Wildwechsel

Von Guidorohm

Joseph stürzt, Scheißdreck, Drecksbande, da raus, Joseph, groß, breit, stark, hinaus aus der Bank, er dreht sich noch einmal um, schüttelt den Kopf, dann geht er zum Auto, schließt die Tür auf, klemmt sich hinter das Steuer, Joseph, zu groß für seinen Wagen, zu groß für diese Kleinstadt, zu groß für das kleingeistige Denken der Bank, die ihm bereits im Rücken liegt, der Joseph gibt Gas, er fährt auf die Hauptstraße, Hupkonzert, der Joseph ist in Rage und signalisiert, alle weg hier, Autos bremsen, Fahrer schauen erschrocken, da ist der Joseph bereits fort, er gibt seinem Ford die Sporen, ein alter Wagen, denn Joseph kann sich keinen neuen Wagen leisten, der Joseph reist der untergehenden Sonne entgegen, aus seinem Mund tropfen noch letzte Flüche, Hurensöhne, ich könnte ja, ja, ich könnte ja mit der Jagdwaffe kommen, dann wollen wir mal sehen, ob ihr mir den Kredit gewährt oder nicht, der Joseph ist schon aus der Stadt draußen, er rast über die Landstraße dahin, überlegt, du musst dich abregen, sagt der Joseph sich, aber selbst für das Bordell hat er nun kein Geld, was tun, was tun, heim, pah, drauf geschissen, der Joseph schwitzt alle Weltmeere aus sich heraus, er bremst ab und steigt aus seinem alten Ford, er streicht dem Auto über das Dach, steht da mitten auf der Straße, sieht zum brennenden Abendhimmel hinauf, ja, du Arschloch, schimpft Joseph, erst schenkst du uns den Kapitalismus und dann lässt du uns hängen, damit wir daran kaputt gehen, schreit Joseph in den untergehenden Himmel hinein, direkt ins Orange und Rot hinein, aber auch das zeigt keine Wirkung, weil Gott, so denkt Joseph, wahrscheinlich ein Bankangestellter ist, der sitzt da oben und zählt die Toten, Joseph will nicht mehr, er wünscht sich hier weg, aber das geht nicht, die Schulden werden ihn auffressen, die Firma, denkt Joseph, ist weg, leckt mich doch alle tief in meinem Arschloch, und seine Frau und sein Sohn, die können ihn auch einmal tief in seinem Arschlock lecken, der Joseph hat einen Plan, der springt ihn hier auf der Landstraße an, ein wilder, frei herum streichender gefährlicher Plan, er könnte ja die Bank überfallen, verdient hätten es diese Arschlöcher in jedem Fall, diese gottverdammten Bastarde, da könnte er ja gleich noch den für ihn zuständigen Sachbearbeiter zu seinem Schöpfer schicken, gute Reise, wird Joseph murmeln, ganz beiläufig, so wie ihm der Kerl den Kredit verweigert hat, ganz beiläufig, stirb, Drecksau, stirb jetzt, wie in einem der Western, die sich Joseph so gerne ansieht und dann wird er mit seiner Beute in den Sonnenuntergang fahren, der Joseph fühlt sich schon ein wenig besser, befreiter, so könnte er es machen, dann hätte er auch noch eine Zukunft auf Erden, Gott sei verdammt bis in alle Ewigkeit, Amen, der Joseph setzt sich in sein Auto, klemmt sich hinter das Steuer, einen neuen Wagen wird er sich nach dem Überfall auch kaufen können, der Joseph fährt nach Hause, denn dort im Waffenschrank hängt eine Flinte, er wird die Flinte holen und es tun, der Joseph schnauft zufrieden, endlich, denkt er, endlich habe ich wieder Zukunftspläne, er fährt und fährt, er fährt an seinem Haus vorüber, er fährt tiefer in die Wälder hinein, in die dunklen Wälder, die so manches Geheimnis in ihrem Boden liegen haben, er fährt, bis er schließlich in eine Parkbucht fährt, er bremst, steigt aus, er legt den Kopf auf das Steuer und weint, der Joseph weint so hemmungslos wie ein kleiner Junge, der Joseph ist wieder ein kleines Kind, er weint all die nicht vergossenen Tränen der letzten Jahre aus sich heraus, er sitzt im Dunkel und horcht auf seinen Atem, er weiß, es ist alles vorbei, vorbei, vorbei, er flüstert sich das Wort immer wieder vor, vorbei, der Joseph, groß, breit, stark, der Unternehmer aus dem kleinen hessischen Ort, der nun hier im Wald an sein Ende denkt, der auch nach Hause fahren könnte, um sich zu erschießen, seine Frau, seinen Sohn, nein, nein, nein, vorbei, vorbei, vorbei, da taucht plötzlich im Kegel des Autoscheinwerfers ein Reh auf, der Joseph starrt es an und das Reh starrt den Joseph an und sie starren sich beide an, der Joseph lächelt, denn das Reh hat ihm zugeblinzelt, schon rennt es weiter und tiefer in den Wald, der Joseph weiß, was nun zu tun ist, er steigt aus und rennt hinter dem Reh in den dunklen tiefen Wald, immer tiefer, tiefer, tiefer.