Diese lassen sich allesamt mit größtem geistigen Vergnügen lesen. Und wo Kishon an der Oberfläche bleibt, mehr oder weniger nur Individuelles aufs Korn nimmt, da geht Much in die Tiefe, wird also »gesamtgesellschaftlich« und sehr politisch. Wobei mit politisch weniger die Parteipolitik gemeint ist, sondern politisierende Religionsführer. Und hier beileibe nicht nur jüdische.
Ein Freund sagte dem Rezensenten vorab, es handele sich bei Much keinesfalls um Schenkelklopfersatire. Das kann bestätigt werden. Ebenso wie die Aussage, daß Muchs Geschichten sehr hintergründig seien. Das sind sie wahrlich. Allerdings warnte der Freund auch, daß diese Geschichten nicht immer leicht zu verstehen seien. Das aber kann so nicht bestätigt werden. Jedoch, gewisse Grundkenntnisse des Alten Testaments und der zeitgenössischen politischen Landschaft Israels sind schon vonnöten, um jeden geistigen Witz Muchs auch gänzlich zu verstehen. In jedem Fall aber ruft eine jede der 13 Satiren Schmunzeln und Nachdenklichkeit, ja ein Weiter-Denken, hervor.
Much betreibt Religionskritik im weitesten Sinne, meist ausgehend von Zitaten aus dem Alten Testament, bleibt aber nicht beim orthodoxen Judentum stehen, sondern bezieht nicht minder die beiden anderen monotheistischen Religionen ein. Wobei er nicht Religion an sich kritisiert, sondern vor allem und fast ausschließlich den Fundamentalismus, die Fundamentalismen. Und hierzu gehört für ihn auch ein religiös anmutender anderer Fundamentalismus: Esoterik und homöopathische Alternativmedizin. Wobei jener noch viel geschäftstüchtiger sei.
So schreibt Much im Prolog: »Esoterik ist heute ›in‹ und ein großes Geschäft, bei dem noch vorhandene abergläubische Vorstellungen, Unwissenheit, Dummheit und das Bedürfnis nach sanfter ›Naturmedizin‹, aber auch die Verzweiflung von Schwerkranken und deren Angehörigen schamlos ausgenutzt werden.« (S. 10) – Er macht das anhand der bittenbösen Geschichte »Ein Besuch im Kurhaus« auf die Spitze getrieben deutlich: Ein Kettenraucher (40 Stück täglich) leidet an Lungenkrebs und läßt sich dagegen »ganzheitlich« von esoterischen und astrologischen Kurpfuschern aller Art behandeln.
Der Band beginnt allerdings mit »Methusalems Memoiren«. Um die Absurdität solcher biblischer Überlieferungen deutlicher zu machen, bedient sich Much der Praktiken englisch-sprachiger TV-Serien-Produzenten: Die totale Vermischung von Kulturen und Zeitaltern; hier das gleichzeitige Vorkommen von Sauriern, Xanthippe, Thai-Massagen, des weisen Nathan und der Wunderarznei »Niagra« in Methusalems Lebensraum.
In »Himmlische Nachrichten« geht es um die Aufnahmekriterien in das allreligiöse Paradies: »Im Himmelsvorhof Nummer drei erfolgt die Zuordnung der Neuankömmlinge in streng getrennte, religiös definierte Bezirke, welche voneinander durch tiefe Gräben, Wachtürme, Mauern und Stacheldraht getrennt werden. Die Separierung der einzelnen Glaubensgruppen dient dem himmlischen Frieden, denn ansonsten würden die Paradiesinsassen sich gegenseitig missionieren, übereinander herfallen, heilige Siedlungen auf fremdem Territorium errichten und Glaubenskriege führen.« (S. 42)
Ins Paradies führen weitere Geschichten (wie »Einmal Himmel und retour«), meist auch verbunden mit touristischen Ausflügen in die Hölle. Hier geht es auf durchaus amüsante Art und Weise u.a. um die Glaubwürdigkeit biblischer Legenden, also um den Fundamentalismus an sich. Satiren wie diese vermögen solcherart vielleicht sogar besser zur Aufklärung beizutragen als es dies hochgelehrte Schriften tun.
Das gilt auch für eine israel-spezifische Satire »Als der Messias endlich kam«. Hier gilt Muchs Spott realen ultraorthodoxen Strömungen und Rabbinern, wie dem geistigen Führer der Shas-Partei Ovadia Josef und dem siebenten Rebbe der Chabad-Bewegung Menachem Mendel Schneerson, der von seinen Anhängern als kommender Messias angesehen wird. Beide errichten nun – zum Glück nur fiktiv – einen Gottesstaat nach den Geboten der Thora. Ziel ist es, die »Auferstehung« zu erreichen, welche auch »an einem regnerischen Freitag, an einem dreizehnten« ihren Anfang nimmt. Sowohl im Gottesstaat als auch nach der Auferstehung und dem Erreichen der Unsterblichkeit geht es immer grotesker und absurder zu.
Wobei Much hier die Absurdität biblischer Überlieferungen und ihrer heutigen fundamentalistischen Ausleger meint: »Die Einhaltung einzelner Gebote war aber mit einigen unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden. Denn wie sollte beispielsweise die biblische Schwagerehe – auch Levirate-Hochzeit genannt – geschlossen werden, wenn Ehemänner nicht mehr sterben, oder was nützt die Steinigung eines Verbrechers, wenn der Verurteilte unsterblich ist?« (S. 153)
Sehr welt-anschaulich wird Much in den Satiren »Neues von Einstein«, »Genesis«, »Unsterblich« sowie »Smokies Bart-Mizwa-Feier«. Hier erreicht der Satiriker Qualitäten, wie man sie sonst nur von Stanislaw Lem kennt.
Dem Katholizismus und dem Theodizee-Problem wendet sich der Autor in der Geschichte »Briefe an den lieben Gott« zu. Auch hier geht es um die Frage Aufklärung vs. Fundamentalismus. Das gilt auch die sehr kurze Geschichte, einem Brief Mephistos »An meine Paradiesjungfrauen«, wo es u.a. heißt: »Pikanterweise danken die Erdwesen, trotz all dieser für sie unerfreulichen Geschehnisse, täglich ihrem Schöpfer für all seine Fürsorge und Güte, mit der er sie umgibt.« (S. 119)
Gleich zwei Geschichten sind mit »Die Rückkehr der Engel« überschrieben. Es geht hier um die (nicht explizit so benannte) Ufologie: Die Engel sind eine vom Aussterben bedrohte Spezies und benötigen zum Arterhalt menschlicher Auffrischung. Und so wird das Raumschiff »Unterprise« unter dem Kommando von Captain Tiberius Kirark zu zwei Expeditionen auf die Erde entsandt; einmal in biblischer Zeit, das andere Mal in die Jetzt-Zeit.
Siegfried R. Krebs
Theodor Much: Willkommen im Jenseits. Satirische Erzählungen. 160 S. kart. Alibri-Verlag. Aschaffenburg 2013. 12 Euro. ISBN 978-3-86569-115-6Das Buch ist auch im Denkladen bestellbar.
[Erstveröffentlichung: hpd]