man dann nach Überschneidungen suchen. Nach einigen Bewerbungen habe ich gemerkt, dass ich keineswegs mehr in einen “Schubladen-Job” zurück möchte. Ich habe mich dann als Freelancer selbständig gemacht. Am Anfang gab es eine ziemliche Durststrecke. Besonders schwer war es, eine Chance zu bekommen. Wir haben dann für uns gemerkt, dass wir uns unsere eigene Nische aufbauen müssen, wenn wir keine andere passende finden. Wie wir diese Nische genau bauen, wissen wir noch nicht. Momentan bin ich für 3 Tage in der Woche beim Kunden, was für mich ein guter Einstieg ist.

Thilo: Noch eine Ergänzung dazu. Freunde und Bekannte haben uns teils argwöhnisch gefragt, warum wir denn so ein langes Sabbatical nehmen, da 3 Monate doch ausreichen sollten. Einer meinte sogar, 3 Wochen sind genug. Aber so kaputt wie wir waren, brauchten wir das einfach. Es ist nicht so, dass man am ersten Tag aufsteht und alles gut ist. Selbst nach 3 Monaten waren die Veränderungen noch nicht sehr groß. Es dauert einfach eine ganze Weile, bis man diesen gedanklichen Abstand gewinnt.

Wenn man erstmal 16 Jahre in einer Schublade ist, dann kommt man da gedanklich nicht von einem Tag auf den anderen da raus.

Sylvie: Unser Weg war ja immer relativ geradlinig. Wir mussten uns dann erst einmal daran gewöhnen, dass wir nicht mehr zu den Leistungsträgern gehören. Das Umfeld hat einen so geprägt und einen gelehrt, in welche Rollen man reinzufallen hat. Diese Automatismen, die ja fast schon Reflexe sind, abzulegen, das ist echt nicht so einfach.

Habt ihr das Sabbatical strukturiert?

Sylvie: Es gibt zwar auch Ratgeber die sagen, dass man ein Sabbatical strukturieren soll, aber man sollte nicht übertreiben. Einfach ganz bewusst Zeit nehmen. Wir haben uns die Lizenz zum Ausprobieren gegeben.

Thilo: Einen groben Plan mit Dingen, die man während des Sabbatical gerne machen würde, sollte man sich schon überlegen, da es sonst schade um die Zeit wäre. Aber man sollte es eben nicht übertreiben. Am besten 3-4 große Programmpunkte, und das reicht dann auch.

Sylvie: Genau, gib dir einfach mal 2 Wochen, in denen du überhaupt keinen Plan und keinen Leistungsdruck hast. Wir waren zwischendurch auch mal für 6 Wochen getrennt unterwegs auf Reisen. Dabei bin ich so langsam und bewusst gereist, dass ich so viele Dinge wahrgenommen und mit Menschen gesprochen habe, die ich sonst nie gesehen hätte. Das hat im Vergleich zum ansonsten hektischen Leben sehr gut getan.

Hat sich euer Umfeld während des Sabbaticals verändert?

Thilo: Wir merken jetzt so langsam, dass es sich verändert. Unser Umfeld hat uns zu Beginn sozusagen eine Karenzzeit von einem Jahr gegeben, was akzeptiert wurde. Danach wurden die Fragen, ob wir denn nun endlich wieder einen Job gefunden haben, hartnäckiger. Das ist uns
natürlich auf die Nerven gegangen. Daraufhin haben wir zu einigen Menschen den Kontakt abgebrochen oder reduziert. Das war auch unsere Hauptmotivation für die Anmeldung auf My Wireless Life. Wir wollen uns einfach ganz bewusst ein neues Umfeld suchen.

Sylvie: Die Gemeinsamkeiten sind eben weniger geworden. Ich glaube ein großer Punkt für viele sind diese unbegründeten Ängste. Uns haben immer alle gesagt, wie mutig wir sind, dabei war es für uns einfach notwendig. Andere sagten dann, sie hätten auch schon über ein Sabbatical nachgedacht, finden aber immer wieder Ausreden.

Wie sieht es mit Zukunftsplänen aus?

Sylvie: Wir haben ein gemeinsames Blogprojekt, wo wir über unsere Erfahrungen vom Sabbatical schreiben wollen. Dann habe ich für meine Selbständigkeit eine Website gebaut, und das hat mir soviel Spaß gemacht, dass ich den Service jetzt testweise auch anderen Kunden anbiete.

Thilo: Ich schaue mich gerade um nach einem Online-Shop, den ich kaufen und daraus ein Online Business machen möchte. Dann gibt es noch einen weiteren Blog, das Projekt Unabhängigkeit, auf dem ich über ganz verschiedene Dimensionen der Unabhängigkeit schreiben möchte.

Vielen Dank euch Beiden für die interessanten Einblicke in euer Sabbatical

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich bisher wenig von Menschen gehört habe, die ein Sabbatical so bewusst angegangen sind wie Sylvie und Thilo. Umso spannender fand ich deshalb unser Gespräch, nach dem ich zumindest ansatzweise verstanden habe, wie wichtig Zeiträume mit Abstand und Ruhe sind.

Unser Leben ist über weite Strecken so hektisch und auf der anderen Seite auch vorbestimmt, dass wir uns viel zu selten die Zeit nehmen, mal innezuhalten, zu reflektieren und unsere momentane Situation mal aus der Vogelperspektive zu betrachten. Genau das haben die beiden gemacht, was hoffentlich mehr Menschen dazu motiviert, eine längere Auszeit zu nehmen.

Wenn du Fragen an Sylvie und Thilo hast, dann schreibe diese einfach in die Kommentare. Wenn du mehr über das Thema Sabbatical lesen willst, dann schau auf ihrem Blog vorbei.

Arbeitest du selbst ortsunabhängig und hast eine inspirierende Geschichte zu erzählen? Oder kennst du jemanden, der dich ganz besonders inspiriert hat? Dann freue ich mich über einen Kommentar oder eine E-Mail an [email protected].

Lebe rastlos, zeitlos und grenzenlos


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