Trans Gender Moves von Gin Müller und Gorji Marzban im Brut. Eindrücke eines Abends rund um das Thema Queer und eines Gespräches mit den beiden Kreativen.
Drei Personen, drei unterschiedliche Biographien. Ein Perser, eine Französin und ein Deutsch-Österreicher. Drei unterschiedliche Lebensalter und dennoch vereint sie ein Thema. „Zu welchem Geschlecht gehöre ich eigentlich?“ In „Trans Gender Move“ von Gin Müller und Gorji Marzban, das im Brut seine zweite Wiederaufnahme erlebte, stellten drei Transgenderpersonen dem Publikum nicht nur Ausschnitte aus ihrem Privatleben vor. Sie schafften es, mit ihrer Beherztheit und ihrer ungekünstelten Art ein für viele Menschen abstraktes Thema so angreifbar zu machen, das es die Herzen berührt.
Was man im ersten Augenblick vielleicht als „Betroffenheitstheater“ abtun möchte, stellte sich schon nach kurzer Zeit absolut anders dar. Ja, sie alle drei sind Betroffene. Betroffen, mit einem Geschlecht geboren zu sein, das nicht das ist, dem man sich wirklich zugehörig fühlt. Aber, und das ist die große Stärke dieser Produktion, Toni, Nicole und Gorji sind in ihrem Kampf um ihre eigene Geschlechtsbestimmung so gereift und stark geworden, dass sie viele Menschen, die eindeutig als Mann oder Frau geboren wurden, mit ihrer Lebensweisheit und ihrem Kampfesmut in den Schatten stellen.
Das mag sich vielleicht ein wenig dick aufgetragen anhören. Tatsache ist aber, dass der Schritt auf die Bühne für Gorji Marzban in dieser Staffel kein leichter war. „Ich sehe Bilder, die nicht mit dem, was ich spreche übereinstimmen“ erzählte er in einem Interview. Es sind Kriegstraumata, die ihn wieder verstärkt verfolgen, seit er darüber wieder Abend für Abend dem Publikum berichtete. Die Magie des Theaters, die ihn anfänglich in der ersten Staffel trug, ist verflogen. Nun ist es der Theateralltag und vor allem die schrecklichen Bilder aus seiner Vergangenheit, die ihn wieder einholen. „Ich bin, weil ich jedes mal zu spät gekommen bin, zwei Mal dem sicheren Tod entronnen“ erzählte er dem Publikum und fügte hinzu: „Ein richtiger Mann wäre wahrscheinlich pünktlich gewesen“. Gin Müller, der sowohl in der Konzeption als auch der Regie tätig wurde, ist in diesem Fall besonders gefordert. „Dass wir das hier dennoch aufführen können hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass wir uns alle sehr mögen und großes Verständnis füreinander haben“. Kennenlernte er Marzban, der in seinem Beruf Universitätsdozent an der Boku ist, in der Rosa Lila Villa. Dort kämpften beide für eine Transfrau, die von der Abschiebung in die Türkei bedroht war. Gorji leitet einen Verein, der sich um Transgender-Menschen kümmert, die bedroht werden. Aus der Verschränkung der Texte von Marzban und der Theatererfahrung von Müller ergab sich dann die Zusammenarbeit.
„Ich lebe viel lieber in Wien als in Frankreich“ – dieses Bekenntnis kommt von Nicole Fouchet, die sich erst mit 65 Jahren hier in Österreich eine Geschlechtsumwandlung leisten konnte. „In Frankreich wurde ich von der Polizei verhaftet und ins Gefängnis gesteckt“ erklärt die zierliche Frau mit den langen, weißen Haaren weiter. Tatsächlich scheint Österreich ein Bollwerk inmitten einer europäischen Gemeinschaft zu sein in der es noch lange nicht überall möglich ist als Person, die sich dem „Dritten Geschlecht“ zugehörig fühlt, unbehelligt leben zu können. Auch sie musste einst in den Krieg ziehen als Frankreich gegen die Algerier aufmarschierte. Auch sie erlebte Mord und Totschlag hautnah mit dem Ergebnis, dass sie in der Inszenierung einen eindeutigen Friedensappell weitergibt. „Ich hasse Krieg“ kommt ihr aus tiefster Seele und lauscht man ihrer Geschichte, in der sie auch von einem Algerier erzählt, der es in der Macht hatte sie zu töten, davon aber abließ, versteht man warum. Die Frau mit dem schelmischen Blick und der wunderbaren „fransösiesche“ Aussprache, die immer nur in Miniröcken oder -kleidern anzutreffen ist, hat ihre Transition erst mit 65 durchführen können. Bei dieser Aufführung dabei zu sein, ist für sie, wie ihre Kollegen bestätigten, ein enorm wichtiger Schritt.
Es sind tatsächlich die persönlichen Erlebnisse, die einen neuen Horizont auf dieses Thema eröffnen. „Meine Mutter spricht seit meiner Umwandlung nicht mehr mit mir. Sie glaubte, mir damit alles nehmen zu können. Aber meinen Vater konnte sie mir nicht nehmen.“ Toni, eigentlich Anthony Wagner, der aufgeschlossene, sympathische junge Trans-Mann, der biologisch weder Mann noch Frau ist, beeindruckt mit seiner positiven Ausstrahlung und seiner Selbst-Akzeptanz. Er weist von allen Dreien die stärkste Performance-Erfahrung auf. Man erfährt von ihm auch, dass er gern am Land lebt, dort, wo es kein Arztgeheimnis gibt. „Das ist ein Transsexueller“ lässt er zwei Nachbarn auf der Bühne sich zuflüstern, „Aha. Was ist das eigentlich?“ fragt einer davon zurück. Womit er den Nagel auf den Kopf trifft. Viele Menschen können mit Queer-Begriffen nach wie vor nichts anfangen. Das zeigt auch die unleidliche Debatte, die sich rund um die Verwendung von gendergerechter Sprache, insbesondere um das Binnen-I entwickelte. Nichtbetroffene sind von der Lebensrealität von Transgender-Menschen nach wie vor extrem weit entfernt.
Gin Müller antwortet auf die Frage, ob das, was hier zu sehen sei denn eigentlich noch den Begriff des Theaters verdiene und ob von Beginn an die Idee da war, dieses Thema anhand von Biographien zu beschreiben: „Ja klar ist das Theater. Es ist eine Art von Theater in der die Variation des Performation schon sehr weit geht. Denn Gender an und für sich ist ja auch immer eine Art von Performance. Viele Transgender-Personen leben ja auch oft mit oder zumindest am Rande einer gelebten Performance. Was das Besondere an dieser Arbeit hier ist, dass alle Beteiligten den Mut hatten, ihre eigene Geschichte zu erzählen und das ist nicht selbstverständlich. “ Queer-Theorie und -Praxis sind ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Die Frage der Geschlechtlichkeit ist in allen seinen Stücken evident, wobei er sehr oft die Gender darin verändert und herkömmliche Rollenzuschreibungen wie Mann und Frau nicht verwendet.
Die Inszenierung kommt mit leisen Untertönen und mit viel Poesie über die Bühne. Für letzte ist hauptsächlich Gorji Marzban verantwortlich. Nicht nur als Student, sondern bis heute verfasst er Texte, die er demnächst sogar in drei Bänden der Öffentlichkeit vorstellen wird. Marzban war überrascht über die Reaktion des Publikums da er dachte, dass das Stück auch als Provokation aufgefasst hätte werden können. Tatsächlich aber ist es ein großer Erfolg geworden. Es gelang ihnen damit, damit neue Räume zu schaffen und den Menschen neue Türen zu öffnen. Dabei ging es nicht darum aufklärerisch zu wirken und einzig das Thema Geschlecht in den Mittelpunkt zu stellen. Das Thema Migration steht für Gorji und Nicole auch im Mittelpunkt ihrer Erzählungen. Und, was man nicht vergessen darf, beide erlebten einen Krieg. Die eine als Soldat in Algerien, der andere in seinem Heimatland.
Die aufklärerische Ebene ist von den Darstellerinnen und Darstellern nicht von vornherein beabsichtigt. Sie ist eine Implikation, die das Publikum so wahrnimmt, aber sie war nicht Ausgangspunkt, dieses Stück aufzuführen. Der Moment des Storytellings war ausschlaggebend für die Produktion und wie man an der Publikumsreaktion feststellen konnte, ging dieses Konzept ganz auf. Lachen, Bestürzung, betroffene Gesichter und viel Applaus zeugten von der Empathie, die von den Zuschauerreihen auf die Bühne hinüberschwappten. Ein sehr kluger Schachzug von Gin Müller, der seit vielen Jahren gekonnt auf der theatralischen Klaviatur zu spielen weiß.
„Auf einer Bühne selbst hatte ich noch keine Auftritte, aber ich inszeniere Lesungen“. Gorj Marzban hat nicht nur aus seiner Vergangenheit viel zu erzählen. Er stellte der Wiener Stadtbibliothek eine bis jetzt knapp 500 Bände umfassende Sammlung von zeitgenössischer, persischer Literatur zur Verfügung. „Vieles davon wird aus dem Land geschmuggelt, denn offiziell darf man die Bücher im Iran gar nicht kaufen“, weiß er über diese Zensurmaßnahme zu berichten. Seine Lesungen, bisher schon 24 an der Zahl, sind für ihn jeweils „wie ein Gemälde, oder wie eine Ausstellung.“ Die Vortragenden dazu lädt er selbst ein. Diese Sammlung nennt sich „Dem Wort die Freiheit“ und ist so etwas wie ein Prestigeprojekt geworden.
„Ich glaubte immer an eine Transformation“, „mein Geschlecht ist mein Tempel“ und „in der Rolle eines Monsters fühle ich mich besonders wohl“. Drei Aussagen von drei Menschen, die ihr Leben öffentlich machten. Drei Aussagen, die auch von ganz anderen Menschen sein könnten, egal welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen.
Eine sanfte Brandung wird hörbar, leicht schlagen die Wellen an den Sandstrand. Ein Plastikdelfin, der immer wieder zur Belustigung aller in die Luft geworfen wird, begleitet das ausgelassene Bad der drei Performenden im Meer. Dieses schöne Bild der Reinigung und Befreiung von aller Lebensschwere begleitet das Publikum nach Hause. Eine wunderbare visuelle Metapher für die Leichtigkeit des Seins, die sich doch die meisten Menschen, egal welchen Geschlechts, auf die ein oder andere Weise erst hart erkämpfen müssen.
Gin Müller & GorjiMarzban – TRANS GENDER MOVES (Trailer) from brut Wien on Vimeo.