Willkommen im Jenseits

Willkommen im Jenseits - CoverBERLIN. (hpd) Wenn hier­zu­lande von jüdi­scher bzw. israe­li­scher Satire die Rede ist, dann fällt dem Durchschnittsbürger eigent­lich nur ein Name ein: Ephraim Kishon. Der Name des 1942 gebo­re­nen Arztes Theodor Much ist dage­gen so gut wie unbe­kannt. Dabei betä­tigt sich der Mediziner und Präsident einer jüdisch-liberalen Gemeinde Wiens schon seit Jahren als schrei­ben­der Satiriker. Der Alibri-Verlag hat nun mit »Willkommen im Jenseits« eine Sammlung von 13 Erzählungen Muchs vor­ge­legt.

Diese las­sen sich alle­samt mit größ­tem geis­ti­gen Vergnügen lesen. Und wo Kishon an der Oberfläche bleibt, mehr oder weni­ger nur Individuelles aufs Korn nimmt, da geht Much in die Tiefe, wird also »gesamt­ge­sell­schaft­lich« und sehr poli­tisch. Wobei mit poli­tisch weni­ger die Parteipolitik gemeint ist, son­dern poli­ti­sie­rende Religionsführer. Und hier bei­leibe nicht nur jüdi­sche.

Ein Freund sagte dem Rezensenten vorab, es han­dele sich bei Much kei­nes­falls um Schenkelklopfersatire. Das kann bestä­tigt wer­den. Ebenso wie die Aussage, daß Muchs Geschichten sehr hin­ter­grün­dig seien. Das sind sie wahr­lich. Allerdings warnte der Freund auch, daß diese Geschichten nicht immer leicht zu ver­ste­hen seien. Das aber kann so nicht bestä­tigt wer­den. Jedoch, gewisse Grundkenntnisse des Alten Testaments und der zeit­ge­nös­si­schen poli­ti­schen Landschaft Israels sind schon von­nö­ten, um jeden geis­ti­gen Witz Muchs auch gänz­lich zu ver­ste­hen. In jedem Fall aber ruft eine jede der 13 Satiren Schmunzeln und Nachdenklichkeit, ja ein Weiter-Denken, her­vor.

Much betreibt Religionskritik im wei­tes­ten Sinne, meist aus­ge­hend von Zitaten aus dem Alten Testament, bleibt aber nicht beim ortho­do­xen Judentum ste­hen, son­dern bezieht nicht min­der die bei­den ande­ren mono­the­is­ti­schen Religionen ein. Wobei er nicht Religion an sich kri­ti­siert, son­dern vor allem und fast aus­schließ­lich den Fundamentalismus, die Fundamentalismen. Und hierzu gehört für ihn auch ein reli­giös anmu­ten­der ande­rer Fundamentalismus: Esoterik und homöo­pa­thi­sche Alternativmedizin. Wobei jener noch viel geschäfts­tüch­ti­ger sei.

So schreibt Much im Prolog: »Esoterik ist heute ›in‹ und ein gro­ßes Geschäft, bei dem noch vor­han­dene aber­gläu­bi­sche Vorstellungen, Unwissenheit, Dummheit und das Bedürfnis nach sanf­ter ›Naturmedizin‹, aber auch die Verzweiflung von Schwerkranken und deren Angehörigen scham­los aus­ge­nutzt wer­den.« (S. 10) – Er macht das anhand der bit­ten­bö­sen Geschichte »Ein Besuch im Kurhaus« auf die Spitze getrie­ben deut­lich: Ein Kettenraucher (40 Stück täg­lich) lei­det an Lungenkrebs und läßt sich dage­gen »ganz­heit­lich« von eso­te­ri­schen und astro­lo­gi­schen Kurpfuschern aller Art behan­deln.

Der Band beginnt aller­dings mit »Methusalems Memoiren«. Um die Absurdität sol­cher bib­li­scher Über­lie­fe­run­gen deut­li­cher zu machen, bedient sich Much der Praktiken englisch-sprachiger TV-Serien-Produzenten: Die totale Vermischung von Kulturen und Zeitaltern; hier das gleich­zei­tige Vorkommen von Sauriern, Xanthippe, Thai-Massagen, des wei­sen Nathan und der Wunderarznei »Niagra« in Methusalems Lebensraum.

In »Himmlische Nachrichten« geht es um die Aufnahmekriterien in das all­re­li­giöse Paradies: »Im Himmelsvorhof Nummer drei erfolgt die Zuordnung der Neuankömmlinge in streng getrennte, reli­giös defi­nierte Bezirke, wel­che von­ein­an­der durch tiefe Gräben, Wachtürme, Mauern und Stacheldraht getrennt wer­den. Die Separierung der ein­zel­nen Glaubensgruppen dient dem himm­li­schen Frieden, denn ansons­ten wür­den die Paradiesinsassen sich gegen­sei­tig mis­sio­nie­ren, über­ein­an­der her­fal­len, hei­lige Siedlungen auf frem­dem Territorium errich­ten und Glaubenskriege füh­ren.« (S. 42)

Ins Paradies füh­ren wei­tere Geschichten (wie »Einmal Himmel und retour«), meist auch ver­bun­den mit tou­ris­ti­schen Ausflügen in die Hölle. Hier geht es auf durch­aus amü­sante Art und Weise u.a. um die Glaubwürdigkeit bib­li­scher Legenden, also um den Fundamentalismus an sich. Satiren wie diese ver­mö­gen sol­cher­art viel­leicht sogar bes­ser zur Aufklärung bei­zu­tra­gen als es dies hoch­ge­lehrte Schriften tun.

Das gilt auch für eine israel-spezifische Satire »Als der Messias end­lich kam«. Hier gilt Muchs Spott rea­len ultra­or­tho­do­xen Strömungen und Rabbinern, wie dem geis­ti­gen Führer der Shas-Partei Ovadia Josef und dem sie­ben­ten Rebbe der Chabad-Bewegung Menachem Mendel Schneerson, der von sei­nen Anhängern als kom­men­der Messias ange­se­hen wird. Beide errich­ten nun – zum Glück nur fik­tiv – einen Gottesstaat nach den Geboten der Thora. Ziel ist es, die »Auferstehung« zu errei­chen, wel­che auch »an einem reg­ne­ri­schen Freitag, an einem drei­zehn­ten« ihren Anfang nimmt. Sowohl im Gottesstaat als auch nach der Auferstehung und dem Erreichen der Unsterblichkeit geht es immer gro­tes­ker und absur­der zu.

Wobei Much hier die Absurdität bib­li­scher Über­lie­fe­run­gen und ihrer heu­ti­gen fun­da­men­ta­lis­ti­schen Ausleger meint: »Die Einhaltung ein­zel­ner Gebote war aber mit eini­gen unüber­wind­li­chen Schwierigkeiten ver­bun­den. Denn wie sollte bei­spiels­weise die bib­li­sche Schwagerehe – auch Levirate-Hochzeit genannt – geschlos­sen wer­den, wenn Ehemänner nicht mehr ster­ben, oder was nützt die Steinigung eines Verbrechers, wenn der Verurteilte unsterb­lich ist?« (S. 153)

Sehr welt-anschaulich wird Much in den Satiren »Neues von Einstein«, »Genesis«, »Unsterblich« sowie »Smokies Bart-Mizwa-Feier«. Hier erreicht der Satiriker Qualitäten, wie man sie sonst nur von Stanislaw Lem kennt.

Dem Katholizismus und dem Theodizee-Problem wen­det sich der Autor in der Geschichte »Briefe an den lie­ben Gott« zu. Auch hier geht es um die Frage Aufklärung vs. Fundamentalismus. Das gilt auch die sehr kurze Geschichte, einem Brief Mephistos »An meine Paradiesjungfrauen«, wo es u.a. heißt: »Pikanterweise dan­ken die Erdwesen, trotz all die­ser für sie uner­freu­li­chen Geschehnisse, täg­lich ihrem Schöpfer für all seine Fürsorge und Güte, mit der er sie umgibt.« (S. 119)

Gleich zwei Geschichten sind mit »Die Rückkehr der Engel« über­schrie­ben. Es geht hier um die (nicht expli­zit so benannte) Ufologie: Die Engel sind eine vom Aussterben bedrohte Spezies und benö­ti­gen zum Arterhalt mensch­li­cher Auffrischung. Und so wird das Raumschiff »Unterprise« unter dem Kommando von Captain Tiberius Kirark zu zwei Expeditionen auf die Erde ent­sandt; ein­mal in bib­li­scher Zeit, das andere Mal in die Jetzt-Zeit.

Siegfried R. Krebs

Theodor Much: Willkommen im Jenseits. Satirische Erzählungen. 160 S. kart. Alibri-Verlag. Aschaffenburg 2013. 12 Euro. ISBN 978-3-86569-115-6

Das Buch ist auch im Denkladen bestell­bar.

[Erstveröffentlichung: hpd]


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