Textilien sind schon längst mehr als simpler Stoff. Dank neuer chemischer, thermischer und vor allem mechanischer Eigenschaften revolutionieren sie seit einiger Zeit Architektur und Fahrzeugbau. Es entstehen neue Ansätze in der Gestaltung, die unsere klassischen Vorstellungen ad absurdum führen: Fahrzeuge erhalten eine flexible Karosserie, Gebäude eine veränderliche Struktur und flexible Zeltkonstruktionen ermöglichen eine mobile Architektur.
Nun eröffnen Weiterentwicklungen textiler Materialien neue Formen von Windkraftwerken. So arbeiten Wissenschaftler in Brandenburg und Delft beispielsweise daran, Lenkdrachen für die Energiegewinnung nutzbar werden zu lassen. Unter Verwendung ultraleichter Textilien ist ein neues Kraftwerksprinzip entstanden, das dem Bewegungsablauf eines JoJos ähnelt. Dabei steigt das Segel an einem Seil in den Himmel und vollzieht eine stabile Bewegung in Form einer liegenden Acht. So wie wir es vom Drachenspiel am Strand kennen. Für eine stabile Flughöhe sind Phasen des Auf- und Abwickelns notwendig, die sich für das Abgreifen von Energie nutzen lassen. Denn fliegt der Drache quer zum Wind, zieht der Drachen mit maximaler Kraft am Seil, was für die Stromproduktion genutzt werden kann. Doch es muss auch Energie investiert werden, um den Drachen in seine stabile Lage zurückzuholen. Dieser Reinvest ist allerdings bedeutend kleiner, so dass Flugdrachenkraftwerke zu 80% ihrer Betriebszeit Energie erzeugen können. Niederländische Wissenschafter der TU Delft kalkulieren, dass man mit einem 500 qm großen Flug-Kite den Megawatt-Bereich erreichen könnte. In einem anderen Projekt zur Energieerzeugung setzen visionäre Architekten von Chetwood Associates aus London ein Segel aus hochfestem Textil ein, um ein Windstauwerk an einem tief eingeschnittenen Tal aufzubauen und die gesamten Luftbewegungen auf eine Turbine zu leiten. Die Architekten berechneten, dass sich mit einer solchen Technik unter Verwendung eines 2000 qm großen Segels aus Kevlarfasern eine Leistung von 120 MW erreichen ließe. Konzipiert wurde der so genannte “Wind Dam” für ein Tal am Ladogasee in der Nähe der Grenze zwischen Russland und Finnland.
Das automatisierte Drachensystem von Festo macht ebenfalls durch ein zukunftsweisendes mechatronisches System und durch intelligente Regelungstechnik die Kräfte der Natur beherrschbar.
Weitere innovative Anwendungen textiler Werkstoffe findet man im Buch „Materialrevolution – Nachhaltige und multifunktionale Werkstoffe für Design und Architektur“.
Weiterführende Links:
> lr.tudelft.nl
[Autor: Dr. Sascha Peters ist Gründer und Inhaber von HAUTE INNOVATION – Agentur für Material und Technologie aus Berlin. www.haute-innovation.com]