Wire “Red Barked Tree” (Pink Flag)
Der Blick auf die erstaunliche Vita von Wire läßt einen rätseln, im wievielten Frühling sich diese Band denn nun eigentlich befindet, wo sie doch seit über dreißig Jahren fern jeder Peinlichkeit eine feine Platte nach der anderen zuwege bringt. Spötter nun könnten behaupten, die Londoner haben sich nach den agressiven Punkausflügen ihrer frühen Tage und nicht minder wilden rockistischen Wagnissen zu Beginn des neuen Jahrtausends mittlerweile auf eine enstpannte, altersgerechte und gruppendynamische Spielart des Postpunk geeinigt. Der Elektroniker würde es wohl eine Art akkustische Grundleistung nennen, die ohne größere Abstriche auch noch so manchem Greis gelänge.
Natürlich ist das unzutreffend und böse zugleich, denn wie schon auf dem gelungenen Vorgänger “Object 47” zelebrieren Wire auch auf dem aktuellen Album nichts weniger die Essenz ihres Schaffens. Dass Songs wie “Please Take”, “Adapt” oder “Clay” dabei mehr als gelassen, das fast fünfminütige “Down To This” sogar schon getragen klingen, kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen – sie hatten auch zu Zeiten von Großtaten wie “The Ideal Copy” schon solches im Programm. Zudem hieße es zu unterschlagen, dass Wire auch jetzt noch ihren Grinderman beherrschen – raue, schnellere Stücke wie “Now Was”, “Two Minutes” oder das stampfende “Moreover” wirken durchaus frisch und zu keiner Zeit aufgesetzt oder berufsjugendlich.
Wer die Mannen um Colin Newman dazu in letzter Zeit live gesehen hat, der weiß, dass sie noch wollen und auch können – sie sind einfach noch nicht fertig. Und wenn ihnen dabei hin und wieder ein Kunststück wie der abschließende Titelsong gelingt, dann dürfen sie meinenthalben auf ewig, idealerweise zusammen mit den versöhnten Zeitgenossen Hook & Sumner, als Bordkapelle auf Seniorenkreuzfahrt schippern.
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