Willkommen im Käfig

Von Nicsbloghaus @_nbh

Esoterische Vorstellungen erfreuen sich gro­ßer Popularität und sind zum flä­chen­de­cken­den Geschäftsmodell gewor­den (siehe auch hier). Wie das funk­tio­niert, hat der Tiroler Psychologe Johannes Fischler unter­sucht. Mit “New Cage: Esoterik 2.0″ hat er einen lesens­wer­ten Erklärungsversuch vor­ge­legt.

Wieso fal­len gebil­dete Menschen auf den Eso-Schmäh her­ein? Wer in aller Welt geht zum “Energetiker”? Warum grei­fen ein­schlä­gige Vorstellungen, von “Energieflüssen” ange­fan­gen bis zu “Schutzengeln” so um sich? Wieso dringt man zu Menschen am Eso-Trip so schwer durch? Was macht Eso-Anbieter zu so erfolg­rei­chen Geschäftsleuten? Wie kann ein Mensch völ­lig in die Szene hin­ein­kip­pen?

Diesen Fragen geht Johannes Fischler in einem Buch “New Cage: Esoterik 2.0” nach. Der Psychologe hat jah­re­lang in der Szene recher­chiert, sich in ein­schlä­gi­gen Internetforen und Online-Shops her­um­ge­trie­ben und inko­gnito Messen in Öster­reich und Süddeutschland besucht. Es gibt wohl kaum ein Handbuch einer grö­ße­ren Esoterik-Bewegung, das er nicht gele­sen hat.

Von der Wellness zur Esoterik

Die akri­bi­sche Recherche för­dert Zusammenhänge zutage, die man auch als inter­es­sier­ter und kri­ti­scher Beobachter der Szene über­sieht. Fischler zeigt auf 260 Seiten (plus Quellen und Erläuterungen) auf, wie sehr sich der Esoterik-Boom aus dem Wellness-Hype speist, aus einem Streben nach “Individualisierung” und “Authentizität”. Wie sehr die Profiteure der Szene auf psy­cho­lo­gi­sche Mechanismen zurück­grei­fen, die man aus ande­ren Feldern kennt.

Die neuen Strategien

Fischler kon­zen­triert sich dar­auf, die Mechanismen auf­zu­zei­gen, die Menschen dazu brin­gen, sich Esoterikern in die Arme zu wer­fen. Und dort zu blei­ben, ohne dass sie, wie frü­her, gleich zum Guru zie­hen. Sondern selbst zum Guru wer­den. Die Szene, belegt Fischler, hat sich gewan­delt. Heute baut der Esoterik-Jünger, von ihm tref­fend User genannt, sei­nen Käfig selbst. Der Guru/Verkäufer lei­tet nur ein wenig an und mani­pu­liert mit­tels Rahmenbedingungen und Gruppendruck.

Ein Paradigmenwechsel hat statt­ge­fun­den – nicht nur bei der Esoterik. Die Wurzeln ver­or­tet Fischler woan­ders. Geschicktes Marketing 2.0, die Schein-Ermächtigung des Individuums durch den Anbieter, die Historifizierung des Mythos, all das hat Vorbilder in der “wirk­li­chen” Welt. Die abso­lut mar­kengläu­bige Community eines grö­ße­ren Elektronikherstellers und die Kryon-Community fol­gen über weite Teile den glei­chen psy­cho­lo­gi­schen Mechanismen. Nur, dass Kryon die Spirale so lange wei­ter­dreht, bis man ganz drau­ßen ist aus der Wirklichkeit.

Mut zur Lücke

Im Gegenzug ver­zich­tet der Autor auf Aspekte, die man sonst in so gut wie allen kri­ti­schen Werken zur Esoterik fin­det. Historische Exkurse gibt es so gut wie nicht. Auch die natur­wis­sen­schaft­li­che Kritik unter­bleibt. Es gibt auch kein eige­nes Kapitel, in dem die aktu­ell wich­ti­gen Akteure und Strömungen bzw. Trends vor­ge­stellt wer­den. Erläuterungen zu etli­chen Anbietern fin­den sich – je nach Kontext – über das ganze Buch ver­streut. Man kann hier durch­aus vom Mut zur Lücke spre­chen.

Klare, ver­ständ­li­che Sprache

Das macht “New Cage” für Einsteiger viel­leicht etwas schwe­rer ver­ständ­lich. Andererseits wäre das auch kaum mehr als Behübschung (und wozu kann man dem Leser Literaturempfehlungen am Buchende mit­ge­ben?). Auch sorgt die klare und häu­fig iro­ni­sche Sprache dafür, dass das Werk auch für Nicht-Experten ver­ständ­lich bleibt. Experten-Jargon wird durch­wegs über­setzt, so ihn Fischler über­haupt ver­wen­det.

Wer sich ob beruf­lich oder pri­vat kri­tisch mit dem Eso-Boom aus­ein­an­der­setzt, wird eine Fülle neuer Gedankengänge und Informationen fin­den, die man so am deutsch­spra­chi­gen Buchmarkt bis­her ver­geb­lich gesucht hat.

Außerdem: Was Fischler an Zynismus auf­zeigt, ent­zau­bert die Szene auch so. Sieht man die per­fide genutz­ten, aber letzt­lich bana­len, psy­cho­lo­gi­schen Prozesse, die die Szene befeu­ern, erschau­ert man deut­lich weni­ger und nicht mehr ganz so ehr­fürch­tig vor der “neuen Spiritualität”, wie das viel­leicht vor­her der Fall gewe­sen sein mag.

Nicht für Experten nütz­lich

“New Cage” ist ver­mut­lich nicht nur für aus­ge­wie­sene Experten eine nütz­li­che Ergänzung. Das Werk, für des­sen Entstehung per­sön­li­che Beobachtungen des Autors den Ausschlag gege­ben haben, rich­tet sich auch an Angehörige und Freunden von Menschen, die in die Eso-Spirale gera­ten sind. Es kann und will keine Gegenstrategien anbie­ten, aber es erleich­tert es mit Sicherheit, Gefahren zu erken­nen und Hilfe zu suchen. Wo man die fin­det, kann man auf den letz­ten Buchseiten nach­schla­gen.

Von den Menschen, die das Buch am drin­gends­ten benö­ti­gen wür­den, wird es ver­mut­lich nicht gele­sen wer­den. Wer auf dem Weg in den Neuen Käfig der “spi­ri­tu­el­len Welt” ist, hält Kritik von außen ohne­hin für Verrat. Dagegen kommt lei­der kein Autor an. Aber je mehr Menschen um die Manipulationsmechanismen der Szene Bescheid wis­sen, desto eher kann man ver­hin­dern, dass noch mehr Menschen in den Strudel ima­gi­nier­ter Welten lan­den.

Christoph Baumgarten

Johannes Fischler: New Cage: Esoterik 2.0 Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt - Wien, Molden Verlag, 288 Seiten - ISBN: 978-3-85485-321-3

[Erstveröffentlichung: hpd]