Souveniers in Tel Aviv, Foto: E.Frerk
Eine Volksschule hat nach der Beschwerde einer Mutter alle Kreuze im Gebäude abhängen müssen. Der Anteil der „christlichen Schüler“ war unter 50 Prozent gesunken. Der Beginn einer historischen Entwicklung.Es sind ein paar Handgriffe, die große Aufregung verursachen. In einer Wiener Volksschule hängen keine Kreuze mehr. Die Schulleitung ließ sie abhängen. Nahezu sämtliche Tageszeitungen berichten. Vorerst verhalten. Politische Reaktionen stehen aus – mit Ausnahme der FPÖ. Es dürfte die erste öffentliche Schule in Österreich seit 1945 sein, in der dieser Schritt unternommen wurde.
Die Schulleitung dürfte nach Berichten von der Initiative Religion ist Privatsache alles getan haben, um das zu verhindern. Die Zahl der Kinder, die von ihren Eltern als Mitglieder einer christlichen Konfession eingetragen worden waren, dürfte schon länger unter 50 Prozent gelegen haben – jene nahezu magische Grenze, ab der das Schulkonkordat vorschreibt, dass Kreuze in allen Klassenzimmern zu hängen haben. Passiert wäre nichts, hätte sich nicht eine Mutter einer Schülerin an den Kreuzen gestoßen.
So schwer wie möglich gemacht
Auch ihr machte man es offenbar so schwer wie möglich. Als sie bei der Schule nachfragte, ob es überhaupt noch eine rechtliche Grundlage für die Kruzifixe gebe, stieß sie auf taube Ohren, sagt Eytan Reif von Religion ist Privatsache: „Entgegen den Bestimmungen des Wiener Auskunftspflichtgesetzes und trotz mehrmaligen Ansuchens, gaben anfangs weder die Schuldirektion noch der zuständige Schulinspektor der Mutter bekannt, wie viele der Schulkinder als „Christen“ gemeldet wurden. Wie sich jedoch später herausstellte, waren weniger als 50% der Kinder, die die Schule ihrer Tochter besuchen, als „Christen“ gemeldet.“
Womit es keine rechtliche Grundlage mehr gab. Die Schulleitung versuchte es mit einem Kompromiss: Sie ließ die Kreuze nur in einigen Klassen abnehmen. Was weder Schulgesetze noch Konkordat vorsehen. Sie sprechen ausdrücklich nur nach Schulen als Ganzes. „Schließlich hat die Direktion eingelenkt und alle Kreuze entfernt“, sagt Reif. „Es geht hier um das Recht auf Freiheit von Religion in öffentlichen Schulen“.
FPÖ zeigt sich verwirrt
Der Bildungssprecher der FPÖ im Nationalrat, Walter Rosenkranz, reagierte gegenüber Medien offensichtlich verwirrt: „Es ist schon erstaunlich, wie hier Einzelpersonen mit ihrer Minderheitenmeinung die Mehrheit gängeln können“. Dass eine Mehrheit immer aus 50 Prozent plus x besteht und keineswegs auf weniger als 50 Prozent scheint ihm in seiner ersten Reaktion entfallen zu sein.
Bildungsstadtrat reagiert ruhig
Der Wiener Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) zeigt sich bemüht, dem Vorgang keine erhöhte Bedeutung beizumessen. Gegenüber Medien ließ sein Büro ausrichten, es gebe nur die Regelung, dass Kreuze ab 50 Prozent „christlicher“ Schülerinnen und Schüler hängen müssten. Für den umgekehrten Fall gebe es „keine Regelung“. Das seien ohnehin Einzelfälle – die bisher allerdings nur in den konfessionellen Privatschulen nicht-christlicher Religionsgemeinschaften eingetreten sein dürften. Ähnliche Fälle in öffentlichen Schulen wurden – zumindest nach Recherchen des hpd – bisher nicht bekannt.
Sicher nicht einzige Schule ohne „christliche“ Mehrheit
Angesichts der demographischen Entwicklung überrascht das. In Wiener Schulen dürfte es eher die Regel als die Ausnahme sein, dass weniger als 50 Prozent der Kinder als Mitglieder christlicher Konfessionen gemeldet sind. Der Katholikenanteil in der Bundeshauptstadt liegt unter der 50-Prozent-Marke.
Selbst mit den Mitglieder aller anderen (anerkannten) christlichen Religionsgemeinschaften dürfte der „Christenanteil“ in Wien kaum 60 Prozent erreichen – die relativ starke serbisch-orthodoxe Gemeinde miteingerechnet. Nirgends ist der Anteil der Konfessionsfreien so hoch wie hier. Das dürfte – mit Ausnahme regionaler Besonderheiten vielleicht – auch für Muslime und Angehörige kleinerer Religionsgemeinschaften gelten.
Zahl der Taufen sinkt
Dazu kommt, dass ältere Generationen im Katholiken- wie auch im weit weniger großen Protestantenanteil stark überrepräsentiert sind. Es lassen deutlich weniger Eltern ihre Kinder taufen als noch vor einer Generation. Österreichweit lag etwa der Anteil der katholisch getauften Kinder des Jahrgangs 2011 im gleichen Jahr bei 57 Prozent – bei einem durchschnittlichen Katholikenanteil in der Gesamtbevölkerung von 64 damals Prozent.
Es ist alles andere als spekulativ, wenn man davon ausgeht, dass dieser Anteil in Wien deutlich darunter lag. Die anderen christlichen Konfessionen werden das nicht nennenswert zu steigern vermocht haben.
Bald mehr Schulen ohne Kreuze?
Dass in vielen, wahrscheinlich sogar den meisten, Wiener Schulen noch Kreuze hängen, dürfte dem Desinteresse oder wahlweise der Angst vor Veränderung bei den Schulbehörden geschuldet sein. Aktuell bedarf es des „couragierten Einsatzes“, wie es Eytan Reif formuliert, von Einzelpersonen um Kreuze zu entfernen. In wenigen Jahren dürfte das anders werden. Zumal Religion ist Privatsache nach eigenen Angaben mehrere ähnliche Fälle vorliegen.
Der Anteil „christlicher“ Kinder wird vor allem in den Städten weiter deutlich sinken. Womit der Druck auf Schulbehörden steigen wird, die Symbole der einstigen Mehrheitsreligion aus den öffentlichen Klassenräumen zu entfernen.
Christoph Baumgarten