Barmherzigkeit zwischen Prosecco und Pilates.
Menschen in Not brauchen Hilfe, darüber herrscht in den meisten humanitär geprägten Haushalten Konsens. Entsprechend groß ist die Entrüstung, wenn im Mittelmeer Hunderte von Flüchtlingen aus Syrien vor den Bomben fliehen oder diskriminierte tschetschenische Minderheiten um Asyl ersuchen. Doch was, wenn „der Flüchtling“ plötzlich an der eigenen Haustür klingelt? In seinem Stück „Wir sind keine Barbaren“ setzt Philipp Löhle ihn gar mitten rein, den Fremden, in den geordneten deutschen Mittelstandsalltag zwischen Prosecco, Pilates und Mülltrennung. Das Studio Theater zeigt Löhles tiefschwarze Ehekomödie diesen Monat in einer Inszenierung von Benjamin Hille.
„Als wir uns entschieden, das Stück am Studio Theater zu inszenieren, kam gerade die Pegida-Bewegung auf, das Flüchtlingsthema war also durchaus in der Öffentlichkeit präsent. Dass unser Stück durch die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer eine derart traurige Aktualität bekommt, konnte zu dem Zeitpunkt keiner ahnen“, sagte Regisseur und Schauspieler Benjamin Hille kurz vor der Premiere im Sommer – vor der Wiederaufnahme in der neuen Spielzeit ist die Flüchtlingsdramatik noch brisanter und greifbarer geworden!
Ja, es gibt lustige Szenen in der messerscharfen Analyse mittelständisch-verpaarter Enddreißiger, die es sich „in ihrem Korrektheitswahn eingerichtet haben“, so Benjamin Hille. Doch das Zimmer nebenan, wo der dunkelhäutige Bobo erst mal eine Bleibe gefunden hat, wird schnell zur Projektionsfläche für bürgerliche Ressentiments, für Frustrationen, unterdrückte sexuelle Fantasien und selbst entlarvende, hysterische Ausbrüche aller Art. „Trotz aller Komik kommt hier sehr viel Wut auf die Bühne, außerdem verknüpft Philipp Löhle die Komödie versiert mit politischen Themen“, so Benjamin Hille.
Die heitere Paarsatire mutiert langsam, aber unaufhaltsam zum finsteren Thriller. Zwar ist der neue Mitbewohner im Stück nur zu hören und nicht ein einziges Mal sichtbar, doch wirkt er omnipräsent, als Symbol des Fremden – aufgeladen mit der „Angst vorm schwarzen Mann“. Keine Frage: hier werden so einige Fässer aufgemacht, denn es geht richtig ans Eingemachte. Und das so ironisch, humorvoll und mit gutem Timing, dass die Zuschauer Benjamin Hille und seine Truppe gern bis zum bitteren Ende in den – so vorhandenen – eigenen Abgrund folgen.
Eingebettet ist das Ganze in ein ungewöhnliches Bühnenbild, entworfen von Hannes Hartmann und Leonie Mohr – ein Art-Design-Objekt, das einmal wie ein behagliches Kissen wirkt, viel öfter aber zum verstörenden Objekt wird, mit dem die Schauspieler zu kämpfen haben. „Ein gutes Bild für das Unbewusste“, findet Benjamin Hille.
Der Originaltext sieht zudem einen Heimatchor vor, der immer wieder bestens bekannte Fremdenfeindlichkeiten zum Besten gibt. An großen Bühnen meist von Bürgern der jeweiligen Stadt gespielt, wird der Chor im kleinen Studio Theater auf elegante und eigenwillige Weise durch eine Art Radiosendung ersetzt. „Dadurch spielen auch die Medien in die Thematik mit rein, die ja einen wesentlichen Anteil haben, wenn es um die Meinungsbildung beim Thema Flüchtlinge geht“, sagt Hille.
Die sieben Oktober-Vorstellungen sind eine fast zwingend gute Gelegenheit, sich dem Thema im erst mal folgenleeren Raum zu nähern, denn wenigstens gedanklich sollte sich tatsächlich jedereinen Flüchtling ins Oberstübchen holen, statt populistische Phrasen zu zelebrieren und die Verantwortung gänzlich auf Regierungen oder andere offizielle Institutionen abzugeben. Und sei es nur, um die ganz eigenen Grenzen kennen zu lernen…
Spieltermine und Besetzung auf www.studiotheater.de