„Bonjour tristesse“ war Sagans erster und zugleich auch berühmtester Roman. Rund weitere 30 sollten noch folgen und sie nicht nur in Frankreich zur Bestsellerautorin machen. Geschrieben mit 18, wirbelte er 1954 gehörig Staub auf.
Zumindest die älteren Generationen echauffierten sich prüde über die im Buch geschilderte körperliche Zuneigung der jungen Protagonistin mit einem Studenten. Dass der Teenager Mitschuld am Tod einer Modedesignerin trug, war weniger relevant.
Im Theater Spielraum hat sich Katharina Köller der Theaterfassung des Romanstoffes von Ulrich Waller angenommen und Regie geführt. Wie schon mit „Colette“ wagte sie sich an einen sehr bekannten Stoff, in dem abermals eine jungen Frau der Mittelpunkt des Geschehens ist.
Schuhe als kryptische Hinweise
Die Bühne (Dimiter Ovtcharov) besteht aus einer schwarz-weißen, modernen Architekturfassade mit einem davor angebauten, schmalen Steg. Der Boden ist übersäht mit schwarzen Schuhen jeder Art. Alten und neuen, ausgelatschten und solchen, die noch gut in Schuss sind.
Köller wollte damit einen Verweis auf ein Denkmal liefern, das am Donaustrand in Budapest an die verfolgten Juden und Jüdinnen erinnert. Und sie wollte dem mondänen Geschehen in der Villa am Mittelmeer etwas Triviales, Reales entgegensetzen.
Der Verweis auf das ungarische Mahnmal ist – zumindest in Wien – ohne Erklärung kaum nachvollziehbar. Immerhin bilden die Schuhe aber nicht nur Hindernisse, wie sie das Meer mit seinen größeren und kleineren Felsbrocken an verschiedenen Stellen anbietet. Steine, über die man sich vorsichtig fortbewegt, oder, in tieferem Gewässer, einfach hinwegschwimmt. Die Schuhe erzielen von Beginn weg ein leichtes Unbehagen, eine diffuse Beklemmung, die man jedoch aufgrund der Leichtigkeit des Geschehens über lange Strecken hinweg gut unterdrücken kann.
Johanna Hainz – eine Schauspielentdeckung
Die junge Regisseurin rahmt das Geschehen rund um die Beziehung von Vater und Tochter geschickt ein und lässt es von Beginn an wie einen Rückblick erscheinen. Dafür spricht Cécile am Anfang und am Schluss einen Text, der über Band eingespielt wird. Währenddessen sitzt sie, auf dunkler Bühne, dunkel gekleidet, mit dem Rücken zum Publikum. Alle anderen Szenen stehen dazu in heftigem Kontrast. Künden von der Leichtigkeit des Lebens, das von Cécile und ihrem Vater gelebt wird.
Kollateralschäden mit etwaigen Liebhaberinnen wie Elsa, sind dabei eingerechnet. Cécile – unglaublich authentisch und großartig von Johanna Hainz gespielt, ist nur die Nähe zu ihrem Vater wichtig. Seine verschiedenen Lieben erscheinen für sie nicht gefährlich, da sie regelmäßig ausgetauscht werden. Bei Hainz sitzt jede Geste, aber was noch viel wichtiger ist, jede einzelne Mimik, jedes Heben einer Augenbraue, jedes Weinen und jedes Herumtollen, sodass man sich fragt, wie diese junge Frau einmal in zwanzig Jahren spielen wird, wenn ihre Leistung im Moment schon derart reif ist. Eine wahre Entdeckung!
Reinhardt Winter verkörpert ihren Vater mit Bravour. Lebenslustig, ja lebensgierig, unbesonnen, aber zugleich warmherzig freut er sich, dass er unbeschwerte Sommertage mit seiner Tochter verbringen kann. Die beiden sind ein Traumpaar auf der Bühne, von dem man nicht genug bekommen kann.
Die naive Elsa (Sandra Riedl geizt nicht mit ihren Reizen), rothaarig und von einem Sonnenbrand geplagt, macht bei den Spielen von Vater und Tochter geduldig mit. Bis Anne zu ihnen kommt. Eingeladen von Céciles Vater. Sie ist eine ehemalige Freundin von Céciles verstorbener Mutter und wächst sich, sehr zum Missfallen des Teenagers, zu einer richtigen Konkurrenz aus.
Nicole Metzger verkörpert die distanzierte, mondäne, erfolgreiche Designerin (Kostüme Anna Miriam Jussel), die sich in Raymond gründlich täuscht und von Beginn an gegen seine Tochter ankämpfen muss.
Die Intrige, die das junge Mädchen zu spinnen beginnt, wird Anne schließlich zum Verhängnis. Cyril, ein junger Jus-Student und in heftiger Liebe zu Cécile entbrannt, ist das ganze Gegenteil von ihr. Beharrlich, ernst, vorausschauend und linkisch zugleich. Herrlich, wie Christian Kohlhofer in dieser Rolle den tollpatschigen, jungen Mann spielt, der nicht aus freien Stücken Céciles Vater mit dessen Exfreundin eifersüchtig macht.
Vieles bleibt still
Bis zum dramatischen Ende darf aber heftig geliebt und gestritten werden. Verstohlene Küsse werden ausgetauscht, Cécile durch einen Backenstreich von Anne aber auch gehörig erniedrigt. Es wird im Meer geschwommen, am Strand gesonnt und in der Disco getanzt.
Katharina Köller arbeitet dabei sehr geschickt die Psychologie der einzelnen Rollen heraus. Sie gestaltet plausible Auf- und Abgänge, lässt das Spiel laufen, wo der Schmäh zwischen Tochter und Vater rennt und zieht verdichtet und verlangsamt das Geschehen, wo das intrinsische Befinden von Cécile veranschaulicht wird.
Man stellt sich nur die Frage, warum keinerlei Soundfiles oder andere Geräuschkulissen verwendet wurden. So ist das Geschehen zum Teil von einer eigentümlichen Stille erfasst, die den Eindruck von Längen erzeugt, die gar nicht vorhanden sind. Dies ist jedoch der einzige Wermutstropfen der Inszenierung.
Über weite Strecken darf man sich über das Treiben der Gesellschaft, die sich in Ferienlaune befindet, herzlich amüsieren. Das Ende ist im Roman von Sagan nicht so belehrend, wie es die Bühnenfassung anbietet. Bei der Autorin bleiben Cécile und ihr Vater im Roman das, was sie sind – Menschen, die eigentlich nicht erwachsen werden und immer versuchen, das Leben von seiner leichten Seite zu nehmen. Bei Köller/Waller bleibt Cécile jedoch in ihrer Tristesse gefangen.
„Bonjour Tristesse“ im Theater Spielraum bedeutet für alle, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts schon literaturaffin waren, ein schönes, nostalgisches „Wiedersehen“, für das junge Publikum ist es sicherlich eine tolle Neuentdeckung.
Weitere Termine auf der Homepage des Theater Spielraum.