Wie Wikipedia arbeitet

Wie Wikipedia arbeitet
von Thomas Baader

Wikipedia erweist sich im Alltag für viele von uns als sehr nützlich. Das "Online-Lexikon" ist stets äußerst hilfreich, um schnell und unkompliziert Recherche zu betreiben. Dennoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass Wikipedia, was enzyklopädische Ansprüche betrifft, noch nicht einmal semiprofessionell zu nennen ist. Wikipedia ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, der von ideologisch versierten Vielschreibern genutzt wird, um uns ihre Ansichten als Tatsachen zu verkaufen.

In einer älteren Version des Wikipedia-Eintrags über den Satiriker Bernd Zeller war noch zu lesen gewesen, dass Zeller auf dem Blog "Achse des Guten" regelmäßig rechtskonservative Ansichten äußere. Die Formulierung ist mittlerweile rausgeflogen, war jedoch über einen längern Zeitraum Bestandteil des Artikels gewesen. Sie kam völlig ohne Belege oder Beispiele aus.

Vor allem junge Leser mit wenig Medienkompetenz werden hier systematisch getäuscht. Zeller äußert sich "rechtskonservativ" - wer findet das? Ein Politikwissenschaftler? Ein bekannter Journalist? Ein weniger erfolgreicher und deshalb neidischer Kollege? Zellers Nachbar, der findet, dass er den Müll nicht richtig trennt? Cem Özdemir? Oder am Ende doch einfach nur ein völlig unbedeutender Wikipedia-Autor, der seine eigene Meinung zum Maßstab aller Dinge macht? Es bleibt im Dunkeln. Und eben deshalb sind in diesem Fall für den unerfahrenen und naiven Leser die Kategorien Ansicht und Tatsache auch ununterscheidbar.

Im Artikel "Die Achse des Guten" heißt wiederum es bei Wikipedia:
"Jörg Lau kritisierte auf der Website der deutschen Wochenzeitung Die Zeit die Schwulenfeindlichkeit von Henryk Broder und des Weblogs Achse des Guten allgemein."

In der Schule würde man jedem Schüler, der in einer Deutschklausur diesen Satz schreibt, eine entsprechende Anmerkung an den Rand schreiben: nämlich dass die verwendete Formulierung ungeeignet ist, da sie die angebliche "Schwulenfeindlichkeit" Broders, die Lau kritisiert, als eine Tatsache darstellt und nicht, wie es richtig wäre, als Ansicht. Man liest also: Die genannte Schwulenfeindlichkeit ist real, und Lau kritisiert sie. Das suggeriert dieser Satz.

Außerdem heißt es dort auch: "In einem wissenschaftlichen Fachaufsatz zum Thema Islamfeindlichkeit wurde Die Achse des Guten als 'antiislamische' Website eingestuft." Die Fußnote führt zu einem entsprechenden Fachaufsatz von Dr. Sabine Schiffer. Jeder, der über ein bisschen Hintergrundwissen verfügt, kann sich denken, dass ein Fachsaufsatz von Dr. Schiffer über die "Achse" ähnlich neutral und objektiv ausfallen düfte wie eine Doktorarbeit von Erich Honecker über Oppositionelle in der DDR.

Im Diskussionsbereich zum Wikipedia-Artikel "Naika Foroutan" geht es wiederum um meine eigene Person - hauptsächlich um so weltbewegende Fragen wie, ob mein im September 2010 auf der "Achse" erschienener Artikel "Frau Foroutans Zahlenspiele" wirklich von mir ist, ob ich nicht vielleicht in Wahrheit Phillip Schwab, der Betreiber des Blogs "CDU-Politik.de" bin, ob ich auch wirklich im Integrationsverein "Peri" tätig bin und inwieweit man mich überhaupt als enzyklopädisch relevant einstufen musss. Zumindest weiß ich, was für mich nicht releveant ist: diese Debatte.

Also findet meine Kritik an Foroutans Arbeitsweise keinen Eingang in den Artikel (was mir keine schlaflosen Nächte bereitet), dafür aber gegen Foroutan ausgestoßene Schmähungen von den Seiten von "Politically Incorrect". Zweifellos haben diese Beleidigungen wirklich stattgefunden. Man fragt sich aber doch, warum sie in den Artikel aufgenommen wurden, wenn vergleichbare Äußerungen in diversen Internetforen und Kommentarbereichen, die gegen Sarrazin, Buschkowsky, Giordano, Kelek, Cileli usw. gerichtet waren, natürlich in den den jeweiligen Artikeln keine Berücksichtigung fanden. Die Viktimisierung Foroutans hingegen dient in ihrem Artikel offensichtlich dazu, Sympathien beim Leser zu wecken: Wer Opfer von Schmähungen wird, muss einer der Guten sein.

Es offenbart sich ein grundlegendes Wikipedia-Problem, vor allem bei Artikeln über noch lebende prominente Personen, aber auch bei wissenschaftlichen Themen: Manchmal ist die Darstellung noch nicht einmal wirklich falsch, sie bildet dann bloß einen kleinen Teil der öffentlichen Debatte oder des Forschungsstandes ab. Mancher Wikipedia-Autor hat wohl zu einem bestimmten wissenschaftlichen Thema ein einziges Buch gelesen, das nur eine Lehrmeinung unter vielen wiedergibt - und schreibt den Artikel nun so, als wäre das der allgemeine Konsens in der Forschung. Um das zu bemerken, muss der Leser hinsichtlich des Themas bereits vorgebildet sein.

Viele Lehrer verbieten ihren Schülern, bei Internetrecherchen auf Wikipedia zurückzugreifen. Es gilt ihnen als "unseriöse Quelle". Anfangs hielt ich diese Einstellung für übertrieben. In den letzten Jahren wurde sie für mich immer nachvollziehbarer. Man kann bei Wikipedia vor allem eines lernen: Was enzyklopädisches Arbeiten NICHT ist.

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