Winters Kopfbibliothek

Winter hat eine Leiter aufgestellt, hat er doch an diesem Morgen beschlossen, sich einmal einen Besuch abzustatten. Er kleidet sich traditionell. Er trägt die Tracht der Geheimen Schriftersteller, die aus einer Cordhose und einem Cordsakko besteht. Hose und Sakko sind mit Tintenklecksen übersät; auch an den unvermeidlichen Schnäuzer und die Pfeife dachte Winter, beließ sie dann aber doch unbeachtet in der Kommode, die sich ob ihrer scheinbaren Nutzlosigkeit in eine Ecke des Raumes verrückte, nicht ohne Kratzspuren zu hinterlassen, um derart Winter auf sein Fehlverhalten aufmerksam zu machen. Kommodenschubladen wollen gezogen werden. Derlei weiß eigentlich jedes noch so kleine Kind. Nur Winter scheint dieses Wissen entwischt zu sein, und ja, beobachtet man sein Zimmer aus den Augenwinkeln, dann kann man das eine oder andere Wissensmäuschen über den Boden huschen sehen.
Schon steht Winter bereit. Er klettert auf die erste Sprosse der Leiter, winkt seinem Spiegel zum Abschied und kraxelt dann weiter. Sprosse für Sprosse schiebt er den eigenen Körper Richtung Stirn; schon hat er seine Nase passiert, die ihm wunderschön aber auch irgendwie gefährlich anmutet.
Dann ist Winter am Ziel. Er öffnet eine knarrende Tür an der Stirn und betritt wagemutig seinen Kopf. Größere und Kleinere wie Winter, spielt doch die Körpergröße hier keine Rolle, sind schon beim Eintritt in den eigenen Kopf verrückt geworden. Winter schreckt dies nicht.
Winter sieht sich um. Viele der Bücher liegen achtlos auf Tischen. Das kann er so nicht lassen. Er wird für Ordnung sorgen müssen, zumal sich in diesem Abteil seine ungeschriebenen Bücher befinden. All seine noch nicht verfassten Romane, Erzählungen, Novellen und Theaterstücke sind hier zu finden. Er packt zu, tüchtig und ohne auf sich zu achten. Er wiegt einen Roman von sich in der Hand. Liest den Titel: Getünchte Wände. Hm, denkt Winter, er kann nicht glauben, dereinst einen Roman mit einem solchen Titel zu schreiben. Da müsste es doch schon mit dem Teufel zugehen. Er schüttelt sich angewidert ob all der unaussprechlichen Titel seiner kommenden Werke. Das Schloss des Doktor Bleifluss. Nein, schreit es in Winter. Die amourösen Abenteuer eines gewissen Samuel Leinsamen. Winter hält inne. Er schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Er hätte sich diesen Besuch in seinem Kopf ersparen sollen. Das konnte nicht gut gehen. Rasch kehrt er um. Er klettert auf die Leiter hinaus. Er atmet die abgestandene Luft seines Zimmers. Dieser Ausflug wird ihm noch lange beschäftigen. Winter beschließt: Keine Wanderungen mehr ins Selbst.



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