Quelle: Helmut Mühlbacher
Ihr Lieben,heute Abend möchte ich Euch eine Geschichte von Paul Haar erzählen:
„Die geheimnisvolle Tür“
„Ich muss damals acht Jahre alt gewesen sein, als ich im Hause meines Großvaters die Tür entdeckte, die mir Angst machte. Sie befand sich oben auf dem Dachboden des alten Gebäudes.
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Eigentlich war es nur eine gewöhnliche, braune Tür aus unbearbeitetem Holz. Einige Male war ich schon mit Großvater oben auf dem Dachboden gewesen, aber die Tür war mir noch nie aufgefallen.„Opa, woher kommt die Tür?“, fragte ich ihn.
„Woher soll sie kommen, sie war schon immer da“, antwortete Großvater gleichmütig.
Er suchte unter all dem Gerümpel nach leeren Flaschen.
„Und wohin führt sie?“, fragte ich weiter.
„Nirgendwohin“, sagte er, blies den Staub von einer Flasche und stellte sie zu den übrigen in einen Korb.
„Nirgendwohin?“, entgegnete ich, „das gibt es doch gar nicht. Ich meine: Wenn man da durchgeht, wo kommt man da hin?“
„Man kann nicht hindurchgehen“, antwortete mein Großvater geduldig.
„Habt ihr den Schlüssel verloren?“, hakte ich nach.
„Nein, sie ist nicht abgeschlossen“, sagte er und lachte ein wenig. „Du kannst sie öffnen, wenn Du Dich traust, die Spinnweben wegzuziehen.“
Ich trat auf die Tür zu, streckte den Zeigefinger aus und wischte damit die Spinnweben fort, die vom Türgriff herabhingen. Irgendetwas hinderte mich, den Türgriff zu fassen, niederzudrücken und die Tür aufzuziehen.
An diesem Abend konnte ich lange nicht einschlafen. Immer wieder musste ich an die Tür denken, die ich nicht geöffnet hatte und die ins Nirgendwo führte. Schließlich schlief ich doch ein und träumte von einer Tür, aus der eine große Hand nach mir griff, die mich hindurchziehen wollte. Ich sträubte mich dagegen, schrie nund schlug um mich, bis Großmutter kam und mich wachrüttelte.
Während des Tages vergaß ich die Tür. Aber am Abend im Bett kam die Angst wieder. Und wieder hatte ich einen Alptraum, in dem einen riesige Tür eine Rolle spielte. „Heute Nacht hast Du wieder im Schlaf geschrien“, sagte Großvater beim Frühstück. „Sag schon, was ist denn los?“ „Ich fürchte mich vor der Tür“, gestand ich. „Vor der Tür?“, fragte er verständnislos.
„Vor der Tür auf dem Dachboden.“
Er schien zu begreifen. „Die Tür, die Du aufmachen wolltest und dann doch nicht geöffnet hast“, sagte er. „Da gibt es nur ein Mittel: Wir gehen zusammen nach oben und öffnen sie!“
Er nahm mich an der Hand und wir stiegen gemeinsam die Treppen hoch zum Dachboden. Vor der Tür blieb er stehen.
„Mach auf!“, sagte er. „Kannst Du sie nicht aufmachen?“, fragte ich.
„Nein“, antwortete er. „Wenn man Angst hat, dann gibt es nur ein Mittel dagegen: Man muss durch die Angst durch. Wenn Du die Tür öffnest, wirst Du Dich nie mehr vor ihr fürchten.“
Ich stand vor der Tür und streckte die Hand nach dem Griff aus. Ich fand es lächerlich. Aber ich schaffte es nicht, die Tür aufzumachen. Mein Mund war trocken, meine Hände zitterten. Ich fühlte Schweißtropfen auf meiner Stirn.
„Bitte Opa, mach Du die Tür auf“, bat ich ihn.
Er schüttelte den Kopf. „Du musst es selbst tun“, sagte er.
Mit einem Ruck riss ich den Türgriff nach unten und zog die Tür auf:
Dahinter war nichts als eine rote Backsteinmauer.
„Du hast es geschafft, sagte Großvater erleichtert. „Siehst Du, es ist genauso, wie ich es Dir gesagt habe, die Tür führt nirgendwohin.“
„Aber warum ist da eine Mauer“, fragte ich. „Früher haben dieses Haus und das Nachbarhaus zusammen gehört, man konnte von einem Dachboden zum anderen gehen“, erklärte er. „Als mein Vater das Haus gekauft hat, ließ er die Türöffnung zumauern. Darum ist da jetzt eine Mauer.“
Natürlich habe ich später oft noch Angst gehabt, auch und gerade als Erwachsener.
Aber Großvaters Rezept, dass man „durch die Angst durchgehen müsse, hat mir immer geholfen.“
Ihr Lieben,
Ängste – in manchen Stunden unseres Lebens quälen sie uns, dann kriechen sie an uns hoch, sorgen dafür, dass unser Herz schmerzt oder wir das Gefühl haben, keine Luft mehr zu bekommen.
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Unsere kleine Geschichte zeigt uns auf eine feine Weise, wie wir unsere Ängste nicht besiegen können und wie wir frei von unseren Ängsten werden können:Es ist nutzt nichts, die Angst zu leugnen.
Wenn wir die Augen schließen, uns die Ohren zuhalten oder vor der Angst davon laufen – das alles nutzt nichts, die Angst holt uns ein, die Angst lässt uns nicht zur Ruhe kommen.
Niemand außer uns selbst kann unsere Ängste besiegen.
Wie schön wäre das, wenn wir jemand dafür bezahlen könnten, damit er unsere Ängste besiegt. Das wäre sicher ein vielbeschäftigter und gewiss auch sehr wohlhabender Mann. Aber diese Möglichkeit gibt es nicht, nur wir selbst können unsere eigenen Ängste besiegen.
Um unsere Ängste zu besiegen, müssen wir uns ihnen stellen.
Wir müssen ihnen mutig und zuversichtlich entgegentreten und dann werden sie ihren Schrecken verlieren.
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Ich wünsche Euch eine gute neue, angstfreie und mutige Woche und grüße Euch herzlich aus BremenEuer fröhlicher Werner
Quelle: Karin Heringshausen