Dieser Text wurde (auch) auf der Netzseite des ARD- Magazins "Panorama" wiedergegeben. Das Magazin "Panorama" zählt zwar zu den kritischeren Sendeformaten der GEZ- Hofberichterstattung, kann aber nur als Bestandteil staatlich- oligarchischer Einlullungstaktik begriffen werden. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Der (un-)mündige Bürger soll sein Vertrauen in das System nicht verlieren. Denn Propaganda findet keineswegs nur auf Blöd- und Bunte- Niveau statt. Ob nun in der Berichterstattung zu viel weggelassen wird, mangelnde Konsequenz in der Darstellung vorherrscht oder das Benennen von Alternativen vermisst wird, die Palette der Vorwürfe ist groß. Dennoch stellt so mancher dieser Berichte für den Normalbürger einen Augenöffner dar, obwohl alles Dargestellte eigentlich längst bekannt war.
In diesem Sinne erfüllen diese Berichte ihren Zweck; im Kampf gegen die geistige Blindheit dieser Zeit. So gesehen kann man froh sein, dass es solche Sendeformate noch gibt. Die andere Seite der Medaille ist allerdings, dass solche Sendeformate nicht wirklich verändern helfen, sondern weit mehr kontraproduktiv sind. Der Normalbürger wird zwar gefüttert, doch bleibt er auf Diät. Eine Diät, die er selbst finanziert; die ihm Freiheiten (seine, der Presse,...) vorgaukeln, die es so nicht gibt. Die "vierte Gewalt" im Lande ist keine kontrollierende, sondern eine manipulierende. Und daran kann auch der folgende Bericht nichts ändern, vorausgesetzt, er wäre überhaupt aus diesem Grunde entstanden.
In letzter Zeit wird von einschlägigen deutschen Medien wie der Bild-Zeitung mit dem Finger auf Griechenland gezeigt: Schaut, wie korrupt die sind! Schaut, wie unfähig sie sind! – Diese ständigen Angriffe auf ein anderes Volk haben den für die deutschen Betreiber und die Politik angenehmen Nebeneffekt, dass wir als sauber und vernünftig dastehen. Die Attacken auf Griechenland dienen der Selbstbeweihräucherung.
Dazu gibt es jedoch keinerlei Anlass. Denn unser Land in der Mitte Europas ist inzwischen zu einem Hort der politischen Korruption und daraus folgender politischen Entscheidungen geworden. Panorama hat mit seinen Beiträgen über Carsten Maschmeyer und Gerhard Schröder, über Walter Riester und Bert Rürup am Fall der Riester-Rente und Rürup-Rente gezeigt, wie es bei uns zugeht. Wir zerstören das Vertrauen in eines der besten Systeme der Altersvorsorge, die Gesetzliche Rente, damit private daran verdienen können.
Die Leipziger Volkszeitung veröffentlichte am 26. August ein paar interessante, amtliche Zahlen zum Vorgang: 36,7 Milliarden Euro sind seit 2002, dem Beginn der Riester-Rente, in diese so genannte Altersvorsorge angelegt worden. In dieser Summe sind 8,2 Milliarden staatlicher Förderung enthalten. Fast sechs Milliarden des Gesamtbetrages sind auf die Konten der Versicherungskonzerne, der Finanzdienstleister und Banken geflossen - als Verwaltungskosten, Vertriebskosten, Provisionen. Nur 84 Prozent der von den Sparern und den Steuerzahlern bezahlten Summe sind also für die Rente angelegt, 16 Prozent flossen in die Kassen der privaten Organisatoren der Privatvorsorge. Zum Vergleich: die Organisation der Gesetzlichen Rente durch die Deutsche Rentenversicherung kostet ungefähr 1,5 Prozent, also ein Zehntel dessen, was die Privatvorsorge verschlingt. Noch ein wichtiger Vergleich: Fast die gesamte staatliche Förderung, konkreter die Förderung durch alle Steuerzahler, ob wir “riestern” oder nicht, wird von den privaten Versicherungen, Banken und Finanzdienstleistern geschluckt.
Wie war das möglich? Zum Beispiel so, wie es bei Panorama beschrieben worden ist: Im Dezember 1997 wurde anlässlich eines SPD Parteitages in Hannover zwischen dem damaligen Parteivorsitzenden Lafontaine und seinem potentiellen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur im Wahljahr 1998, Gerhard Schröder, vereinbart, dass man diese Entscheidung bei einem Wahlparteitag im Frühjahr 1998 treffen wolle. Dazwischen lag die Landtagswahl in Niedersachsen, wo Gerhard Schröder als Ministerpräsident zur Wiederwahl anstand. Der überaus umsichtige Finanzdienstleister Carsten Maschmeyer griff beherzt in die Kanzlerkandidatenentscheidung der SPD ein. Er organisierte eine Kampagne für Schröder. Hauptschlagzeile: “Ein Niedersachse muss Bundeskanzler werden.” Das zog bei den niedersächsischen Wählerinnen und Wählern. Schröder wurde mit absoluter Mehrheit zum Ministerpräsidenten gewählt. Damit war entschieden, wer Kanzlerkandidat der SPD werden sollte. Denn es musste nach diesem furiosen Wahlsieg Schröders seinem Konkurrenten Lafontaine aussichtslos erscheinen, beim Wahlparteitag der SPD im April 1998 anzutreten.
Schröder und die SPD gewannen im Herbst 1998 mit kräftiger Unterstützung des Vorsitzenden der SPD Lafontaine die Bundestagswahl, Schröder wurde Bundeskanzler und der Vizechef der IG-Metall Walter Riester wurde sein Arbeits- und Sozialminister. Innerhalb einer beachtlich kurzen Zeit, nämlich rechtzeitig für den Beginn zum 1.1.2002, war dann entschieden worden, dass es zusätzlich zur Gesetzlichen Rente eine staatlich geförderte private Vorsorge geben sollte: die Riester-Rente und die Rürup-Rente. Als das Werk vollendet und angelaufen war, jubelte Carsten Maschmeyer: Nach der Verlagerung von der staatlichen zur privaten Altersvorsorge stehe die Finanzdienstleistungsbranche “vor dem größten Boom, den sie je erlebt hat”. “Sie ist ein Wachstumsmarkt über Jahrzehnte.” “Es ist … so, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen. … Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß und sie wird sprudeln”, schrieb die Netzeitung im Juni 2005.
Wie wir jetzt aus der zitierten Auskunft des Bundesfinanzministeriums wissen, sind bisher fast sechs Milliarden € aus der Ölquelle geflossen.
Dieser Coup zu Gunsten privater Interessen und zulasten des Steuerzahlers wurde dadurch erleichtert, dass seit Beginn der Operation, seit dem Bundestagswahlkampf 1998 eine massive Propaganda gegen die solidarische Altersvorsorge, gegen die Gesetzliche Rente,gemacht wird. Daran haben sich auch Bundesministerien und öffentliche Stellen beteiligt: das Bundessozialministerium, Volkshochschulen, sogar die Deutsche Rentenversicherung und viele Medien und die Banken und Versicherungen sowieso machen unentwegt Reklame gegen die solidarische Rentenversicherung – der Generationenvertrag trage nicht mehr, es gebe zu viele Alte und zu wenig Junge usw. Ein furioses Propagandafeuerwerk hilft den privaten Interessen. Dass die Privatvorsorge zehnmal mehr kostet als die Gesetzliche Rente und dass wir als Steuerzahler nahezu vollständig die „Ölquelle“ von Herrn Maschmeyer und seinen Kollegen finanzieren, haben uns die Propagandisten nicht erzählt.
Wichtige politische Entscheidungen, das sieht man in diesem Beispiel, fallen, damit Private daran verdienen. Ein typisches Merkmal einer Bananenrepublik. Die führenden Kräfte in Griechenland könnten von Deutschland lernen, wie man verschleiert, dass wir in einer Bananenrepublik leben. Die Griechen haben das nämlich inzwischen durchschaut, die Deutschen noch nicht.
Nachtrag: Maschmeyer und Schröder, Riester und Rürup, und all die andern, die im konkreten Fall den privaten Interessen mit Steuergeldern zu Diensten sind, haben dies rein zufällig und nie im Leben absichtlich getan. Von Korruption kann keine Rede sein. Sie haben aus Verantwortung für das Ganze gehandelt und wie man am Ergebnis sieht, allenfalls aus Dummheit und nicht aus böser Absicht. Sie haben nicht gemerkt, dass sie unser Steuergeld den privaten Interessen zuschieben. So ist das eben in einer Bananenrepublik: die schrägen politischen Entscheidungen sind entweder die Folge von Dummheit oder von politischer Korruption. Dumm oder korrupt? Keine gute Alternative. Da wir friedliche Bürger sind, die allen handelnden Personen in Politik und Wissenschaft Gutes unterstellen, tippen wir auf Dummheit.
*Albrecht Müller, Diplom-Volkswirt, war Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt. Dann Bundestagsabgeordneter der SPD. Heute Herausgeber von www.nachdenkseiten.de