Willkommen in der neuen Welt: Betrachtungen nach der Trump-Wahl

Vor einer Woche haben die Amerikaner Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, obwohl viele dachten, Hillary Clinton hätte den Sieg schon sicher. Wie konnte man auch ahnen, dass man dort drüben, im Land der Religion, der strengen gesellschaftlichen Normen, einen stinkreichen Steuerhinterzieher, Rassisten und Sexisten ins weiße Haus hiefen würde? Die Frage nach dem Warum und nach dem “wie weiter” muss jetzt gestellt werden.

Ich muss zugeben, dass ich zutiefst geschockt war, als ich so nach und nach erlebte, wie sich das Wahlergebnis verfestigte. Es war eine Nacht des Schreckens, doch dem Schrecken folgte Einsicht. Ich gebe zu: Ihr, die ihr am lautesten schreit, die ihr die meiste Wut habt, ihr habt gewonnen. Die Leisen, Freundlichen, die mitmenschlichen Idealisten, die ihr grünlinksversifte Gutmenschen nennt, haben verloren, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Ihr habt die Macht am Stammtisch, in den Medien und im gesellschaftlichen Diskurs. Ihr habt uns geschlagen, die wir nicht mit Fäusten, sondern mit Worten und mit Idealismus stritten und lebten, einem Idealismus, in den wir uns warm und kuschelig eingenistet hatten. Ihr habt gewonnen, und die gefühlt friedliche Welt der Zeit vor und nach der sogenannten Wende kriegen wir nicht zurück.

Wenn der erste Schock sich zu setzen beginnt, stellt man sich die unweigerliche Frage: Wer ist schuld? Wer hat versagt? Hier ist die unangenehme Antwort: Wir alle, soweit wir Teil einer Weltgesellschaft sind, zu der auch die USA gehören. Wir, die wir glaubten, bestimmte Errungenschaften sicher zu haben, die nicht mehr hinterfragt werden dürfen. Wir alle, die linksliberale Elite, die sich in ihrem Lebensstil von den Abgehängten, die sie einst vertrat, massiv abgewandt hat und in der High Society angekommen ist. In den letzten Jahren haben wir alle auf die pöbelnden Außenseiter geblickt, den Kopf geschüttelt, für eine Weile versucht, mit ihnen zu debattieren und uns dann zurückgezogen. Die Pöbler waren rückständig, von Natur aus Faschisten, Nazis, Rassisten. Sie standen schon in der Ecke, bevor sie wirklich Rassisten wurden, denn wir wollten uns unsere Errungenschaften nicht wegnehmen, unsere politische Korrektheit nicht hinterfragen lassen. Wir waren doch im Recht, hatten endlich aus der Vergangenheit gelernt, konnten in Demokratie, Geschlechtergleichheit, sexueller Offenheit, Multikulturalismus und Behindertengleichstellung die Früchte des langen Kampfes um unsere eigene Emanzipation von den Großeltern genießen. Wer Angst um seine Zukunft, um seinen Platz in dieser aufgeklärten, gebildeten, freien Gesellschaft hatte, und wer diese Angst mit lauten Worten, geballten Fäusten und einer gehörigen Portion Wut äußerte, den haben wir gefürchtet, ausgegrenzt und in die Schublade des gewaltbereiten Faschisten gesteckt. Und ich fürchte, wir haben es zu schnell getan, viel zu schnell. Dabei ist es das Wesen von Toleranz und Demokratie, dass man andere Meinungen zunächst einmal aushält, dass man sie sich anhört, dass man sie erwägt, dass man sie respektiert und zu verstehen versucht. Wir, und ich nehme mich da nicht aus, aber haben geglaubt, der Versuch, eine Meinung zu begreifen, sei gleichbedeutend damit, sie zu teilen, den mühsam eroberten Boden preiszugeben. Wir haben die ungebildeten, weißen Heteromänner bestenfalls verspottet und verlacht, haben sie von oben herab betrachtet, denn wir waren zivilisatorisch über sie hinaus gewachsen, dachten wir. Wir waren gegen Ausgrenzung, und haben doch selbst welche Betrieben, und zwar bevor es notwendig wurde. Wir haben diese Masse wütender Menschen, die ihre Sicherheit und ihren Platz verloren haben, ratlos wachsen sehen, ohne zu versuchen, sie einzubinden, denn sie waren ja unseren Werten nicht verpflichtet, und wir bestimmten, zumindest in ihren Augen, die Geschicke der Gesellschaft. Das, was wir immer hochgehalten haben –
Integration, Toleranz, demokratischer Streit – galt nicht für jene, vor denen wir uns schon fürchteten, als ihre Wut nicht nur beherrschbar, sondern auch berechtigt war. Hatten wir sie nicht selbst einst gehabt, damals 1968, wir oder unsere Vorfahren, als es darum ging, gegen das Establishment, gegen die Väter zu rebellieren? Nun rebellieren die Väter und ein Teil der Kids gegen uns. Wir haben sie nicht ernst genommen, als es noch möglich gewesen wäre. Natürlich können wir einen Teil der Schuld auf die neoliberale Politik abwälzen, auf die Entfremdung der Sozialdemokratie und der Grünen in ganz Europa von den Mühseligen und Beladenen, aber auch dies ist ein Ausdruck dieser gesellschaftlichen Entwicklung. Die Sozialdemokraten und Grünen haben sich dem gebildeten, aufgeklärten und fortschrittlichen Bürgertum zugewandt, der sogenannten neuen Mitte. Sie haben die vergessen, die vom Traum der Globalisierung, der Bildung, der Frauenquote und der gleichgeschlechtlichen Ehe nicht profitieren. Das Schlimme ist nicht, dass wir deren Ansichten nicht nachgaben, sondern dass wir sie ignorierten, nicht beachteten, den Grund ihrer Wut lange nicht sehen wollten. Dabei sind sie, auch wenn ihre Meinung uns nicht passt, Teil des demokratischen Spektrums, solange und so weit sie nicht gewalttätig werden oder die Grundrechte Anderer einzuschränken versuchen. Für diese wachsende Gruppe der Unzufriedenen war unser Korsett politischer Korrektheit einengend, und daher laufen sie heute dem Demagogen hinterher, der ihnen die Befreiung von diesen scheinbaren Fesseln verspricht und sie ihnen vorlebt.

Damit ist für mich klar: Die Wähler von Donald Trump sind nicht dumm, das ist eine herabqualifizierung und zeugt schon wieder von Arroganz. Die Wähler von Donald Trump wollen ihre alten, sicheren Plätze in der Gesellschaft zurück. Sie sehnen sich nach Ordnung, Klarheit, Verlässlichkeit, und sie wollen gleichzeitig die Regeln unserer heutigen Konsenzkultur übertreten. In Ihnen hat sich so viel Hass und Wut angesammelt, dass sie nun ihren Aggressionen freien Lauf lassen wollen, diesen Aggressionen, die sich in den USA gegen den politischen Filz in Washington, gegen Migranten, Farbige, Homosexuelle und selbstbewusste Frauen richten. Jetzt, wo die Wut einen Siedepunkt erreicht hat, ist sie gefährlich, jetzt können die Massen von Trump gesteuert werden. Seine Lügen, seine Gesetzesübertretungen, seine Steuerhinterziehungen und sein unermesslicher Reichtum sind ihnen egal, wenn sie nur Migranten verjagen können, um wieder wer zu sein und Arbeit zu bekommen, und wenn sie Frauen angrabschen können, um sich und anderen zu beweisen, wie toll sie sind. Nun haben sie bald einen im weißen Haus sitzen, der ihnen, so glauben sie, ihren rechtmäßigen Platz zurückgibt, ganz gleich, was er sonst noch tut.

Und was können wir nun tun? Ich fürchte, dass uns eine sehr schwere Zeit ins Haus steht. Knapp ein viertel der wahlberechtigten US-Bürger hat Donald Trump ins weiße Haus gebracht. Wir müssen uns vor Augen halten, dass es nicht die Mehrheit der Amerikaner war, die ihn gewählt hat, sondern eine gut mobilisierte Gruppe, die keinesfalls mehr als 35 oder 40 % der US-Amerikaner ausmacht. Damit besteht zumindest die Chance, dass Donald Trump in seiner Präsidentschaft einen Teil seines Schreckens einbüßt und sich ein wenig den üblichen Spielregeln der Politik annähert. Erste Anzeichen gib es bereits, ein paar seiner radikalsten Wahlkampfforderungen sind von seiner Website verschwunden. Trotzdem bleibt der neue Mann im weißen Haus unberechenbar, und alles kann passieren. Er kann einen Mafiastaat der Milliardäre aufbauen, den es in Ansätzen ja schon gibt, er kann die Atombombe einsetzen, schließlich ist sie, nach seinen Worten, ja dafür mal konstruiert worden, er kann mit Russland zusammenarbeiten, China wirtschaftlich oder militärisch angreifen, oder aber im weißen Haus sitzen und zuschauen, wie sein Vizepräsident eine normale, republikanische Politik macht. Wir wissen einfach nicht, was geschehen wird. Dieser Zustand macht Angst, aber es ist nun einmal so. Wir hier in Deutschland können uns nur militärischen und wirtschaftlichen Abenteuern der neuen USA widersetzen, die europäische Zusammenarbeit stärken, die EU demokratisieren und regionalisieren, uns gegen die Diktatoren und die Großkonzerne und ihre Lobby stellen. Und jeder von uns kann sich engagieren, sei es in Parteien oder Nichtregierungsorganisationen, wir können auf die Straße gehen und uns Gehör verschaffen, wir können selbst demokratisch und offen sein und einander zuhören.

Natürlich ist gerade die demokratische Offenheit ein schwerer Gang. Marine Le Pen könnte nächstes Jahr französische Präsidentin werden, die AFD wird sicher in den Bundestag einziehen, in Polen und Ungarn sind bereits Ansätze für Diktaturen vorhanden. Müssten wir da nicht Stärke zeigen? Natürlich müssen wir das. Diese rechten Parteien, die jetzt entstanden sind und überall an die Macht drängen, die sind bereits radikal, die haben dasStadium des Zweifels hinter sich gelassen, das Stadium der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Sie stellen offen die Machtfrage, und sie haben sich vom Grundkonsenz der demokratischen Gesellschaft entfernt. Sie bekämpfen keine Auswüchse mehr, sie bekämpfen das System, sie wollen anderen ihre Lebensmöglichkeiten entziehen, sie wollen zerstören. Doch auch hier gilt: Solange sie sich selbst an die demokratischen Spielregeln halten und nur unliebsame Meinungen präsentieren, solange haben wir uns mit ihnen auch auf demokratische Weise auseinanderzusetzen.

Diese neue Zeit zerstört vieles von dem, was uns lieb geworden ist, worin wir uns eingerichtet haben. Das macht Angst. Wichtig ist, dass wir nicht allein sind, niemand von uns. Wichtig ist, dass wir gemeinsam aufstehen für unsere Demokratie und ein friedliches Miteinander zwischen den Völkern, den Nationen, in unserer Stadt und in unserem eigenen Zuhause. Wir müssen dieses Ideal des Miteinander leben, sonst verzweifeln wir.

Leseempfehlungen: Bei den folgenden Empfehlungen habe ich bewusst auf englische Texte verzichtet, obwohl sie bisweilen tiefer in die gesellschaftliche und konstitutionelle Krise blicken, als es deutsche Medien tun.
Frau Meike sagt: Alles nicht so schlimm?
Franz-Josef Hanke: Wir leben in seltsamen Zeiten – Aufstehen für Demokratie Frau Meike sagt: Hass
Jochen Bittner in “die Zeit”: Die Ameribellion
Adrian Daub in “Die Zeit”: Das Ende der Aufklärung
Älterer zeit-Artikel von Elisabeth Raether: Was macht die Autoritären so stark?
Hasnain Kazim in “Der Spiegel”: Donald Trump – Sein Sieg bringt die Demokratie in Gefahr
Nils Markwardt in “Die Zeit”: Donald Trump – Klassenkampf von ganz oben

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