Wie Zucker die Zukunft beeinflusst...

Von Pseudoeconomist
Der Mensch handelt in wirtschaftlichen Situationen stets rational und ökonomisch interessante Thesen oder Forschungsberichte findet man in entsprechenden Fachzeitschriften wie dem Journal für Betriebswirtschaft. Ist doch ganz klar, oder? Was Du heute kannst belohnen... Ganz so einfach, wie es sich die Wirtschaftswissenschaft lange Zeit gemacht hat, verhält es sich mit menschlichem Verhalten leider nicht. Jeden Tag beobachten Verhaltenswissenschaftler und Ökonomen neue Anomalien, die sich einfach nicht mit der schönen Theorie des Homo Oeconomicus erklären lassen. Das Phänomen der Diskontierung zukünftiger Gewinne bei intertemporalen Entscheidungen - also der Wahl zwischen Belohnungen, die zu verschiedenen Zeitpunkten in Aussicht gestellt werden - ist ein bekanntes Beispiel: Probanden ziehen unmittelbare, wenn auch geringere Gewinne einer höheren Belohnung in einem definierten Zeitabstand (z.B. in einem Jahr) vor. Selbst wenn diese Entscheidung ökonomisch gesehen nachteilig ist, empfinden wir sofortige Belohnungen als wertvoller und erstrebenswerter. Erst wenn die Gewinnsumme um ein deutliches absinkt, wird die Auszahlung in der Zukunft attraktiver. Auch der Erfolg der Kreditkartenindustrie basiert auf diesem Phänomen: wir Menschen wollen nicht warten, sondern lieber gleich heute in den Genuss neuer Anschaffungen kommen. Doch nicht nur in finanziellen Fragen, auch im Alltag hat der Mensch mit diesem Problem zu kämpfen, Versuchungen lauern überall. Dass die Fähigkeit für einen Belohnungsaufschub vom Frontalhirn, genauer gesagt von einer Stimulation des präfrontalen Cortex abhängt, hat ein Forschungsteam aus dem Bereich der Neuroökonomie um den Marcel-Benoist-Preisträger Ernst Fehr bereits ermittelt und kürzlich in der Zeitschrift Nature veröffentlicht (Pressemeldung hier).


Der Mensch ist, was er isst....

Inwiefern diese Stimulation von der Blutzuckerversorgung abhängig ist, erklärt Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Direktor der psychiatrischen Uniklinik in Ulm, in einem Artikel der Zeitschrift 'Nervenheilkunde' - soviel also zu ökonomisch relevanten Fachzeitschriften... Er bezieht sich in seinem Artikel auf eine Studie (kostenlos im Volltext hier) von zwei Forschern der University of South Dakota, die 65 Studenten nach ihren Präferenzen bei 14 variierenden intertemporalen Entscheidungssituationen befragt haben. Um Aussagen über die Auswirkung von Variationen des Blutzuckergehaltes zu treffen  zu können, wurde ein Teil der Probanden mit zuckerhaltigen Getränken (Sprite) versorgt, die andere Gruppe mit der zuckerfreien Diätvariante (Sprite Zero).
Mit beeindruckendem Resultat: Den Zero-Trinkern war ein sofortiger Gewinn von 100 Euro durchschnittlich genauso soviel wert wie 62 Euro in zwei Monaten. Hatten die Probanden jedoch die "klassische" Sprite-Variante mit ca. 35 Stück Zucker pro Liter zu sich genommen, war die Diskontierung des zukünftigen Gewinnes deutlich geringer ausgefallen: 100 Euro Sofortgewinn waren den Probanden durchschnittlich genau soviel wert wie 85 Euro in 2 Monaten - eine stolze Differenz von 23 Euro! Zucker macht ganz offensichtlich geduldig!
Wenn da die Zuckeruhr vom Jahrmarkt nicht eine ganz neue Bedeutung erhält... Welche Erkenntnis kann die Finanzwelt daraus ziehen? Bei wichtigen Sitzungen, vor allem wenn es um Investoren, Dividenden und andere, sensible Geldangelegenheiten geht, sollte die Getränkeauswahl ganz sicher nicht dem Zufall überlassen werden!