Wikileaks - ein Nachruf

Von Frank Benedikt
WikiLeaks. Fast das gesamte Internet scheint derzeit nur noch dieses Thema zu kennen und auch die Medien greifen es momentan begierig auf. In Deutschland kommt im Netz noch der JMStV hinzu, aber das ist es dann auch mit den “großen Themen”. Ein paar Anmerkungen zu den jüngsten Vorgängen rund um die Whistleblower-Plattform.
WikiLeaks im Kreuzfeuer der medialen Kritik, seine Server belagert oder gar abgeschaltet und Gründer/Sprachrohr Julian Assange abgetaucht bzw. nun auf der Flucht vor Interpol? Droht den Kämpfern für mehr Transparenz jetzt das Aus? Wie konnte es soweit kommen? Ein Rückblick.
Im Jahr 2006 gründete der Australier Julian Assange mit ein paar Gleichgesinnnten (darunter nach eigenen Angaben auch chinesische Dissidenten)  WikiLeaks als Plattform  für diejenigen, “die unethisches Verhalten in ihren eigenen Regierungen und Unternehmen enthüllen wollen”, so die Wikipedia. Dieses Vorhaben schien ehrenwert, wurde auch von der Community im Internet breit unterstützt und erste Erfolge stellten sich bald ein. Kenia war ein erster Meilenstein der Macht der Kombination aus Transparenz und Öffentlichmachung – entschied doch der Githongo-Report, der zuerst bei WikiLeaks und nicht bei den klassischen Medien erschien, 2007 über das Wahlergebnis in dem afrikanischen Land, wenn man den Medien glauben will.
In der Folgezeit sorgte WikiLeaks unter anderem mit der Publikation des Guantanamo-Militärhandbuchs, von Papieren der Julius Bär Bank und eines internen Bundeswehrberichts zum Luftangriff bei Kundus für Aufsehen. Mit dem im April 2010 veröffentlichten Video eines Kampfhubschrauberangriffs auf unbewaffnete Zivilisten in Bagdad gelang der Enthüllungsplattform ein echter Scoop, der seine Kreise durch die Weltpresse und das Netz zog. Zu eindeutig waren die Bilder, die das schmutzige Gesicht des Krieges zeigten, den die USA im Irak führten und führen.
2010 sollte noch weitere Höhepunkte bereithalten, so die Veröffentlichung von teilweise klassifizierten US-Militärdokumenten zu den Kriegen in Afghanistan und Irak im Juli und im Oktober und schließlich die schrittweise Herausgabe rund einer Viertelmillion US-amerikanischer Botschaftsdepeschen seit Ende November.
Wikileaks - ein NachrufWikiLeaks und seine Follower rufen bei Twitter den Cyberwar aus (Screenshot-Ausschnitt vom 3.12.2010)
Wurde WikiLeaks schon von Anfang an von den Regierungen mit Mißtrauen betrachtet und auch von angesehenen Organisationen wie der Federation of American Scientists (FAS) statt mit offenen Armen mit verhaltener Kritik empfangen, bricht über die Plattform seit gut einer Woche die Hölle herein. Zwar versuchten verschiedene Regierungen bereits in den Jahren zuvor, WikiLeaks vom Netz zu nehmen, aber erst mit der Veröffentlichung der Botschaftsdepeschen wurde der Druck so groß, daß die Transparenzkämpfer mehrfach ihre Server wechseln mußten und zunehmend auf Mirrors setzen müssen. “Cablegate”, wie es auch genannt wird, sorgt nicht nur für Wut und Verratsvorwürfe bei einigen westlichen Regierungen und Politikern, sondern auch für wachsenden Unmut bei Teilen der Netzgemeinde, ist doch der Nutzen der jüngsten Publikation auch mit gutem Willen nur schwer erkennbar.
Nun sind Assange und seine Mitstreiter ja angetreten, um für mehr Transparenz zu sorgen und man könnte meinen, sie lösen mit ihrem neuen Coup endlich ein altes Versprechen von Woodrow Wilson ein, der bereits 1918 in seinen 14 Punkten ein Ende der Geheimdiplomatie postulierte. Unabhängig vom Vorwurf des “Verrats”: Ist die Ausbreitung vertraulicher Einschätzungen und Lageberichte vor den Augen einer weitgehend unvorbereiteten Öffentlichkeit – dazu noch ohne redaktionelle Aufbereitung, wie öfter zu hören ist – wirklich unbedenklich? Fördert sie die Demokratie oder kann sie sogar gefährlich sein? Die Emser Depesche von 1870, die zum deutsch-französischen Krieg führte, könnte als warnendes Beispiel dienen, wurde sie doch von Bismarck redigiert und vorsätzlich benutzt, um Frankreich zum Krieg zu bewegen. Auch ein paar arabische Länder stehen jetzt im Licht der Öffentlichkeit schlecht da, verlangten sie doch nach militärischen Maßnahmenseitens der USA gegen die aufstrebende Regionalmacht Iran. Diese aggressive Haltung wurde verschiedenen Orts wohl schon vorher von Analysten gemutmaßt, aber Gewissheit hat eben eine andere Qualität und dürfte auch in Iran zumindest zu weiterer Reserviertheit gegenüber den Nachbarn führen. Bisher wurde erst ein kleiner Teil der Depeschen öffentlich gemacht, und trotz der Ansehens- und Vertrauensverluste, die die amerikanische Diplomatie erlitten hat, scheint sich der Schaden bisher in Grenzen zu halten. Wer aber garantiert dafür, daß nicht Papiere auftauchen, die zu schweren diplomatischen Verwicklungen führen können?
Wikileaks - ein NachrufWikiLeaks - bald auch bekannter als die Beatles? (Screenshot-Ausschnitt vom 4.12.2010)

Wikileaks - ein Nachruf

Nachdem WikiLeaks von mehreren seiner Partner gebannt wurde - bahnt sich eine neue Kooperation an? (Montage: Tapio Liller)

WikiLeaks selbst verfügt ja nicht wirklich über eine eigene Redaktion und die Zusammenarbeit mit ein paar führenden Publikationen ist eine zweischneidige Sache: Einerseits sitzen in den dortigen Redaktionen Journalisten, die ihr Handwerk gelernt haben und das vorliegende Material qualifiziert sichten und auswerten können, andererseits birgt dies die Gefahr, daß aus Eigeninteresse Dokumente gelegentlich auch unterdrückt oder aber gezielt veröffentlicht werden. Dieses Dilemma wartet noch auf eine Lösung. Die Struktur von WikiLeaks stellt ein weiteres Problem dar: Zwar fordert man Transparenz ein und will autoritäre Strukturen aufbrechen, ist aber selbst sehr intransparent und undemokratisch. Weder sind die Mitglieder des Entscheidungsgremiums, soweit vorhanden, der Öffentlichkeit bekannt noch wird Rechenschaft über die Aktionen abgelegt. Stattdessen scheint sich alles um die Person von Julian Assange zu drehen, wie es bspw. der frühere deutsche Sprecher, Daniel Domscheit-Berg, berichtet, der in einem Interview mit dem NDR von Machtkämpfen innerhalb der Organisation spricht. Nach Domscheit-Berg trifft Assange anscheinend im Alleingang Veröffentlichungs- und Personalentscheidungen – etwas, das sich mit demokratischen Strukturen und Partizipation grundsätzlich nicht verträgt.
Überhaupt scheint sich Assange, neben Daniel Domscheit-Berg aka “Daniel Schmitt” und neuerdings Jacob Appelbaum das namentlich einzig bekannte Gesicht von WikiLeaks, zunehmend zu einer schweren Last für das Projekt zu entwickeln. Neben seinem autoritären Führungsstil und seiner Verachtung für Institutionen und viele Journalisten liegt gegen ihn aktuell der Verdacht der sexuellen Nötigung vor, nachdem bereits früher im Jahr eine Anklage wegen Vergewaltigung wieder fallengelassen wurde. Dies und seine daraus resultierende Flucht vor der Polizei beeinträchtigen nach Meinung seiner Mitstreiter auch seine Arbeit für die Plattform und deren Ruf, weshalb sie ihm nahelegten, seine Tätigkeit einstweilen ruhen zu lassen. Der weißhaarige Australier scheint jedoch nicht daran zu denken, sondern von seiner Mission besessen, was sich auch an Gesprächen, die er unter anderem TIME und der Leserschaft des Guardian gewährte, ablesen läßt. Obwohl diese und ein ausführliches Porträt im New Yorker das Bild eines Menschen mit missionarischem Eifer zeichnen, bleibt der Kämpfer für Transparenz und gegen Autoritäten (er wird auch als “natürlicher Anarchist” beschrieben) merkwürdig eindimensional – über seine emotionalen Bindungen ist nicht viel bekannt und seine Motive scheinen letztlich unklar. Assange wirkt nebulös, irgendwie nicht von dieser Welt, was die Identifikation mit ihm erschwert.
Auch der zunehmende Hype, den WikiLeaks und seine Unterstützer gerne mit anfachen (die Rede ist gar vom ersten “Cyberwar”), und der sich auch in Aussagen wie “WikiLeaks ist doppelt so bekannt wie Wikipedia” manifestiert, tragen nicht dazu bei, den Ruf als seriöse Whistleblower-Plattform zu festigen. Wenn WikiLeaks nicht als “FreakyLeaks” enden will, wird es seine Entscheidungsstrukturen und seine Veröffentlichungspolitik überdenken müssen. Die Zeit ist jedenfalls reif für Transparenzprojekte dieser Art und weitere Projekte stehen bereits in den Startlöchern, wenn diesen auch durch die zunehmenden Querelen rund um Assange und WikiLeaks eine große Hypothek mitgegeben wird.
So will Daniel Domscheit-Berg, der bereits erwähnte Ex-Sprecher der Organisation, bereits diesen Dezember mit einem Nachfolgeprojekt für mehr Transparenz sorgen – in der Politik wie auch bei der eigenen Plattform. Zu wünschen wäre dies, denn der Grundgedanke von demokratisch kontrollierterem und durchschaubarerem politischen Handeln ist ja sehr ethisch und zeitgemäß.
WikiLeaks hat ohne Zweifel seine Aufgabe erfüllt. Es hat die Medien und auch die Öffentlichkeit erfolgreich auf brisante Sachverhalte hingewiesen und damit Interesse geweckt. Darüber hinaus wurden etliche engagierte Bürger für die Mitarbeit an weiteren Whistleblowing-Projekten gewonnen, was ein nicht zu unterschätzender Faktor für künftige Unternehmungen in dieser Richtung sein dürfte. Dennoch bleibt zumindest für Assange und seine Getreuen eine bittere Erkenntnis: Die ‘Gutsherrnart’ funktioniert in einer modernen demokratischen Gesellschaft nicht mehr – schon gar nicht im Internet.
Weitere Lektüre:
  • Steven Aftergood im FAS-Blog
  • Markus Beckedahl im Gespräch mit Daniel Domscheit-Berg (Podcast)
  • “Assanges Märchenstunde” – eine kritische Betrachtung beim Tagesspiegel
  • Aktueller Kommentar von Jens beim Spiegelfechter
Bildquellen: (1) und (2) Twitter-Screenshots, (3) Tapio Liller/Nebelhorn, CC BY

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