wir schlafen nicht – Kathrin Röggla

IMG_0100.JPG“wie man das so überlebe? so physisch? na, vielleicht habe er das ja gar nicht überlebt (lacht), wenn man seinem mitarbeiter so zuhöre, könnte man ja glauben, er sei längst im grab.”

Wir befinden uns in einem Messeszenario. Um welche Messe es sich handelt, ist nicht klar. Klar ist aber, dass überall große Hektik herrscht, alle rennen von einer Halle in die nächste, haben nur noch Augen für ihre Arbeit und keine Zeit für irgend etwas Anderes – nicht mal mehr zum schlafen. Kathrin Rögglas Roman wir schlafen nicht ist nun schon über zehn Jahre alt, hat allerdings nichts an seiner Aktualität verloren.

In Kathrin Rögglas Roman wir schlafen nicht werden sieben Menschen, die auf einer Messer arbeiten, interviewt. Sie repräsentieren unterschiedliche Positionen des modernen Arbeitsalltags. Key Account Managerin, Redakteure, IT-Supporter, Senior Associate, Partner und Praktikantin: Ausnahmslos alle sind dem Messewahnsinn ausgeliefert und kommen nicht mehr zur Ruhe. Machen mit, ohne sich darüber zu beschweren. Nehmen es einfach hin. Genau das ist es, was wir schlafen nicht so besonders macht. Nirgendwo wird an einer Stelle im Roman explizit eine Kritik an unserer heutigen Arbeitswelt ausgesprochen, niemand der Figuren weist mit erhobenem Zeigefinger auf diese gesellschaftliche Entwicklung hin. Und doch blieb ich nach der Lektüre des Romans nachdenklich, gar schockiert, zurück.

Das Entscheidende ist das Funktionieren des Texts. Der Roman fügt sich allein aus Antworten zusammen. Deren Inhalte lassen deutlich erkennen, dass sie für ein Gegenüber sind. Diese Gegenüber werden nicht mit Namen aufgeführt, sondern mit ihren Berufsbezeichnungen – schonmal ein Kritikpunkt am modernen Arbeitsleben: Individuen zählen nicht mehr wirklich, jeder ist beliebig ersetzbar, frei nach dem Motto: Ein anderer wird’s eh machen. Fragen werden nicht dokumentiert, sie sind Ellipsen, die sich der Leser anhand der Antworten selbst erschließen muss.

Die Interviews führte Röggla wirklich auf einer Messe. Rund 30 verschiedene Menschen befragte sie zu ihrer Arbeit und ihren Gewohnheiten. Aus diesem Material arbeitete sie sechs verschiedene Typen für wir schlafen nicht raus. Weiterhin sind alle Antworten im Text im Konjunktiv geschrieben, so, als würde der Leser einen Zeitungsbericht lesen. Klar ist jedoch, dass die Antworten literarisch aufgearbeitet wurden, die Gespräche bewegen sich zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Röggla spielt also mit den Grenzen zwischen literarischen und nichtliterarischen Genres.

Durch diese Zurückhaltung der Interviewenden sind die Figuren gezwungen, ständig zu reden. Zuerst preisen sie die heutzutage verlangten Leistungsanforderungen an Arbeitnehmer an, berichten fast schon stolz, wie sie ihren Schlaf runterschrauben, bemerken jedoch später, dass sie sich völlig an die Strukturen der Arbeitswelt angepasst haben. Sie sind nur noch Gespenster, deren Individualität abhanden gekommen und nicht mehr zu retten ist.

Diese bittere Erkenntnis wird in wir schlafen nicht auch auf einer sprachlichen Eben dargestellt. Die Figuren sind von Hektik und Stress getrieben, verhaspeln oder wiederholen sich ständig. Arbeit und immerwährende Leistungsbereitschaft haben sie verinnerlicht. Erst später beruhigt sich das Sprechtempo, Atemlosigkeit schlägt in eine Langsamkeit um. Die Figuren denken über sich selbst nach. Einzig und allein die Praktikantin entzieht sich dem Wahnsinn auf der Messe. Mithilfe ihres neutralen Blicks von außen durchschaut alles und steigt einfach aus.

Mit wir schlafen nicht gelingt Kathrin Röggla es, allein mit sprachlichen Mitteln Kritik an modernen wirtschaftlichen Prozessen auszuüben, ohne einen Romanhelden zu stellen. Ob der Roman auch eine Warnung an meine Generation ist? Vielleicht. Ich bin jedenfalls auf die Leipziger Buchmesse gespannt.

Kathrin Röggla: wir schlafen nicht. Fischer. Frankfurt am Main 2004. 224 Seiten. 8,95 Euro.

Siehe auch Leseprojekt 2016



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