Wieso Traurigkeit etwas mit Stärke zu tun hat!

Von Wernerbremen

Quelle: Helmut Mühlbacher

Ihr Lieben,


heute möchte ich Euch eine Geschichte von Inge Wuthe erzählen, die ich schon vor langer Zeit erzählt habe und ich erfülle damit den Wunsch zahlreicher Leserinnen und Leser, die mich um die Wiederholung der Geschichte gebeten haben:


„Die Traurigkeit“


„Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlang kam. Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht, und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.


Bei der zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen. Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen. 

Die kleine Frau bückte sich ein wenig und fragte: „Wer bist Du?“
Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. „Ich? Ich bin die Traurigkeit“, flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.


„Ach, die Traurigkeit!“ rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
„Du kennst mich?“, fragte die Traurigkeit misstrauisch.
„Natürlich kenne ich Dich! Immer wieder einmal hast Du mich ein Stück des Weges begleitet.“

„Ja, aber...“, argwöhnte die Traurigkeit, „warum flüchtest Du dann nicht vor mir? Hast Du denn keine Angst?“

„Warum sollte ich vor Dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass Du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich Dich fragen will: Warum siehst Du so mutlos aus?“
„Ich... ich bin traurig“, antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.

Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr. „Traurig bist Du also“, sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. „Erzähl mir doch, was Dich so bedrückt.“
Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht. „Ach, weißt Du, begann sie zögernd und äußerst verwundert, es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter den Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest.“


Die Traurigkeit schluckte schwer. Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. "Sie sagen: „Papperlapapp, das Leben ist heiter". Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: „Gelobt sei, was hart macht". Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: "Man muss sich nur zusammenreißen". Und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: "Nur Schwächlinge weinen". Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen.“

„Oh ja“, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen sind mir schon oft begegnet“.
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut.
Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu.“
Die Traurigkeit schwieg.
 
Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt.
Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. 

„Weine nur, Traurigkeit, flüsterte sie liebevoll, ruh Dich aus, damit Du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde Dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt.“


Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin: „Aber...aber- wer bist Du eigentlich?“
„Ich?“ sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen. „Ich bin die Hoffnung!

www.die-einheit.de


Ihr Lieben,
unsere heutige Geschichte enthält vier ganz wichtige Sprüche, die uns verdeutlichen sollen, wie wir in unserem Leben mit Not, mit Leid, mit Unglücksfällen, mit Schwierigkeiten, mit Angst nicht umgehen sollten:
„Papperlapapp, das Leben ist heiter.“
„Gelobt sei, was hart macht.“
„Man muss sich nur zusammenreißen.“
„Nur Schwächlinge weinen.“

Viele Menschen wollen in ihrem Leben niemals aufgeben, sie möchten sich „durchbeißen“.
 
Grundsätzlich ist es etwas Wunderbares, niemals aufzugeben, aber „niemals aufzugeben“ bedeutet nicht, sich selbst zu überschätzen, sich selbst zu überfordern, sich selbst zugrunde zu richten.

Ich möchte das an einem ganz einfachen Beispiel verdeutlichen:
Unsere Tage mögen noch so erlebnisreich, noch so spannend, noch so fröhlich und noch so erfüllt sein, dennoch nehmen wir uns des Nachts Zeit, um auszuruhen, um zu schlafen.

 
Um fröhlich und voller Tatendrang zu sein, benötigen wir Schlaf.
Und die Menschen, die es schon einmal ausprobiert haben, immer weniger zu schlafen und immer mehr zu arbeiten und zu erleben, wissen, wie das endet: Mit einem völligen Zusammenbruch, oder wie man neudeutsch sagt, mit einem Burn-out.

Stark ist nicht der, der immer die Meinung vertritt, dass das Leben heiter ist.
Stark ist dagegen derjenigeder begreift, dass es auch Zeiten in unserem Leben gibt, in denen Traurigkeit in unser Leben einzieht, in denen es auch angebracht ist, traurig zu sein, um z.B. den Verlust eines Menschen zu verarbeiten.

Stark ist nicht der, der immer die Ansicht vertritt: „Gelobt sei, was hart macht!“
Wirklich stark ist derjenigeder begreift, dass es Zeiten in unserem Leben gibt, in denen es hilfreich und zutiefst menschlich ist, weich zu sein, weil wir dann offen sind für das Leid und die Not anderer Menschen und sie zutiefst verstehen können.

Stark ist nicht der, der dem anderen Menschen zuruft: „Sei immer hart!“
Stark ist vielmehr derjenigeder einen anderen Menschen in seine Arme schließen kann und mit ihm weinen kann, um seine Not zu lindern, ihn zu trösten und ihm das Gefühl der Gemeinschaft zu vermitteln.


Stark ist nicht der, der sich selbst zuruft: „Man muss sich nur zusammenreißen!“
Stark ist vielmehr derjenigeder begreift, dass es auch Zeiten gibt, in denen er schwach sein darf, in denen er ausruhen darf, in denen er seine Seele baumeln lassen darf, in denen er zur Ruhe kommen darf.

Stark ist nicht der, der hart gegen sich selbst glaubt: „Nur Schwächlinge weinen!“
Stark ist vielmehr derjenigeder begreift, dass Weinen helfen
 kann, Leid zu verarbeiten, Not zu überwinden, innere Spannungen zu lösen!
Es ist nicht einzuwenden gegen ein wenig Traurigkeit im Leben, solange sie nicht zu viel Raum in unserem Leben einnimmt. Ob die Traurigkeit zu viel Raum in unserem Leben einnimmt, können wir ganz einfach daran feststellen, ob die Traurigkeit bereits ihre Geschwister eingeladen hat, bei uns zu wohnen. Ihre Geschwister sind die Verzagtheit, die Mutlosigkeit, der Trübsinn, die Verzweiflung.
Die Traurigkeit wird niemals zu viel Raum in unserem Leben einnehmen, solange wir die Hoffnung bei uns wohnen lassen. Die Hoffnung bringt auch gerne ihre Geschwister mit, gegen die nichts einzuwenden ist. 

www.frankschlitt-fotografie.de

Die Geschwister der Hoffnung sind die Zuversicht, die Fröhlichkeit,
der Mut, die Ermutigung, das Vertrauen.

Ihr Lieben,ich wünsche Euch einen fröhlichen zuversichtlichen und geruhsamen Abend und grüße Euch herzlich aus Bremen
Euer fröhlicher Werner

Quelle: Karin Heringshausen