Wiens Grätzl als Hotellobby

Von Franz Bernthaler

Wien (Culinarius)  Die Grätzlhotels beleben die alten, kleinen Läden in den fast vergessenen Nebengassen unserer Stadt und erschaffen so individuelle Wohnzimmer für Gäste aus aller Welt.

Theresia Kohlmayr begleitet mich zu dem Zimmer „Der Galerist“ in der Argentinierstraße, nahe des Belvedere und nur wenige Gehminuten von ihrem Büro entfernt.  Sie ist gleichzeitig Gastgeberin und Geschäftsführerin der URBANAUTS Hospitality Group. Auf dem kurzen Weg dorthin, grüßt uns eine ältere Dame. Man kennt sich, schließlich sind sie sozusagen Nachbarn. Denn genau das ist die Idee: ein ganzes Grätzl als Hotellobby und die Nachbarn als Gastgeber sollen Urlaubserfahrungen ermöglichen, die in keinem Reiseführer stehen.
In den Grätzl Karmelitermarkt, Belvedere und Meidlinger Markt gibt es bereits 21 Suites, die sich alle in ehemals leerstehenden Läden und Handwerksbetrieben befinden. Mit der innovativen Nutzung schafft man es der Verödung des städtischen Raumes entgegenzuwirken.

„Der Galerist“ (c) Monika Nguyen

Mehr als nur ein Schlafplatz
Das Grätzlhotel ist die professionelle Antwort auf den Airbnb-Trend bei Individualreisenden, die authentische Eindrücke von dem Leben vor Ort bekommen möchten. Der Gast hat eine Art Einzimmerwohnung, ist unabhängig und genießt trotzdem die Vorteile eines Hotels, ohne die Angst bei einer unbekannten Person zu buchen. „Anfangs bekamen wir auch skeptische Anrufe“, erzählt Theresia Kohlmyr lächelnd.
Die Gäste wollten sicher gehen, dass hinter der Buchung, eine reale Firma steht. Die Einführung des Schlüsselsystems mit Safe war ein langer Prozess und erfordert eine intensive Kommunikation. Mittlerweile seien die Leute aber dafür sensibilisiert. Das Zimmer selbst ähnelt einem modernen Loft mit hohen Decken, die Ziegelwand wurde beim Umbau extra wieder freigelegt. Das absolute Highlight ist aber die überdimensionale Dusche. In den renovierten Räumen finden sich auch originale Möbelstücke und Inventar, wie Lampenschirme, Bilder oder eine Nähmaschine. Die Gegenstände erzählen ein Stück der lokalen Geschichten und von den Menschen, die hier gelebt und gearbeitet haben.

„Die Lampenschirmmacherin“ (c) Heidrun Henke

In jedem Alter abenteuerlustig
Auf die Schaufenster im Zimmer reagieren die Gäste unterschiedlich: „Manche ziehen die Vorhänge nach ihrer Ankunft sofort zu. Andere sind da offener.“ Jeder bestimmt selbst, ob er sich mit einem Stuhl raus auf den Gehsteig setzen will um das Treiben zu beobachten, oder die Stadt für ein paar Stunden aussperrt möchte. Ihre Gäste beschreibt Frau sie als abenteuerlustig, gut informiert und unabhängig. Auch beim Alter gäbe es keine Ausnahmen, das reiche von 18 bis 80. Eine Überraschung war, dass sogar die Hausbewohner die Zimmer buchen. Wenn die Familie auf Besuch komm, muss sie dank der Grätzlhotels nicht mehr auf der Couch schlafen.
Frühstück gibt es für die Gäste des Grätzlhotel am lokalen Markt um die Ecke oder beim Becker nebenan. Wer Rat braucht kann sich bei den verschiedenen Grätzl-Gastgeber Empfehlungen und Anregungen von Insidern einholen. Dur die Zusammenarbeit mit anderen Geschäften und Lokalen der Gegend, gibt es spezielle Serviceleistungen: ein Picknickkorb gefüllt mit Spezialitäten vom Markt, Leihräder oder eine Massage in der eigenen Suite.

Grätzl Karmelitermarkt; (c) Heidrun Henke

Wiener Grätzl bald international bekannt?
Konkrete Pläne für die Erschließung neuer Grätzl oder Städte gibt es nicht. Interessant für die Betreiber wäre der siebte und fünfte Bezirk, sollte es sich ergeben. „ Unser Hauptaugenmerk liegt jedoch darauf, das Angebot im vierten und zweiten Bezirk zu verdichten. Wir möchte gerne pro Grätzl 10-15 Zimmer anbieten.“ Besonders durch die Fertigstellung des Hauptbahnhofes und den Umstand, dass auch viele Züge aus dem Westen hier ankommen, erfährt die Gegend um das Belvedere einen stetigen Zustrom. „Meidling ist noch ein eher unentdecktes Gebiet, auch für die Wiener selbst.“ Auch aus anderen Städten gibt es reichlich anfragen, an dortige Eröffnungen denkt man jedoch nicht. Vielleicht wird es eine Marketingzentrale geben, um das Know-how zu vermitteln oder um den Namen mitvermieten.

Weiter Informationen zu den verschieden Zimmern und Preisen gibt es hier.

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