Wikileaks, Twitter und Anonymous mit Schuld an Flucht von Tunesiens Präsident.

Von Gundula

Es ist vielleicht etwas weit ausgeholt, wenn man behauptet, dass die Regierung Tunesiens durch Blogger, Tweeter, Facebook-Nutzer, Anonymous und Wikileaks "zu Fall gebracht" wurde, doch habe die Online-Community einen wesentlichen Beitrag geleistet - berichtet Wired.
Der tunesische Präsident Zine El Abidine Ben Ali floh mit seiner Familie in ein "aufnahmebereites" Land, nachdem er von seinen Bürgern dazu gezwungen wurde. Zuvor entließ der Präsident sei Kabinett, was die Demonstranten als Schwäche vernahmen und ihn unter Druck setzten.
Die Unruhen in Tunesien brachen aus, nachdem sich ein junger Mann aus Protest gegen die Polizei selbst anzündete. Zuvor wurde von Polizisten sein nicht angemeldeter Obst- und Gemüsekarren beschlagnahmt.
Der Kampf gegen das tunesische Regime wurde nicht nur auf der Straße sondern auch im Cyberspace geführt. Denn bereits kurz nachdem die Proteste der Bevölkerung begannen, versuchte die tunesische Regierung das Internet zu kontrollieren. Es wurde damit begonnen Webseiten zu blocken woraufhin sich auch das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) zu Wort meldete.
Laut CPJ blockte Tunesien Nachrichtenseiten, Facebook-Seiten und einschlägige Blogs. Auch wurden Email-Accounts von Journalisten geblockt, so das Komitee. Laut einer Studie aus dem Jahr 2009 sei Tunesien eines der "10 schlimmsten Länder um ein Blogger zu sein".
Weiter erklärt das CPJ, dass Tunesiens Internet-Behörde Passwörter und Benutzernamen von Bloggern, Reportern, politischen Aktivisten und Demonstranten "mit verstecktem JavaScript" ausspähte. Das sei unter anderem auf Facebook der Fall gewesen. Der tunesische Auftritt von Facebook habe "mysteriöserweise 10 zusätzliche Code-Zeilen" gehabt.
Der Code schnappte sich Benutzername und Passwort, bettete diese in einen falschen Facebook-Link ein um dann eine nicht-existente Seite zu laden. Laut CPJ haben sich anschließend "Unbekannte" eingeloggt und etwa Facebook-Gruppen, -Seiten und -Accounts gelöscht. Darunter seien auch jene von Sofiene Chourabi, eine Reporterin von Al-Tariq al-Jadid und Online-Video-Journalist Haythem El Mekki gewesen.
Al-Jazeera erfuhr im Gespräch mit einer anonymen Quelle, dass ein Greasemonkey-Skript erzeugt wurde um den eingeschleusten Code für Nutzer ersichtlich zu machen. Am 6. Jänner wurde das Skript bereits mehr als 1.500 mal installiert. Fünf Tage später veröffentlichte die Electronic Frontier Foundation (EFF) das Greasemonkey-Skript und forderte Facebook auf einige technische Änderungen in Betracht zu ziehen. So solle das soziale Netzwerk in autoritären Staaten wie Tunesien Pseudonyme für Nutzer erlauben. Auch solle der standardmäßige Login über HTTPS erfolgen, was bei Google und Yahoo bereits der Fall ist.
Die tunesische Regierung habe auch damit begonnen Blogger und Aktivisten in Polizeigewahrsam zu nehmen. Hamadi Kaloutcha, Blogger und Aktivist, wurde um sechs Uhr morgens samt Computer und einer CPU von der Polizei mitgenommen. Man habe "nur ein paar Fragen an ihn" und es werde "nur ein paar Stunden dauern", wurde seiner Frau versichert. Seither gibt es von Kaloutcha keine Nachrichten mehr.
Bislang gebe es fünf bestätigte Fällen solcher Verhaftungen, Großteils handle es sich dabei um Mitglieder der Piratenpartei aus Tunesien. Die britische Piratenpartei informierte darüber und führte weiter aus, dass einigen Bloggern "anonyme DDoS-Attacken" gegen den tunesischen Staat vorgeworfen würden.
Die lose Gruppierung Anonymous attackierte im Rahmen der "Operation Tunesien" die Regierung und unterbrach damit die - seit mehreren Monaten andauernden - Attacken gegen Copyright-Inhaber. Gegenüber Al-Jazeera erklärte ein Anonymous-Aktivist, dass man sich erst einmischte nachdem die tunesische Regierung versuchte den Zugang zu Wikileaks zu sperren. Eine weiteres Anonymous-Mitglied meinte, dass man zwar deshalb mit den Angriffen begonnen habe, nun sorge man sich aber um die Zensur im Allgemeinen
Die Beteiligung an den Attacken sei von Tunesien aus besonders riskant, laut Anonymous gibt es rund 50 tunesische Aktivisten. Diesen leite man Hilfestellung um sich im Internet sicher bewegen zu können.
Wikileaks wurde in den vergangenen Monaten auch für Tunesien zum Verhängnis. In einem Gespräch zwischen US-Botschafter Robert Godec und Mohammad Sakher El-Materi, dem Schwiegersohn des Präsidenten, wurde über das Regime gesprochen, welches von Vetternwirtschaft und Korruption unterwandert werde. Die entsprechenden Dokumente schürten Ende-2010 die Wut der Öffentlichkeit, nachdem einige Details bekannt wurden. So besitze El-Materi ein Haus am öffentlichen Strand von Hammamet mit 50 Meter langer Terrasse, Pool und antiken Artefakten. Außerdem halte El-Materi einen Tiger, ebenso würden ein Butler aus Bangladesh sowie ein Kindermädchen aus Südafrika in seinen Diensten stehen.
Mit dem US-Botschafter habe er sich nicht so gut verstanden, auch geht aus den Depeschen hervor, dass sich El-Materi seines Reichtums und seiner Macht durchaus bewusst sei.
Al-Jazeera Redakteurin Dima Khatib und Kolumnist Sultan Al-Qassemi verliehen ihrer Freude über das gestürzte Regime mittels Twitter Ausdruck. Khatib schreibt: "Wir leben Geschichte. Tunesier haben uns das gößte Geschenk gemacht. Ich bin froh heute zu leben." Die New York Times berichtet von jubelnden Bloggern in der arabischen Welt.
Der politische Wandel in Tunesien konnte im Fernsehen kaum nachverfolgt werden, Zeitungen berichteten erst nach einigen Wochen über die Ereignisse innerhalb des Landes. Als wohl wichtigste Nachrichtenquelle erwies sich der Kurznachrichtendienst Twitter. Ein Sprecher von Twitter, erklärte, dass man eine Analyse der Wirkung von Twitter im Rahmen der tunesischen Revolution plane, bis dahin beobachte man allerdings weiter die dortigen Geschehnisse.
Ironisch an der Sache ist, dass Tunesien ein wesentlicher Unterstützer des Internet war. Tunis war der Ort für eine UN-Zusammenkunft 2005 wo die "Tunis Agenda" zustande kam. Mit dem Dokument wurde das Internet Goverment Forum (IGF) geschaffen, was sich in der Vergangenheit allerdings als weitgehend "zahnlos" erwies.