“Wir greifen keine Menschen an”

Von Nicsbloghaus @_nbh

Der hei­lige Putz der Kirchen und ande­rer Religionen brö­ckelt, der Regen der Aufklärung scheint ihn weg­zu­put­zen. Religionskritische Satire hat Hochkonjunktur. Vor allem im Internet und in den sozia­len Netzwerken tau­chen immer häu­fi­ger reli­gi­ons­kri­ti­sche Karikaturen auf.

Eine kleine Schar von Humanisten und Humanistinnen hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Karikaturen zu sam­meln und inter­es­sier­ten kri­ti­schen Geistern ein Forum zu ver­schaf­fen. Unter dem Namen „Religioten & Co.“ – ange­lehnt an der eng­li­schen Wortschöpfung “Religulous” aus dem gleich­na­mi­gen Film mit Bill Maher und Schmidt-Salomons Wortspiel – agiert die Facebookseite und nimmt reli­giö­sen aber auch ideo­lo­gi­schen Wahnsinn auf die Schippe. Unter dem Motto Siegmund Freuds “Den Wahn erkennt nicht, wer selbst ihn teilt.” ver­brei­ten sie Karikaturen, Zitate und Videos mit religions- und gesell­schafts­kri­ti­schen Inhalten.

Der hpd traf die Administratoren zu einem Interview.

hpd: Wie seid Ihr auf die Idee mit der facebook-Seite gekom­men? Wollt Ihr nur pro­vo­zie­ren oder habt Ihr ein dar­über hin­aus gehen­des Ziel?

Religioten & Co.: “Nur pro­vo­zie­ren?” – das ist gar nicht so ein­fach, glaub uns! Aber mal Spaß bei­seite. Natürlich wol­len wir nicht nur pro­vo­zie­ren, wobei die Provokation per Nomen ja schon das “Hervorrufen” bzw. “Herausfordern” beinhal­tet. Denn wir wol­len bewir­ken, dass die Menschen über die Vielfältigkeit an Irrationalitäten und den man­nig­fal­ti­gen Wahnsinn in unse­rer Gesellschaft nach­den­ken und dis­ku­tie­ren. Es gibt einen Haufen davon – und der stinkt uns gewal­tig. Ob es die enge Verbundenheit zwi­schen Staat und Kirche ist, für die wir alle drauf­zah­len müs­sen, sei es der ver­deckte aber auch offen­sive Hass auf Homosexuelle, das völ­lig alter­tüm­li­che und schänd­li­che Frauenbild oder die hirn­ris­si­gen reli­giö­sen Traditionen der Kindesbeschneidung – es gibt so viele Felder abzu­gra­sen, dass wir manch­mal gar nicht wis­sen, wo wir anfan­gen sol­len. Hinzu kom­men solch irr­sin­nige “New Age-Pseudowissenschaften” wie Homöopathie oder Ideologien, die den Religionen gar nicht so unähn­lich sind.

Wir sehen uns als eine auf­klä­rende Satire-Seite, die in der Tat sehr pla­ka­tiv auf das Ungleichgewicht zwi­schen Unvernunft und Vernunft auf­merk­sam machen will. Wir hegen nicht den Anspruch auf abso­lute Wahrheit, das kann schon des­halb nicht funk­tio­nie­ren, weil wir uns inner­halb der Redaktion nicht immer eins sind. Daher set­zen wir sehr viel Wert auf die Diskussionsrunden in den Threads, in denen es oft­mals hef­tig zur Sache geht. Vielleicht ist das auch das Geheimnis des Erfolges die­ser Seite. Die Leute kön­nen sich hier ein­brin­gen, ins Gespräch kom­men. Manchmal gestal­ten sich ganze Abende als Gesprächsrunden. Wir begrei­fen uns da nicht nur als Moderatoren son­dern dis­ku­tie­ren flei­ßig mit.

Uns ist bewusst, dass unsere Seite nur ein Einstieg, quasi ein Sprungbrett in das weite Feld der Religionskritik, der huma­nis­ti­schen Szene sein kann. Daher ver­wei­sen wir immer wie­der auf tief­grei­fende und enga­gierte Aktionen, Organisationen und Gruppierungen, in denen wir manch­mal auch selbst enga­giert sind. Es ist ja nicht so, dass wir nur bunte Bildchen malen.

Wir sind im Übri­gen keine homo­gene Gruppe von Administratoren son­dern haben völ­lig unter­schied­li­che Biographien. Eine Administratorin bei­spiels­weise wuchs in einem streng mus­li­misch gepräg­ten Land auf und hat sich den Fesseln des Islams ent­rei­ßen kön­nen.

Seit wann gibt es die Seite?

Am 08. August die­sen Jahres fei­ern wir unse­ren ers­ten Geburtstag. Wir hät­ten nie­mals gedacht, dass unsere Seite so ein­schlägt. Anfangs haben wir uns über 500 Fans wie Bolle gefreut, dass wir dach­ten, mehr geht nicht. Doch die Gemeinschaft hörte nicht auf zu wach­sen, Woche für Woche kamen mehr und mehr User hinzu, schrie­ben uns Nachrichten, gaben uns Tipps, Empfehlungen und teil­ten unsere Bilder. Irgendwann lief alles Hand in Hand. Trotzdem freuen wir uns immer noch über jeden neuen Fan.

Wie viele Leser/Fans habt Ihr jetzt? Wie viele erreicht Ihr damit?

Mittlerweile haben wir mehr als 20.000 Fans. Unsere Beitragsreichweite schwankt der­zeit zwi­schen 400.000 bis eine Million User wöchent­lich. Unsere Seite wird täg­lich bis zu 2.000-mal auf­ge­ru­fen und unsere Beiträge wer­den im Schnitt mit ca. 600 “Likes” hono­riert.

Die Ansprüche unse­rer Fans stei­gen, und wir müs­sen uns ganz schön stre­cken, die­sen gerecht zu wer­den. Jeder Thread ist quasi auch immer eine Prüfung an uns selbst.

Welche Reaktionen gibt es?

Oh, da gibt es die unter­schied­lichs­ten Reaktionen. Die meis­ten haben natür­lich zustim­men­den Charakter. Viele Menschen füh­len sich ver­stan­den, fin­den hier ihre Ansichten als fokus­siert dar­ge­stellt und ergän­zen die Beiträge durch die Kommentare. Besonders bei aktu­el­len Anlässen, die wir sati­risch auf­grei­fen, wie bei­spiels­weise die Missbrauchsskandale oder die Beschneidungsdebatte, merkt man, wie sen­si­bi­li­siert mitt­ler­weile die Gesellschaft ist. Aber auch hier merkt man, dass die “Religioten & Co.”-Gemeinschaft nicht homo­gen fun­giert son­dern die Themen aus sehr unter­schied­li­chen Blickwinkeln betrach­tet wer­den.

Und dann gibt es noch die abso­lut ableh­nen­den Reaktionen. Diese rea­gie­ren – bis auf wenige Ausnahmen, die tat­säch­lich einen inhalt­li­chen Diskurs anstre­ben – oft extrem trot­zig, radi­kal und unhöf­lich. Nicht sel­ten errei­chen uns Nachrichten vol­ler Beschimpfungen und Drohungen. Wir ver­su­chen, das dann auch immer mit Humor zu neh­men, manch­mal ent­wi­ckeln sich dadurch völ­lig neue Konzepte, wie die Rubrik “Religiot der Woche”, in denen wir dann sol­che radi­ka­len und hirn­ris­si­gen Kommentare öffent­lich zur Diskussion stel­len – natür­lich anony­mi­siert. Im Gegenzug hono­rie­ren wir natür­lich auch wirk­lich gewitzte oder unse­res Erachtens bemer­kens­werte Kommentare im “Wort zum Sonntag” – oder wel­cher Tag dann auch immer sein mag.

Ihr wollt als Macher der Facebookseite “Religioten und Co.” gern anonym blei­ben. Weshalb? Habt Ihr vor den von Euch Angegriffenen Angst?

Um es mal mit Evelyn Hamann zu sagen: “Da regt mich ja die Frage schon auf!” Von uns Angegriffenen? Wir grei­fen hier keine Menschen an, wir atta­ckie­ren scharf, aber es zielt auf Systeme, ob Religionen, Ideologien oder Scharlatanerie. Es steht dem erwach­se­nen Menschen frei, sich die­sen Systemen unter­zu­ord­nen oder diese abzu­leh­nen. Fühlt sich jemand stell­ver­tre­tend belei­digt, sollte er sich fra­gen, wie tief er sich die­sem System bereits unter­ge­ord­net hat, dass er die Attacken so sehr auf sich selbst bezieht. Ein “Religiot” ist unse­res Erachtens auch nicht – und dar­auf wei­sen wir auch immer wie­der hin – ein Gläubiger per se, son­dern immer nur jemand, der reli­giös moti­viert idio­tisch han­delt.

Aber zurück zur Frage: Natürlich wür­den wir gern Gesicht zei­gen, aber wir müs­sen lei­der die Drohungen – auch gewalt­be­rei­ten – ernst neh­men. Wie oft wurde uns schon ein “Besuch” ange­kün­digt. Allein schon unse­ren Müttern gegen­über sind wir zur Anonymität ver­pflich­tet. Anscheinend sind sie sehr begehrt, denn jede vierte Nachricht endet mit “Ich komme und f**** deine Mutter!” Die Umsetzung die­ser Angebote kön­nen wir nun wirk­lich nicht zulas­sen. Beispielgebend ist diese Audionachricht, die wir letz­tens von einem schreib­fau­len Religioten bekom­men haben.

So wit­zig das auch klingt, natür­lich spielt Angst eine Rolle. Und das ist trau­rig, dass Satire, gerade wenn sie sich gegen Religionen rich­tet, solch aggres­sive Reaktionen her­vor­ruft. Und uns kotzt diese Angst an. Sie sollte jedoch nicht als Zensor für die Würze und Schärfe unse­rer Beiträge fun­gie­ren. Dem ent­ge­hen wir durch die Anonymisierung der Administratoren.

Ihr arbei­tet ja mit eini­gen Zeichnern und Karikaturisten zusam­men. Bekommen die auch außer­halb von Facebook Reaktionen?

Oh – das ist das Schönste an unse­rer Arbeit. Anfangs waren wir noch vor­sich­tig, da es ja auch eine recht­li­che Grauzone beinhal­tet. Ungern posi­tio­nie­ren wir ja Bilder ohne Quellverweise. Irgendwann schrie­ben uns auch Karikaturisten an und stell­ten uns ihre Zeichnungen zur Verfügung. Durch die Verlinkung auf deren Seiten ent­stand eine gewisse win-win-Situation: Wir erhiel­ten qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gere Zeichnungen und wir ver­schaff­ten ihnen mehr Traffic. Nach und nach wuchs unser Freundeskreis zu ver­schie­de­nen Karikaturisten. Und so kam es dann auch, dass uns vier Karikaturisten je einen der vier Affen – unser Markenzeichen – zeich­ne­ten.

Dürfen wir unsere Karikaturisten mal grü­ßen?

Natürlich!

Hallo liebe Karikaturisten! Wir sind euch unend­lich dank­bar! Ihr seid das Blut die­ser Seite, ohne euch gäbe es uns nicht! Wir lie­ben euch!

Wo soll es hin­ge­hen. Was steht in Zukunft an?

Religioten & Co. Also als ers­tes möch­ten wir am 08. August mit unse­ren Fans unse­ren ers­ten Geburtstag fei­ern. Leider geht das ja nicht vis á vis. So wer­den wir wohl online mit ihnen ein paar Flaschen köp­fen und ihnen für die Treue dan­ken, uns mit ihnen unter­hal­ten und abhän­gen.

Uns schwir­ren einige Ideen in den Köpfen, wie wir auf humor­vol­ler Ebene noch mehr Menschen für den Humanismus und die huma­nis­ti­sche Szene – viel­leicht auch außer­halb des vir­tu­el­len Lebens – begeis­tern kön­nen. Lassen wir uns über­ra­schen. Da kommt noch viel.

Das Interview führte ich für den hpd.