Wir brauchen Bass!
Was hat ein Konzerthaus wie das Leipziger Gewandhaus davon, einen Abend mit Techno, House und Popmusik zu gestalten? Auf den ersten Blick nur sehr viel Ärger: Betrunkene, rauchende Jugendliche, die sich durch die verwinkelten Gänge schieben und Bier verschütten. Laute Musik, die das gesamte Gebäude zum Dröhnen bringt und die üblichen Konzertgänger abschreckt. Und jede Menge Überstunden für die Angestellten durch Öffnungszeiten bis sonntagmorgens um 6 Uhr. Warum findet am heutigen Samstag trotzdem zum fünften Mal die Audio Invasion im Gewandhaus statt?
Eine Antwort ist naheliegend: Die Hochkultur bangt um den Nachwuchs im Publikum. Das Land ist stolz auf seine kulturelle Bedeutung, vergöttert Bach und Mozart und steckt viel öffentliches Geld in Orchester, Philharmonien und Konzerthäuser. Und während die Budgets der sogenannten Hochkultur die von popkulturellen Veranstaltungen noch immer um ein Vielfaches übersteigen, machen viele jüngere Menschen einen großen Bogen um klassische Konzerte, Opern und Theater.
Deshalb wird vielerorts massiv um die Jugend gebuhlt, zumeist mit Crossover-Konzepten: Pop trifft Klassik, Mainstream trifft Hochkultur, Jugend trifft Alter. Nach diesem Motto verfahren inzwischen eine ganze Reihe bekannter Konzerthäuser und Theater in Deutschland. Angefangen hat alles mit einem Theater in Ostberlin: der Volksbühne. Unter dem Intendanten Frank Castorf begann der ehemalige Spex-Chefredakteur Christoph Gurk neben dem normalen Theaterstücken auch Bands auf die Bühne zu holen.
Der elitäre Anspruch blieb natürlich immer bestehen. Grundsätzlich werden keine Künstler auf die Bühne gebracht, die auch ohne die Unterstützung öffentlicher Gelder große Hallen füllen – Coldplay und Lady Gaga gibt es deshalb nicht in deutschen Theatern. Vielmehr sollte auch unter den Popmusikern ein geselschaftskritischer, intellektuell angehauchter Kunstgedanke ausgeprägt sein. Lieblinge der Theater- und Konzerthausszene sind Bands wie Get Well Soon, Sufjan Stevens oder The Notwist, Pop mit Anspruch.
Ganz Deutschland Cross-Over
Inzwischen hat sich das Konzept in ganz Deutschland herumgesprochen. Das Münchner Kultur- und Bildungszentrum Gasteig, zu dem auch die Philharmonie gehört, feierte im Sommer 2010 mit dem großen Festival Gasteig Element seinen 25. Geburtstag. Hier prallten nicht nur Pop und Klassik aufeinander, sondern ganze Welten: Jazz, Tanz, Comedy, Magie, Clownerie – alles, was man sich auf einer Bühne vorstellen kann.
Dagegen wirkt die Pop-Reihe des Dortmunder Konzerthauses unter dem Titel Pop-Abo zurückhaltender. Hier spielen ausgewählte Musiker meist ruhige Musik, die ohne Clowns und Comedy auskommt. Im aktuellen Spieljahr gaben sich Dear Reader und Miss Li die Ehre, das nächste Highlight ist die Band Junip.
Neben der Berliner Volksbühne und dem Dortmunder Konzerthaus haben sich inzwischen die Tonhalle Düsseldorf, die Liederhalle Stuttgart, die Kölner Philharmonie und das Leipziger Centraltheater als Bühne für anspruchsvollen Pop und Elektro etabliert. Andere Häuser wie die Berliner Philharmonie oder das Bremer Konzerthaus Glocke halten sich vorsichtig zurück – man möchte das Stammklientel mit solchen musikalischen Gratwanderungen offenbar nicht vergraulen.
Welcher Ansatz auf Dauer besser funktioniert, ist schwer zu sagen. Klar ist: Die wenigsten Besucher, die im Gewandhaus zur Musik der Skandalnudel Peaches tanzen, kommen nächste Woche zum Großen Concert des Gewandhausorchesters wieder. Die Macher können sich allerdings schon im Vorfeld beglückwünschen. Das einleitende Große Concert der Audio Invasion ist restlos ausverkauft.
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Konzerthäuser – Wir brauchen Bass!
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