Ich krieg grad eine Geschichte erklärt, welche sich bereits vor Jahren ereignete. Damals verstand ich es nicht. Ich konnte es nicht verstehen. Ich war einfach noch nicht soweit, viel zu oberflächlich!
Bevor ich nun die Geschichte zum Besten gebe, sei gesagt das ich weder den Zeigefinger heben will (jeder entscheidet über den Grad seiner Tiefgründigkeit selbst), noch mich von irgendwelchen Vorwürfen freisprechen möchte. Es steht mir nicht zu, Moralspostel zu spielen. Ich habe mich in der Vergangenheit ja auch nicht mit Ruhm bekleckert. Das ich meine Geschichte heute aufschreibe hat vielleicht etwas mit Älterwerden, Weise sein und Läuterung zu tun. Vielleicht. Gott! Jetzt bin ich schon wieder bei diesem Thema. Gestern beim Nähen musste ich doch glatt Pauls Lesebrille, zum Faden einfädeln, zu Hilfe nehmen. Bin gespannt wie lang er mir “Oh meine Augen sind heute wieder so müde.”
Vor wenigen Jahren hat mir eine Freundin, für mich aus heiterem Himmel, die Freundschaft gekündigt. (Solltest Du diese Zeilen lesen. Ich hab es nicht kapiert und ja! Du hattest recht mit den Dingen die Du sagtest. Es tut mir leid. Ich war auch nur ein Grosstadthase auf der Jagd nach dem ‘Faktor Cool.’) Ich habe es damals überhaupt nicht verstanden. Wir sind immer zusammen surfen gegangen, waren gemeinsam im Urlaub, hatten eine richtig gute Zeit. Und eines Tages sagt sie mir: “Ich möchte mit Dir nichts mehr zu tun haben. Du bist mir zu egoistisch und viel zu oberflächlich. Nur wenn Du mal wieder was von mir brauchst ( seinerzeit war sie Teamfahrer für eine dieser Surffirmen. Hin-und wieder konnte sie den einen oder anderen Deal günstig über die Bühne bringen) fällt Dir ein, mich anzurufen. Bevor Du mich fragst wie es mir geht, kommt Deine Bestellung. Letzte Woche hast Du nicht einmal mehr nach meinem Befinden gefragt und das obwohl ich mit Fieber im Bett lag. Und heute holst Du Dir ein paar Sachen bei mir zu Hause ab . Bevor ich Dich jedoch auf einen Kaffee einladen kann tönst Du, das Du gleich wieder zurück zur Autobahn musst, weil Dir der Stau in der Stadt mindestens eine halbe Stunde köstlichen Wind geklaut hat. Ich hab da einfach keine Lust mehr drauf. Bitte geh und ruf mich NIE wieder an.”
” Aber Du wohnst doch hier direkt am Meer. Du kannst doch jeden Tag kiten gehen, so wie Du lustig bist. Ich hingegen habe nur die mühsam zusammengekratzten Feierabendstunden und mein Wochenende. Und ganz oft ist da dann noch nicht einmal Wind. Und wir waren heute doch nicht zum kiten verabredet.”
“Es geht mir aber nicht um’s kiten, sondern das Du mich wichtig nimmst. Ich möchte in Zukunft einfach bitte nichts mehr mit Dir zu tun haben.”
“Ich versteh Dich nicht, das ist mir zu kompliziert. Aber wenn Du magst, dann kann ich beim nächsten Mal….”
“Es wird kein nächstes Mal geben. Tschüss!”
Die Drohung wurde in die Tat umgesetzt. Mir wurde der ‘Prozess’ gemacht und ich stand freundschaftstechnisch auf der Strasse. Nicht das ich mir die Mühe gemacht hätte über das ‘Warum’ nachzudenken. Das ich durch mein oberflächliches Verhalten diese Reaktion provoziert haben könnte, soweit reichte mein Ego damals nicht. “Blöde Tussi, die hat vielleicht nen Knall. Was nimmt die sich eigentlich so wichtig? Na gut, wenn sie meint mir die Sachen nicht mehr besorgen zu können, dann such ich mir jemand anderen der das erledigt.” Anstatt nachzudenken, was da gerade passiert war (das das eventuell sogar eine Chance sein könnte), packte ich das Thema zur Seite und verdrängte es sehr erfolgreich. Sprach mich jemand darauf an, warum ich nicht mehr mit der Freundin zusammen im Line up anzutreffen war, leierte ich meinen Text herunter “Voll die Meise hat die Frau. War wohl zuviel alleine da am Meer. Naja die Winter da draussen sind ja auch sehr lang.” Hin-und wieder traf ich gleichgepolte Oberflächliche, denen die Freundschaft ebenfalls gekündigt wurde. Erfreulich wurde zur Kenntnis genommen, nicht alleine dazustehen. Wenn andere das auch trifft, ist die Wahrscheinlichkeit einen Fehler begangen zu haben noch geringer.
Es sollte einige Jahre und einen Umzug auf die Insel mit der Brücke dauern bis ich begriff, was damals passiert war und vor allem warum. Nun gut- ich bin auch ein paar Tage älter, das spielt dem Erkennen möglicherweise zu. Der Stachel der Erkenntnis ist schmerzhaft das kann ich Euch sagen. Schmerzhaft und ein bischen aufregend auch ( du stehst da wie ungläubig staunend, wenn sich die Erkenntnis aus ihrer Verpackung schält). Allerdings ist der Schmerz auch sehr gut verschmerzbar. Und Du stirbst nicht dran….
Wie oberflächlich ist diese Gesellschaft das Symphatie, Wohlwollen und Freundschaft nach dem Marktwert des jeweiligen Menschen verteilt werden? Der Stellenwert einer Freundschaft wird heutzutage häufig , viel zu häufig, daran gemessen wie sehr diese Freundschaft nützt. Mir hat das letztens mal eine Kitekollegin bei einem Kaffee auf der Terasse erklärt. “Wir üben einen Extremsport aus der noch dazu als Trendsportart Nummer 1 gehändelt wird. Alles ist cool und irrsinnig hip! Wenn Du hier echte Freunde suchst, dann stell Dich auf eine lange erfolglose Suche ein. Selbst wenn Du richtig gut in diesem Sport sein solltest, vielleicht auch gerade dann, wirst Du keine Beute nach Hause tragen. Maximal ein paar faule Eier liegen dann vielleicht in Deinem Körbchen.Ich denke immer daran, wenn mal wieder jemand um Gunst und Freundschaft buhlt. Ich gelte manchmal als besonders tough und hart bin aber auch noch nie enttäuscht oder verletzt worden in dieser Szene. Diese Szene ist der Inbegriff von Oberflächlichkeit. Viel Schein und Fassade und nur hinter wenigen wirst Du Ernsthaftigkeit finden. Glücklich ist, der das richtige Türchen öffnet.”
Hab ein paar Wochen nicht mehr daran gedacht. Und dann war da der Typ, der immer alles, wirklich alles für die Anderen auf die Beine stellt, sei es das havarierende fahrbare Untersätze gerettet werden, nicht funktionierende Schlösser geknackt, mitten in der Nacht Asyl gewährt oder erste Hilfe beim Kater geleistet wird. Retter, Notfallhelfer und ab und an auch Seelsorger, der Typ war und ist Mädchen für alles. Jeden Wunsch liest er seinem Besuch von den Augen ab. Er erträgt albernes Gelächter genauso wie durchsoffene Nächte, obwohl er morgens mit dem ersten Hahnenschrei wieder zur Arbeit fahren muss. Dieser Typ sass vor wenigen Wochen in seinem Haus. Er hatte Geburtstag. Ein paar Tage zuvor zog er noch extra los und besorgte genug zu essen und zu trinken. ‘Wer weiß wer so alles unverhofft hereinschneit.’ Er freute sich auf seinen Geburtstag- sehr sogar. Aber es kam niemand. Es ist so herzzerreissend wie ungerecht! Es klingelte nicht das Telefon. Der Postbote brachte keine Karte. Am Abend seines Geburtstages schlich er betrübt ins Bett und schlief mit einem Seufzer ein. Während ich das hier notiere füllen sich meine Augen mit Tränen. Niemand hat so etwas verdient. Aber so ist sie unsere oberflächliche Gesellschaft. Die echten , die wahren Helden werden erst bemerkt, wenn sie mal nicht mehr heldenhaft helfen.
Ich habe mich lange nicht getraut den Mund aufzumachen und dieses Thema öffentlich anzuschneiden. Ich wollte nicht wieder als die schlecht gelaunte Tussi abgestempelt werden. Denn das ist es was zuviel Oberflächlichkeit mit einem macht. Ein schlecht gelauntes Etwas. Emotional verunsichert, unfähig sich gegen das Ausnutzen und Nichtwichtigsein zu wehren aus Angst nie wieder mitspielen zu dürfen. Dabei ist genau dieses Gesellschaftsspiel ( das des Mitspielen dürfens) das unwichtigste überhaupt. So dermaßen unwichtig wie es oberflächlich ist. Ich möchte nicht mehr zu oberflächlich sein- so auch wie ich nicht mehr unter zu viel Oberflächlichkeit leiden möchte. Es tut weh verletzt zu werden. Aber es ist erfrischend festzustellen, das Oberflächlichkeit spielend leicht zu entsorgen ist. Sich stark machen für sich und seinen Weg gehen fühlt sich zauberhaft an.
Ich bin übrigens sehr froh in der Phase dieser Erkenntnis alte Freunde zufällig getroffen zu haben und echte Werte, wirklich echte Werte wie Loyalität, ein Ohr und Ehrlichkeit, erfahren zu haben. Ich habe meine Lektion gelernt. Sicherlich ist der Weg zurück zur damaligen Freundin nicht durch die Erkenntnis geebnet. Das will ich auch gar nicht. Schließlich sind einige Jahre ins Land gegangen. Ich bin Ihr nur dankbar das sie mir, wenn auch zeitverzögert die Augen öffnen konnte.