Wieviel Religion verträgt der säkulare Staat?

Die Frage brennt uns immer noch auf den Fingern: Wieviel Religion verträgt der säkulare Staat? Stört Religion die Integration? Die Podiumsdiskussion zwischen Prof. Dr. Ursula Apitsch und Khola Hübsch, moderiert von Dr. Meron Mendel als Vertreter Fritz Bauer Instituts, hatte ein unerwartet großes und vielfältiges Publikum in den Raum 311 des Campus Westend gelockt, wobei schon die Sitzordnung Symbolkraft zu haben schien: In der ersten Reihe die männlichen Vertreter der Kirchen, ganz hinten hockten die Kopftuchmädchen auf den Tischen.

Apitsch vertrat die Position der Befürworterin des säkularen Staats, den wir in Deutschland allerdings noch gar nicht haben. Die Leitfragen der Veranstaltung seien viel zu voraussetzungsreich: Religion, egal welche, werde im Einwanderungskontext erst hervorgebracht und helfe als „Bridge of Transition“ identitätsstützend, sich in einem neuen kulturellen Kontext sowohl abzugrenzen als auch neu zu verwurzeln. Das Kopftuch werde daher häufig erst in der neuen Heimat als Ausdruck einer neuen Identität gewählt und stellvertretend für vorenthaltene Chancengleichheit verteidigt. Die zugrundeliegende Genderproblematik dürfe nicht ausgeblendet werden, ebensowenig das paternalistische Element in allen drei „Hoch-Religionen“, Christentum, Judentum wie Islam.

Hübsch, hübsche Tochter des herkunftsdeutschen Dichters Hadayatulla Hübsch und einer muslimischen Migrantin, focht als Muslimin für den Islam und dessen Gleichstellung. Mit vielen zutreffenden Beobachtungen, etwa der, dass im Sarrazin-Diskurs die christliche Überlegenheit über den Islam konstruiert wird, um die sozialen Vorteile der christlichen Mehrheitsgesellschaft zu rechtfertigen.

Jedoch: Sie argumentierte in erster Linie als Muslimin, nicht als Staatsbürgerin: Der Islam sei nicht frauenfeindlich, sehr wohl demokratiekompatibel, vertrage sich mit einer säkularen Gesellschaft, vertrage eine wissenschaftliche Sicht. In der Mehrheitsgesellschaft fehle eben noch das Bewusstsein für religiöse Pluralität und für die positiven Eigenschaften des gläubigen Muslimen, der seine Religionszugehörigkeit auch nach außen darstelle und lebe. Es sei mutiger Nonkonformismus, in einer zunehmend säkularisierten Welt die eigene Religion in den Mittelpunkt zu stellen.

Was in Hübschs Argument fehlte, was in solchen Debatten regelmäßig fehlt, wurde aus dem Publikum ergänzt: Die Position der Mehrheit der Muslime in Deutschland, säkular, muslimisch sozialisiert, ohne Bindung an eine muslimische Institution. Wenn der Islam als Institution des Öffentlichen Rechts anerkannt wird, und die Gleichstellung der Religionen ist eine grundgesetzliche Vorgabe, wird der Islam erst „konstruiert“, die religiöse Institution gewinnt wirtschaftliche Macht hinzu, ebenso Deutungshoheit über die derzeit noch vielfältige Gruppe der Muslime.

Zudem haben die islamischen Institutionen dann Anspruch auf Zuwendungen aus dem allgemeinen Steueraufkommen, wie sie die Kirchen schon lange erhalten: Sie sind beispielsweise aufgrund ihrer sozialen Unternehmungen der größte einzelne Arbeitgeber in Deutschland, die aufgrund besonderer Vereinbarungen mit dem Staat ihren Angestellten die Erfüllung religiöser Gebote abverlangen und ihnen das allgemeine Streikrecht verwehren können. Trennung von Staat und Kirche? Religion Privatsache? Aus dem Publikum heraus wurde eine der wichtigsten Fragen des Abends gestellt: Ist das derzeitige Staatskirchenrecht mit seinen im Faschismus mit Rom geschlossenen Konkordaten nicht endlich an sein Ende gekommen?

Was in der Diskussion fehlte: Eine Stellungnahme Mendels aus jüdischer Sicht. Und eine Aussage der Kirchenleute, saßen ja immerhin ganz vorn und drehten sich immer mal misstrauisch zum Publikum um. Sie haben viel zu verlieren.


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