Winters Reise

Von Guidorohm

Winter geht hin und wieder auf Reisen. Das ist gut so, denn ein Mann wie Winter kann nicht Jahr für Jahr nur in seiner Wohnung hocken, würde er sich dort doch allmählich in ein Stück Literatur verwandeln.
Also packt Winter seine Reisetasche. Koffer liegen ihm nicht so sehr; er vertraut auf die nostalgische Magie einer großen Reisetasche, in die nicht nur sein Laptop, sondern auch sein Adler, dreißig ausgewählte Romane sowie einige Schrumpfköpfe passen. Die Schrumpfköpfe waren das Geschenk eines Kopfjägers, dem Winter bei einem seiner letzten Reisen das Leben rettete. Aber das ist eine andere Geschichte, die vielleicht auch einmal erzählt werden will.
Winter, hat er seine Reisetasche erst mit Inhalt gefüllt, baut im Arbeitszimmer vier knarrende Stühle auf, die ihm als Kutsche dienen. Sind die Pferde dann angespannt, kniet sich Winter auf den Boden und studiert die sich dort befindlichen Kratzer, die ihm in diesem Moment keine Kratzer mehr sind, sondern einzig Flüsse und Straßen, die es zu überqueren und befahren gilt. Er wählt sich eine besonders gefährliche Strecke nach Alexandria, will er sich dort doch mit einem Mann namens Aleister Crowley treffen, einem Satanisten und Humoristen, der, so teilte er es Winter vor einigen Wochen per Kopftelegramm mit, an einem Buch schreibe. Es würde ein magisches Meisterwerk entstehen, schriebe er doch im Auftrag eines Dämonen namens Hans Block, der sich nach Alexandria verirrt habe. Da Block nichts Besseres zu tun habe, diktiere er Crowley die viertausend teuflischen Wahrheiten, die jeden, der sie in seine Hände bekäme, anleiten könnten, wie die Welt in Acht und Bann zu schlagen sei.
Winter verstaut die Reisetasche auf dem hinteren linken Stuhl und steigt dann auf den hinteren rechten Stuhl, sind die vorderen Stühle doch für die Kutscher reserviert. Zwei Kutscher müssen es schon sein, denn die Gesundheit des Personals geht vor.
Die Peitsche schwirrt durch die Luft. Die Pferde, wilde Biester aus einem Gestüt jenseits der Vorstellungskraft, bäumen sich auf und schießen im nächsten Augenblick von dannen. Winter wird tief in das Holz der einfach ausgestatteten Kutsche gedrückt.
Zunächst fahren sie durch den dunklen Dunkelwald, einem Wald, in dem Räuber ihr Unwesen treiben. Winter schreckt das nicht. Er hat den Hahn seiner Waffe gespannt. Er sitzt am Fenster und hofft darauf, sie einsetzen zu dürfen. Aber Räuber lassen sich in dieser ersten Nacht seiner Reise nicht blicken. Enttäuscht, keine Schusswunde verursacht zu haben, nickt Winter gegen Mitternacht ein. Er träumt, er würde sich in seiner Wohnung befinden. Ein sonderbarer und absurder Traum, der ihn bei Sonnenaufgang aufschrecken lässt. Winter wirft einen Blick aus dem Fenster. Verwundert reibt er sich die Augen. Sie durchreisen eine Wüste. Sandkorn auf Sandkorn. Hier ist nichts als Einsamkeit zu erlegen. Also beugt sich Winter nach draußen, um den Kutscher auf seine Irrfahrt hinzuweisen. Der Kutscher aber reagiert nicht. Er peitscht die armen Pferde, die es kaum noch durch den Sand schaffen. Nach einigen Metern bleiben sie stehen. Die Reise nach Alexandria läuft Gefahr zu versanden. Winter öffnet die Tür. Er steigt aus und steht in seinem Arbeitszimmer. So hatte er sich das nicht ausgedacht. Er klopft sich den Sand aus den Hosen und stellt die Stühle zurück. Er wird seinen Freund Crowley über dieses Desaster informieren müssen. Rasch gibt er ein Kopftelegramm auf. Nachdem das erledigt ist, lässt er sich ein heißes Bad ein. Winter steigt seufzend in die Wanne. Er schließt die Augen. Er öffnet sie. Er kann es nicht fassen. Er treibt auf dem offenen Meer. Weit und breit nur Wasser. Winter verdreht die Augen und schwimmt. Nichts anderes bleibt ihm zu tun. Winter hofft auf Rettung, und sollte gar nichts mehr helfen, dann wird er dieses Meer wohl aussaufen müssen.