Letztes Wochenende war ich im fernen Stuttgart auf einem sehr bemerkenswerten Kongress: Es trafen sich die verschiedensten Berufsgruppen rund um Schwangerschaft, Geburt und das erste Lebensjahr des Kindes. Also vor allem Hebammen, Gynäkolog*innen und Kinderärzt*innen. Als vierte Kraft der Organisation: Die Eltern. Wir von Anfang an.
In mehreren Talks und Diskussionen im Plenum, aber vor allem in fünf verschiedenen Foren am Freitagnachmittag und Samstagmorgen wurde die aktuelle Situation der Mütter reflektiert und, wie man diese verbessern kann. Noch immer sind zuviele Mütter unvorbereitet, noch immer verlaufen zuviele Geburten fremdbestimmt, noch immer sind Eltern verunsichert und bestenfalls fehlinformiert. Natürlich war auch die schlechte Personalsituation Thema, als wichtigste Basis für eine Verbesserung wurde die bessere Vernetzung und Kommunikation der Berufsgruppen identifiziert.
Um was ging es in den Foren? „Herausforderung Geburt“, „Zu früh geboren“, „Teamwork von Anfang an“, „Schwangerschaft“ und „Elternkompetenz“. Wurde am Freitag über den Status quo gesprochen, erarbeiteten die Foren am Samstag die Wünsche und Wege für die Zukunft. Schöner Nebeneffekt: Die Foren fanden in den kreisrunden Sitzungsälen des Rathauses Stuttgart statt, an Symbolik kaum zu überbieten.
Alle Akteure waren sich einig: So wie jetzt geht es nicht weiter. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen stehen eigentlich schon lange, so verwies die wunderbare Ulrike Hauffe auf die Nationale Gesundheitsleitlinie „Rund um die Geburt“, die eigentlich bereits eine klare Linie vorgibt, eine lesenswerte Lektüre. Würden sich nur alle daran halten.
Am Ende gab es grosses Schulterklopfen und Händeschütteln, wie so oft auf solchen Veranstaltungen: Alle sind sich einig, anwesend sind die Aktiven und Interessierten, auch ein paar Politiker. Es wird viel theoretisiert, vielleicht auch zuviel romantisiert. Alle agierten wie in einem Wolkenkuckucksheim, manche Diskussionen waren recht realitätsfern oder – jetzt wird es gemein – für die Frau der bildungsnahen Mittel- und Oberschicht. Absichtserklärungen sind gut und wichtig, der Weg zum Ziel noch weit.
Sehr unangenehm wirkte die Industrieausstellung: Warum bei einer Kongressgebühr von 120 Euro für 1,5 Tage auch noch Sponsoren mit Ständen angeheuert werden mussten, erschließt sich mir nicht. Zumal diese einseitig besetzt waren: Anthroposophie, wohin das Auge sah, auf dem Büchertisch, die Filderklinik, seien es die Gesellschaft der Anthroposophischen Ärzte Deutschlands oder Krankenkassen, die Paramedizin wie Homöopathie oder Osteopathie bezahlen. So war sehr prominent die BKK VBU vertreten – deren Logo an einen Karnevalshut erinnert.
Die Anthroposophie durfte in Broschüren ihre seltsamen Ansichten verteilen: Masern als Stärkung, Impfungen als individuelle Entscheidung, Vitamin K und D als erübrigbare Nahrungsergänzungen. Dies war nicht Thema des Kongresses, ok, aber bei den anwesenden Hebammen und Eltern war die Zielgruppe klar ausgemacht und indoktriniert. Da wundere ich mich nicht über so manche Ansichten. Übrigens war einer der Moderatoren Georg Soldner, Kinderarzt aus dem impfkritischen Münchner Dunstkreis um Rabe und Hirte und Mitunterzeichner des berüchtigten Wuppertaler Manifestes. Schade.