Wieso wir Gott nicht begreifen können

Von Traumperlentaucher

Ich habe mich geirrt, es ist nicht ein Papagei, es sind zwei. Zumindest hat mir das mein Nachbar, der Bauer, gesagt. Sie wären schon den ganzen Sommer hier. Ein Zeichen des Klimawandels? Kaum. Eher ein Zeichen menschlicher Unachtsamkeit. Die Vögel seien sehr scheu und einfangen könne man sie nicht, erklärte er mir. Leider werden sie den Winter kaum überleben.

Vögel in einen Käfig einzusperren finde ich grausam. Es ist so, als würde man uns dazu verurteilen, in zwei Dimensionen zu leben.

Stell dir vor, du wärst ein zweidimensionales Wesen. Es gäbe keinen Raum, sondern nur ebene Flächen. Und du würdest alles in deiner Umgebung als Striche wahrnehmen. Dein Haus wäre ein Strich und auch der Nachbar wäre ein Strich in der Striche-Landschaft. Etwas länger, wenn er dick wäre und etwas dünner wenn er mager wäre. Bilder in unserer Wohnung sähen aus wie das Morsealphabet, ohne die dritte Dimension. Und die könnten wir als Zweidimensionale nicht wahrnehmen. Doch umgekehrt könnte uns ein Dreidimensionaler beobachten und er würde auch sehen, was uns verwehrt bliebe: welche Form wir in Wirklichkeit hätten. Dort wo uns eine Grenze (ein unendlicher Strich) ein Weiterkommen verunmöglichen würde, könnte der Dreidimensionale auch die andere Seite der Grenze sehen. Er könnte in alle Räume schauen, die uns verschlossen blieben.

Den dreidimensionalen Beobachter könnten wir aber als Flachländer nur wahrnehmen, wenn er auf unserer Ebene stehen würde, aber auch dann nur als Strich seines Fussabdruckes. Wie er in Wirklichkeit aussehen würde, könnten wir nicht erkennen. Der Dreidimensionale könnte vielleicht versuchen, mit uns zu kommunizieren und er könnte auch allerhand Schabernack mit uns treiben. Das würden wir aber nicht, oder höchstens als „Wunder“ begreifen. Er könnte zum Beispiel einen von uns aufheben und so vor unseren Augen verschwinden lassen. Und er könnte ihn an einem anderen Ort – zum Beispiel jenseits der Grenze – wieder aussetzen. Oder er könnte den Flachländer bei sich behalten und ihn zum Beispiel auf einer anderen Ebene in einen Käfig stecken. Er bräuchte ja bloss einen Strich um ihn herum zu ziehen. Er könnte sogar das Innere des entführten Flachländers verändern, ihn zum Beispiel heilen oder krank machen, ohne dass dieser eine äussere Einwirkung erkennen könnte. Auch wenn der entführte Flachländer nun beim Dreidimensionalen leben würde, er könnte die dreidimensionale Welt nie begreifen. Ja, er könnte sie sich nicht einmal vorstellen. Auch nicht, wenn der Dreidimensionale ihm davon berichten würde.

Handkehrum* könnte der Zweidimensionale die eindimensionalen Bewohner eines Linienlandes beobachten und ihre wahre Form erkennen. Die armen Einwohner des Eindimensionalen würden sich dagegen nur als Punkte wahrnehmen.

Edwin Abbott hat 1884 in seinem Roman „Flatland“ das Leben in einer zweidimensionalen Welt ausführlich beschrieben.

Nehmen wir mal an, es gäbe mehr als drei Dimensionen: Wir könnten ein vierdimensionales Wesen und seine Welt nicht wahrnehmen und auch nicht begreifen. Aber wir könnten sehr wohl gewisse Wirkungen im Dreidimensionalen beobachten, wenn dieses Wesen es wünscht.

Es steckt viel mehr hinter der Welt, als wir ahnen und begreifen können. Euer Traumperlentaucher.

*Schweizer Ausdruck für anderseits.