Wieso uns manche Experten das Bewegen schwer machen

Wieso uns manche Experten das Bewegen schwer machen Aktuell wird in den Medien des Öfteren eine Studie der WHO zitiert, die herausgefunden hat, dass wir uns Europäer zu wenig bewegen. In Österreich bewegt sich laut dieser Studie jeder Dritte zu wenig. Das Volk muss natürlich informiert werden und Experten kommen zu Wort. So wie in der „Die Presse am Sonntag“, in der ein Psychologe und ein namhafter Sportmediziner zu Wort kamen und über Fitnessmythen aufklärten. Dabei trugen sie mehr zur Verwirrung bei.
In meiner Sonntagsroutine lese ich nach dem Frühstück gerne meine Zeitung. Davor war ich natürlich laufen, damit mir das Frühstück noch mehr schmeckt. Letzten Sonntag fiel mir ein Bericht ins Auge, der unseren generellen Bewegungsmangel als Thema hatte „Weg mit 200 Kalorien pro Tag“, lautete der Titel, der online etwas umgeschrieben mit dem Titel „DemFitness-Mythos widerstehen“ veröffentlicht wurde. Dieser Bericht hat zwar nur eingeschränkt mit dem Laufen zu tun, er widerspiegelt aber, wie schwierig es ist, Menschen zu regelmäßiger Bewegung zu bringen. Auch wie schwer es ist, mit Mythen abzurechnen.

„Bloß nicht mit mehr als einem Puls von 130 sporteln“

Unser erster Experte rechnet mit diesem Mythos ab: „Das kommt aus der Zeit, als vor Trainingsstart weder das Herz-Kreislauf-System noch das Herzkranzgefäßsystem auf Beeinträchtigungen geprüft wurden; man fürchtete Böses und blieb bei niedriger Intensität. Das ist ähnlich absurd, als wenn man Kindern mit dem Weihnachtsmann droht.“ Endlich jemand, der die Menschen von diesem Gedanken wegbringt, denn wie wir wissen, sind wir sehr individuell und wir haben unterschiedliche Trainingsbereiche.
Einen Absatz später wird vom Kollegen auch gleich der Pulsbereich eines „risikofreien, aber erfolgreichen Trainings“ präsentiert: Ausgehend von der maximalen Herzfrequenz (die mittels Fahrradergometrie ermittelt werden soll), soll man im Bereich von 60 bis 85% davon trainieren und vereinfacht das mit einem praktischen Beispiel: „Gesetzt den Fall, das Maximum ist 180, wird einmal mit 0,6 und einmal mit 0,8 multipliziert.“ Wird der Sicherheitsbereich überschritten, kann die Produktion von Stresshormonen und Milchsäure, die während eines Trainings angekurbelt wird, zur Überanstrengung führen. „Die Leute sitzen nach zwei Kilometern keuchend und tiefrot auf der Parkbank und hängen die Laufschuhe an den Nagel.
Rechnen wir doch nach: bei einer maximalen Herzfrequenz von 180 Schlägen liegt der Bereich von 60 bis 85% bei einem Puls von 108 bis 153 Schlägen! Aha! In Wirklichkeit haben uns diese Experten genau den Mythos bestätigt: trainiere (im Schnitt) bei 130 Schlägen, besser wäre sogar etwas niedriger, denn sonst kann es wirklich gefährlich werden. Es gibt ihn als doch, den Weihnachtsmann? Im erwähnten Rechenbeispiel wird sogar nur mit 80% statt mit 85% gerechnet, was den maximalen Trainingspuls noch einmal senken würde. Das war wohl ein Versehen?
Und klar ist auch, dass sich kein Anfänger (wenn er einen Maximalpuls von 180 Schlägen hat) mit einem Puls von 153 Schlägen nach zwei Kilometer keuchend und tiefrot auf der Parkbank ausruhen muss. Im Gegenteil, die werden wahrscheinlich sowieso nicht mit einem derartig niedrigen Puls laufen können. Auch wenn sie sich bei der Belastung „noch gut unterhalten können“, wie in diesem Artikel auch erwähnt wurde, jeder wird höchstwahrscheinlich einen höheren Puls haben, bei dem man plaudern kann. Und Laufanfänger haben es sicher auch schon erfahren, dass man sowieso nur schwer längere Distanzen von Beginn an durchlaufen kann. Egal wie hoch der Puls auch ist.
Was ich damit sagen möchte: Leute, schaut nicht auf den Puls und bewegt euch einfach! Diese Experten erzählen keine Unwahrheiten, sie sind für uns nur nicht praxistauglich. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren und eine allgemeine Empfehlung für ein Training abgeben. Keinesfalls eine Pulsempfehlung. Die Wissenschaft funktioniert aber so, man versucht, eine Erklärung für unsere Funktionen zu finden. Wie in anderen Bereichen auch: Die Gesellschaft für Ernährung gibt allgemein vor, dass Frauen einen täglichen Energiebedarf von 2.300 kcal und Männer einen Bedarf von 2.900 kcal haben. In der Sportmedizin wird das Laktat als absolute Steuergröße im Training herangezogen, obwohl man weiß, dass die Laktatmessung sehr großen individuellen Schwankungen und äußeren Einflussfaktoren ausgesetzt ist. Manche Belastungsergometrien werden weit vor der individuellen Ausbelastung abgebrochen, da die „erwartete maximale Herzfrequenz“ erreicht wurde.
Wenn man die Natur beschreiben oder erklären möchte, dann hat man keine andere Möglichkeit, als eine grobe Erklärung zu finden, die für einzelne Individuen nicht zutreffen müssen. Deshalb ist es wichtig, bei solchen Aussagen das „es kommt darauf an“ zu erwähnen. Viele solcher Antworten konnte ich bereits in meinem Buch „30 Mythen übers Laufen“ zusammenfassen. Ich hoffe zumindest, dass dadurch nicht wieder neue Fragen aufgetaucht sind?

„Weg mit 220 Kalorien pro Tag“

Laut WHO ist körperlich ausreichend aktiv, wer pro Woche 150 Minuten in Bewegung ist. In Worten des Experten: „Für ein gesundes Leben muss ich 1500 Kalorien pro Woche verbrennen, also zwischen 200 und 220 Kalorien pro Tag.“ Um nicht nur „gesund“, sondern „fit“ zu sein, muss deutlich mehr getan werden: Zwischen 2500 und 3000 Kalorien pro Woche gilt es zu verbrennen. Also etwa das Doppelte der „gesundheitsfördernden Aktivität“.
Erstens ist aus diesen Aussagen nicht zu erkennen, ob diese Werte zusätzlich zum täglichen Alltag gehören, oder ob sie ganz allgemein gemeint sind. Denn es macht einen Unterschied, ob ich insgesamt 4000 Schritte gehen muss oder ob ich sie zusätzlich zu einem Büroalltag anhängen sollte. Ich nehme aber an, dass sie als zusätzlich verstanden werden können. Und wenn ich laut WHO tatsächlich in 150 Minuten 1500 kcal verbrenne, dann müsste ich also eine Aktivität wählen, die pro Stunde 600 kcal verbraucht.
Mit dieser in der Printausgabe verwendeten Überschrift ist zu verstehen, dass wir eh nicht viel tun müssen, damit wir uns ausreichend bewegen. 220 kcal pro Tag ist gerade einmal 10% des Grundumsatzes. Wenn wir gesund und fit sein wollen, dann sind es auch nur 430 kcal pro Tag zusätzliche Bewegungsenergie. Was bedeutet das in der Praxis: eine 50 Kilogramm schwere Frau müsste täglich 9 Kilometer laufen, damit sie diese Empfehlung erreicht. Ein übergewichtiger, 120 Kilogramm schwerer Mann hingegen bräuchte täglich nur 3,5 Kilometer laufen. Die leichtgewichtige Dame wäre laut dieser Vorgabe nur dann „fit“, wenn sie eine Karriere als Leistungssportlerin einschlägt, und die zweite Person müsste viel weniger Zeit in seine Fitness investieren, auch wenn 3 ½ Kilometer pro Tag auch noch immer eine große Belastung für den Körper ist.
Was ich damit sagen möchte: Wenn jemand mehr Bewegung machen möchte, dann soll er es tun, ohne sich von irgendwelchen Vorgaben oder Zielen einschränken oder verunsichern zu lassen. Es liegt nicht an der Anzahl an verbrannten Kalorien, die einen gesund oder fit macht, sondern einfach an der Bewegung, an der regelmäßigen Aktivität. Sobald es Spaß macht und regelmäßig gemacht wird, erfüllt es ihren Zweck.
Es ist aber auch naheliegend, dass eine gesundheitsfördernde Aktivität auch anstrengend sein darf. Denn wenn das Herz-Kreislauf-System gefordert, aber nicht überfordert wird, dann erfolgen gesundheitsfördernde Anpassungserscheinungen. Erfreulicherweise bin ich bei meiner Recherche auf den Bericht „Österreichische Empfehlungen für gesundheitswirksame Bewegung“ des „Fonds gesundes Österreich“ gestoßen, in dem ähnliche, aber verständliche Empfehlungen für Erwachsene zu finden sind. Unter mittlerer und höherer Intensität kann man sich schon etwas vorstellen. Zur Verständlichkeit sollte man weniger wissenschaftlich und mehr praktisch denken. Der Einfachheit halber:
Um die Gesundheit zu fördern und aufrecht zu erhalten ...
  • sollten Erwachsene mindestens 150 Minuten (2½ Stunden) pro Woche Bewegung mit mittlerer Intensität oder 75 Minuten (1¼ Stunden) pro Woche Bewegung mit höherer Intensität oder eine entsprechende Kombination aus Bewegung mit mittlerer und höherer Intensität durchführen. Idealerweise sollte die Aktivität auf möglichst viele Tage der Woche verteilt werden. Jede Einheit sollte mindestens zehn Minuten durchgehend dauern.
  • sollten Erwachsene – für einen zusätzlichen und weiter reichenden gesundheitlichen Nutzen – eine Erhöhung des Bewegungsumfanges auf 300 Minuten (5 Stunden) pro Woche Bewegung mit mittlerer Intensität oder 150 Minuten (2½ Stunden) pro Woche Bewegung mit höherer Intensität oder eine entsprechende Kombination aus Bewegung mit mittlerer und höherer Intensität anstreben.
  • sollten Erwachsene an zwei oder mehr Tagen der Woche muskelkräftigende Bewegung mit mittlerer oder höherer Intensität durchführen, bei denen alle großen Muskelgruppen beansprucht werden.
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Wieso uns manche Experten das Bewegen schwer machen
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