„The Next Day“
(Sony)
Kürzlich hat man sie noch einmal alle zusammen mit dem Thin White Duke gesehen, die einstigen Weggefährten, wenn auch nur als Schauspieler in der grandiosen Videohommage „Dave“ des belgischen DJ-Duos Radio Soulwax. Freddie Mercury, Lou Reed und Iggy Pop, sie alle garnieren Bowies Lebenswerk als Clip in Überlänge, eine Offenbarung fürwahr, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird klar, dass Bowie unter den Vieren der Einzige ist und bleibt, der auch heute noch in der Lage ist, einen interessanten und zugleich populären Sound zu kultivieren – Mercury ist leider schon länger nicht mehr im Rennen, Reed grantelt unentwegt und versucht sich lieber an einer verunglückten Neuauflage seiner Metallmaschinenmusik und Herr Osterberg wiederum gefällt sich als vereinsamter Punk mit frankophilem Bildungshintergrund. Bowie also – und dieser hat, so die zweite Einsicht aus dem vertonten Bilderreigen, im Laufe der Jahrzehnte als optisches und musikalisches Chamäleon eine Unzahl von Volten gedreht und so ein derart buntes und reichhaltiges Oevre angesammelt, dass es einem schier den Atem nimmt.
Nun also „The Next Day“, zehn Jahre nach der letzten Platte „Reality“, das dreißigste (!) reguläre Studioalbum, natürlich mit unvergleichlichem Trara durch die Medien getrommelt und als glückseligmachendes Wunder angepriesen. Wirklich? Nun, auch wenn Bowie den Einstieg mit den Worten nimmt „Here I am, not quite dying“, er wird darüber schmunzeln können und beweist schon mit der Wahl des Covers von Jonathan Barnbrook reichlich Humor – der gesichtslose Retroheld mimt den Wiederholungstäter und Einfallslosen, toller Witz! Dabei sind schon die ersten vier, fünf Stücke des Albums so kraftvoll und - jawoll! – bowiesk, als wäre er nur mal auf eine schnelle Fluppe aus dem Zimmer gewesen. Alles da, vom schneidigen Gitarrenfunk der „Dirty Boys“ und den bratzigen Saxsoli ebenda, elegante Popmomente („The Stars...“) und düstere Heavyness plus synthetische Unterkühltheit („Love Is Lost“) – schon da hat der Herr mehr Pfeffer im Arsch als der Rest der früheren Clique und so mancher Jungspund sowieso.
Man muß Bowie fast dankbar sein, dass er diese Brillanz nicht über das komplette Werk halten kann – mit „If You Can See Me“ und „(You Will) Set The World On Fire“ sind durchaus auch mittelmäßige Stücke auf der Platte gelandet, zu indifferent das eine, mit breitbeinigen Rockriffs der 90er mehr verunstaltet als veredelt das andere. Er fängt sie trotzdem auf, kann mit den wehmütigen, schwelgerischen Klängen von „Where Are We Now“, „I’d Rather Be High“ und auch „You Look So Lonely...“ die Herzen wärmen, gibt zum satten Gitarrensound von „Boss Of Me“ den erfahrenen Liebhaber und Tröster oder swingt sich einfach leichtfüßig durch Raum und Zeit („Dancing Out Of Space“). Ganz zum Schluß wird’s dann doch noch bedrohlich, Bowie dimmt für „Heat“ das Licht und irritiert mit kryptischen Zeilen: „The world would end, and night was always falling ... my father ran the prison, I can only love you by hating him more ... and I tell myself, I don't know who I am.“ Frohnaturen klingen anders – Hörer ratlos, Ende offen. Er hat sich wohl noch nicht entschieden und wird mit uns, so bleibt zu hoffen, noch ein paar Takte zu reden haben, in naher Zukunft. www.davidbowie.com