Wir lesen: Schnitzer der Reigen ABI 2014 Kapitel 9

Der Dichter und die Schauspielerin

Ein Zimmer in einem Gasthof auf dem Land.

Es ist ein Frühlingsabend; über den Wiesen und Hügeln liegt der Mond; die Fenster stehen offen.

Große Stille.

Der Dichter und die Schauspielerin treten ein; wie sie hereintreten, verlöscht das Licht, das der Dichter in der Hand hält.

Dichter Oh...

Schauspielerin Was ist denn?

Dichter Das Licht. – Aber wir brauchen keins. Schau, es ist ganz hell. Wunderbar!

Schauspielerin sinkt am Fenster plötzlich nieder, mit gefalteten Händen.

Dichter Was hast du denn?

Schauspielerin schweigt.

Dichter zu ihr hin Was machst du denn?

Schauspielerin empört Siehst du nicht, daß ich bete?

Dichter Glaubst du an Gott?

Schauspielerin Gewiß, ich bin ja kein blasser Schurke.

Dichter Ach so!

Schauspielerin Komm doch zu mir, knie dich neben mich hin. Kannst wirklich auch einmal beten. Wird dir keine Perle aus der Krone fallen.

Dichter kniet neben sie hin und umfaßt sie.

Schauspielerin Wüstling! – Erhebt sich Und weißt du auch, zu wem ich gebetet habe?

Dichter Zu Gott, nehm' ich an.

Schauspielerin Großer Hohn Jawohl! Zu dir hab' ich gebetet.

Dichter Warum hast du denn da zum Fenster hinausgeschaut?

Schauspielerin Sag mir lieber, wo du mich da hingeschleppt hast, Verführer!

Dichter Aber Kind, das war ja deine Idee. Du wolltest ja aufs Land – und gerade hieher.

Schauspielerin Nun, hab' ich nicht recht gehabt?

Dichter Gewiß; es ist ja entzückend hier. Wenn man bedenkt, zwei Stunden von Wien – und die völlige Einsamkeit. Und was für eine Gegend!

Schauspielerin Was? Da könntest du wohl mancherlei dichten, wenn du zufällig Talent hättest.

Dichter Warst du hier schon einmal?

Schauspielerin Ob ich hier schon war? Ha! Hier hab' ich jahrelang gelebt!

Dichter Mit wem?

Schauspielerin Nun, mit Fritz natürlich.

Dichter Ach so!

Schauspielerin Den Mann hab' ich wohl angebetet! –

Dichter Das hast du mir bereits erzählt.

Schauspielerin Ich bitte – ich kann auch wieder gehen, wenn ich dich langweile!

Dichter Du mich langweilen?... Du ahnst ja gar nicht, was du für mich bedeutest... Du bist eine Welt für sich... Du bist das Göttliche, du bist das Genie... Du bist... Du bist eigentlich die heilige Einfalt... Ja, du... Aber du solltest jetzt nicht von Fritz reden.

Schauspielerin Das war wohl eine Verirrung! Na! –

Dichter Es ist schön, daß du das einsiehst.

Schauspielerin Komm her, gib mir einen Kuß!

Dichter küßt sie.

Schauspielerin Jetzt wollen wir uns aber eine gute Nacht sagen! Leb wohl, mein Schatz!

Dichter Wie meinst du das?

Schauspielerin Nun, ich werde mich schlafen legen!

Dichter Ja – das schon, aber was das gute Nacht Sagen anbelangt... Wo soll denn ich übernachten?

Schauspielerin Es gibt gewiß noch viele Zimmer in diesem Haus.

Dichter Die anderen haben aber keinen Reiz für mich. Jetzt werd' ich übrigens Licht machen, meinst du nicht?

Schauspielerin Ja.

Dichter zündet das Licht an, das auf dem Nachtkästchen steht Was für ein hübsches Zimmer... und fromm sind die Leute hier. Lauter Heiligenbilder... Es wäre interessant, eine Zeit unter diesen Menschen zu verbringen... doch eine andre Welt. Wir wissen eigentlich so wenig von den andern.

Schauspielerin Rede keinen Stiefel und reiche mir lieber diese Tasche vom Tisch herüber.

Dichter Hier, meine Einzige!

Schauspielerin nimmt aus dem Täschchen ein kleines, gerahmtes Bildchen, stellt es auf das Nachtkästchen.

Dichter Was ist das?

Schauspielerin Das ist die Madonna.

Dichter Die hast du immer mit?

Schauspielerin Die ist doch mein Talisman. Und jetzt geh, Robert!

Dichter Aber was sind das für Scherze? Soll ich dir nicht helfen?

Schauspielerin Nein, du sollst jetzt gehn.

Dichter Und wann soll ich wiederkommen?

Schauspielerin In zehn Minuten.

Dichter küßt sie Auf Wiedersehen!

Schauspielerin Wo willst du denn hin?

Dichter Ich werde vor dem Fenster auf und ab gehen. Ich liebe es sehr, nachts im Freien herumzuspazieren. Meine besten Gedanken kommen mir so. Und gar in deiner Nähe, von deiner Sehnsucht sozusagen umhaucht... in deiner Kunst webend.

Schauspielerin Du redest wie ein Idiot...

Dichter schmerzlich Es gibt Frauen, welche vielleicht sagen würden... wie ein Dichter.

Schauspielerin Nun geh endlich. Aber fang mir kein Verhältnis mit der Kellnerin an. –

Dichter geht.

Schauspielerin kleidet sich aus. Sie hört, wie der Dichter über die Holztreppe hinuntergeht, und hört jetzt seine Schritte unter dem Fenster. Sie geht, sobald sie ausgekleidet ist, zum Fenster, sieht hinunter, er steht da; sie ruft flüsternd hinunter Komm!

Dichter kommt rasch herauf; stürzt zu ihr, die sich unterdessen ins Bett gelegt und das Licht ausgelöscht hat; er sperrt ab.

Schauspielerin So, jetzt kannst du dich zu mir setzen und mir was erzählen.

Dichter setzt sich zu ihr aufs Bett Soll ich nicht das Fenster schließen? Ist dir nicht kalt?

Schauspielerin O nein!

Dichter Was soll ich dir denn erzählen?

Schauspielerin Nun, wem bist du in diesem Moment untreu?

Dichter Ich bin es ja leider noch nicht.

Schauspielerin Nun, tröste dich, ich betrüge auch jemanden.

Dichter Das kann ich mir denken.

Schauspielerin Und was glaubst du, wen?

Dichter Ja, Kind, davon kann ich keine Ahnung haben.

Schauspielerin Nun, rate.

Dichter Warte... Na, deinen Direktor.

Schauspielerin Mein Lieber, ich bin keine Choristin.

Dichter Nun, ich dachte nur.

Schauspielerin Rate noch einmal.

Dichter Also du betrügst deinen Kollegen... Benno

Schauspielerin Ha! Der Mann liebt ja überhaupt keine Frauen... weißt du das nicht? Der Mann hat ja ein Verhältnis mit seinem Briefträger!

Dichter Ist das möglich! –

Schauspielerin So gib mir lieber einen Kuß!

Dichter umschlingt sie.

Schauspielerin Aber was tust du denn?

Dichter So quäl mich doch nicht so.

Schauspielerin Höre, Robert, ich werde dir einen Vorschlag machen. Leg dich zu mir ins Bett.

Dichter Angenommen!

Schauspielerin Komm schnell, komm schnell!

Dichter Ja... wenn es nach mir gegangen wäre, wär' ich schon längst... Hörst du...

Schauspielerin Was denn?

Dichter Draußen zirpen die Grillen.

Schauspielerin Du bist wohl wahnsinnig, mein Kind, hier gibt es ja keine Grillen.

Dichter Aber du hörst sie doch.

Schauspielerin Nun, so komm, endlich!

Dichter Da bin ich. Zu ihr.

Schauspielerin So, jetzt bleib schön ruhig liegen... Pst... nicht rühren.

Dichter Ja, was fällt dir denn ein?

Schauspielerin Du möchtest wohl gerne ein Verhältnis mit mir haben?

Dichter Das dürfte dir doch bereits klar sein.

Schauspielerin Nun, das möchte wohl mancher...

Dichter Es ist aber doch nicht zu bezweifeln, daß in diesem Moment ich die meisten Chancen habe.

Schauspielerin So komm, meine Grille! Ich werde dich von nun an Grille nennen.

Dichter Schön...

Schauspielerin Nun, wen betrüg' ich?

Dichter Wen?... Vielleicht mich...

Schauspielerin Mein Kind, du bist schwer gehirnleidend.

Dichter Oder einen... den du selbst nie gesehen... einen, den du nicht kennst, einen – der für dich bestimmt ist und den du nie finden kannst...

Schauspielerin Ich bitte dich, rede nicht so märchenhaft blöd.

Dichter ... Ist es nicht sonderbar... auch du – und man sollte doch glauben. – Aber nein, es hieße dir dein Bestes rauben, wollte man dir... komm, komm – –komm –

Schauspielerin Das ist doch schöner, als in blödsinnigen Stücken spielen... was meinst du?

Dichter Nun, ich mein', es ist gut, daß du doch zuweilen in vernünftigen zu spielen hast.

Schauspielerin Du arroganter Hund meinst gewiß wieder das deine?

Dichter Jawohl!

Schauspielerin ernst Das ist wohl ein herrliches Stück!

Dichter Nun also!

Schauspielerin Ja, du bist ein großes Genie, Robert!

Dichter Bei dieser Gelegenheit könntest du mir übrigens sagen, warum du vorgestern abgesagt hast. Es hat dir doch absolut gar nichts gefehlt.

Schauspielerin Nun, ich wollte dich ärgern.

Dichter Ja, warum denn? Was hab' ich dir denn getan?

Schauspielerin Arrogant bist du gewesen.

Dichter Wieso?

Schauspielerin Alle im Theater finden es.

Dichter So.

Schauspielerin Aber ich hab' ihnen gesagt: Der Mann hat wohl ein Recht, arrogant zu sein.

Dichter Und was haben die anderen geantwortet?

Schauspielerin Was sollen mir denn die Leute antworten? Ich rede ja mit keinem.

Dichter Ach so.

Schauspielerin Sie möchten mich am liebsten alle vergiften. Aber das wird ihnen nicht gelingen.

Dichter Denke jetzt nicht an die anderen Menschen. Freue dich lieber, daß wir hier sind, und sage mir, daß du mich liebhast.

Schauspielerin Verlangst du noch weitere Beweise?

Dichter Bewiesen kann das überhaupt nicht werden.

Schauspielerin Das ist aber großartig! Was willst du denn noch?

Dichter Wie vielen hast du es schon auf diese Art beweisen wollen... hast du alle geliebt?

Schauspielerin O nein. Geliebt hab' ich nur einen.

Dichter umarmt sie Mein...

Schauspielerin Fritz.

Dichter Ich heiße Robert. Was bin denn ich für dich, wenn du jetzt an Fritz denkst?

Schauspielerin Du bist eine Laune.

Dichter Gut, daß ich es weiß.

Schauspielerin Nun sag, bist du nicht stolz?

Dichter Ja, weshalb soll ich denn stolz sein?

Schauspielerin Ich denke, daß du wohl einen Grund dazu hast.

Dichter Ach deswegen.

Schauspielerin Jawohl, deswegen, meine blasse Grille! – Nun, wie ist das mit dem Zirpen? Zirpen sie noch?

Dichter Ununterbrochen. Hörst du's denn nicht?

Schauspielerin Freilich hör' ich. Aber das sind Frösche, mein Kind.

Dichter Du irrst dich; die quaken.

Schauspielerin Gewiß quaken sie.

Dichter Aber nicht hier, mein Kind, hier wird gezirpt.

Schauspielerin Du bist wohl das Eigensinnigste, was mir je untergekommen ist. Gib mir einen Kuß, mein Frosch!

Dichter Bitte sehr, nenn mich nicht so. Das macht mich direkt nervös.

Schauspielerin Nun, wie soll ich dich nennen?

Dichter Ich hab' doch einen Namen: Robert.

Schauspielerin Ach, das ist zu dumm.

Dichter Ich bitte dich aber, mich einfach so zu nennen, wie ich heiße.

Schauspielerin Also Robert, gib mir einen Kuß... Ah! Sie küßt ihn Bist du jetzt zufrieden, Frosch? Hahahaha.

Dichter Würdest du mir erlauben, mir eine Zigarette anzuzünden?

Schauspielerin Gib mir auch eine.

Er nimmt die Zigarettentasche vom Nachtkästchen, entnimmt ihr zwei Zigaretten, zündet beide an, gibt ihr eine.

Schauspielerin Du hast mir übrigens noch kein Wort über meine gestrige Leistung gesagt.

Dichter Über welche Leistung?

Schauspielerin Nun.

Dichter Ach so. Ich war nicht im Theater.

Schauspielerin Du beliebst wohl zu scherzen.

Dichter Durchaus nicht. Nachdem du vorgestern abgesagt hast, habe ich angenommen, daß du auch gestern noch nicht im Vollbesitze deiner Kräfte sein würdest, und da hab' ich lieber verzichtet.

Schauspielerin Du hast wohl viel versäumt.

Dichter So.

Schauspielerin Es war sensationell. Die Menschen sind blaß geworden.

Dichter Hast du das deutlich bemerkt?

Schauspielerin Benno sagte: Kind, du hast gespielt wie eine Göttin.

Dichter Hm!... Und vorgestern noch so krank.

Schauspielerin Jawohl; ich war es auch. Und weißt du warum? Vor Sehnsucht nach dir.

Dichter Früher hast du mir erzählt, du wolltest mich ärgern, und hast darum abgesagt.

Schauspielerin Aber was weißt du von meiner Liebe zu dir. Dich läßt das ja alles kalt. Und ich bin schon nächtelang im Fieber gelegen. Vierzig Grad!

Dichter Für eine Laune ist das ziemlich hoch.

Schauspielerin Laune nennst du das? Ich sterbe vor Liebe zu dir, und du nennst es Laune –?!

Dichter Und Fritz...?

Schauspielerin Fritz?... Rede mir nicht von diesem Galeerensträfling! –


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