Große Teile unserer Kommunikation haben sich in den letzten Jahren auf virtuelle Mittel verschoben. Statt zu telefonieren, schreiben wir oft lieber eine schnelle Nachricht. Dass Emotionen, Gefühle, Ironie, Spaß und Ernst hier nicht optimal transportiert werden können wissen wir alle. Wir erhalten eine Nachricht und sind uns nicht sicher, ob der Andere das nun ernst meint oder Spaß macht. Der Smiley hat sich bewährt, ist leider aber auch nicht annähernd so aussagekräftig wie Stimmlage und Mimik. So kommt es zu Missverständnissen, die wir oft still und leise für uns akzeptieren. Falsche Wahrnehmung, die uns auseinander treibt. Aber nicht nur die Art der Kommunikation ist daran schuld, dass wir Dinge oft verquer wahrnehmen. Es ist unsere Oberflächlichkeit und unsere Tendenz, die Dinge immer so zu interpretieren, wie sie uns gerade am besten in den Kram passen. Die Frage ist, ob wir uns damit wirklich einen Gefallen tun. Ein schönes Beispiel liefert Martin, mein unentschlossenes Fast-Date.
Aktion und Reaktion
Die Tatsache, dass Martin sich nach unserem ersten Date aus dem Staub gemacht hat, weil er nicht weiß was er will und sein Herz noch nicht öffnen kann, akzeptiere ich. Ebenfalls akzeptiere ich, dass er einige Wochen später seine Meinung ändert und um ein zweites Treffen bittet. Eine zweite Chance kann ich ihm nicht verwehren. Bei unserem ersten Treffen habe ich mich zu wohl gefühlt um nicht wenigstens zu testen, ob ich ein wenig hinter die Fassade schauen kann. Am Telefon sagt er mir, er hätte mich beim ersten Date gerne geküsst. Ich fühle mich geschmeichelt, halte mich aber vornehm zurück. Er flirtet mit mir, sagt mir wie gerne er mich wiedersehen würde. Ich erwidere. Nach einer Flasche Wein mit Freunden schreibt er mir, wie gerne er jetzt knutschen würde. Ich reagiere. Bewusst halte ich mich mit Eigeninitiative zurück. Ich bin nicht beherrscht genug um die unnahbare Frau zu spielen, und will es auch ehrlich gesagt nicht. Ich sollte, das weiß ich, allerdings fühle ich mich wohler wenn ich so bin wie ich eben bin. Wir schreiben viel, freuen uns beide auf unser Treffen. Zwei Tage zuvor sagt er ab. Sein Sohn ist krank, absolut verständlich. Auch wenn ich etwas geknickt bin, denke ich mir nichts dabei. Er schlägt vor, das Treffen zu verschieben. Danach ist es still.
Falsche Wahrnehmung oder berechtigte Zweifel?
Ein Tag vergeht, dann zwei, dann drei, ohne einen Mucks aus seiner Richtung. Ich beginne zu zweifeln. Ich beginne zu zweifeln, weil ich mir denke, man kann mal was von sich hören lassen, wenn man den anderen irgendwie leiden kann. Ich hänge mich nicht an der Tatsache, dass er sich nicht meldet auf, weil ich nichts Besseres zu tun habe. Das habe ich allemal. Allerdings fällt es mir schwer zu verstehen, warum diese Berg- und Talfahrt sein muss. Euphorisches Treffen. Flucht. Rückkehr mit fast romantischen Beteuerungen und dann: Nichts. Muss er gleich aufs Ganze gehen? Hätte nicht auch ein einfaches “Hey ich will dich wiedersehen!” ohne all die “wundervolls” und “tolls”, ohne diese Nachrichtenflut, ohne die flirtbelasteten Telefonate ausgereicht? Ich frage ihn, ob wir am nächsten Tag essen gehen wollen. Er antwortet nicht. Auf die Gefahr hin, wie ein pubertierender Teenager zu klingen sage ich es jetzt trotzdem: Sein dauerhafter Online-Status verrät mir, dass er wohl nicht aus Zeitmangel nicht antwortet. Also konfrontiere ich ihn und frage was los sei. Ich frage einzig und allein aus dem Grund, weil ich nur ungern mit mir spielen lasse. Wenn er unsicher ist, ist das vollkommen in Ordnung. Allerdings sollte er sich dann auch entsprechend verhalten. Sich zurückhalten, und nicht großes Interesse suggerieren, um sich dann im nächsten Moment wieder zurückzuziehen.
Call of Duty
Als wäre nichts gewesen beantwortet Martin meine Frage mit der Aussage, dass er im Grunde die ganze Woche komplett eingespannt wäre und erst am Sonntag wieder Zeit hätte. Aus einem unerklärlichen Grund werde ich sauer. Kurzschlussreaktion. Ich frage ihn ob er mich eigentlich auf den Arm nehmen will. Dann bekomme ich es ab, volle Breitseite. Wir könnten das Treffen auch gleich lassen, er habe nun mal eine Verantwortung der er sich nicht so einfach entziehen könne. Er sei nun mal nicht immer der Sonnenschein, der sich ständig meldet. Ach ja? Vor einer Woche noch war das absolut kein Problem. Ich sage ihm ehrlich, dass seine plötzliche Stille mich ein wenig verunsichert hat. Er schweift aus, darüber, dass er mich zwar gerne wiedersehen würde, aber nicht weiß ob das so gut ist, er habe nicht das Gefühl ich würde das verstehen. Ich habe genug und rufe ihn an. Dass wir uns nicht wiedersehen werden ist mir bereits in diesem Moment klar. Dann beginnt Martin Stück für Stück das Bild von sich in meinem Kopf zu zerstören. Mit jedem Wort seinerseits dräng er mich immer weiter in die Rolle der anhänglichen, abhängigen Frau, die quasi nichts Besseres zu tun hat als auf seine Nachricht, seinen Anruf zu warten. Ich hole Luft um mich zu rechtfertigen und lasse es. Ich mache mich nicht zum Affen. Er bekäme immer mehr den Eindruck, als hätte ich mich bereits Hals über Kopf in ihn verliebt. Auf einmal wird der Martin, der flirtet und mir sagt ich wäre eine tolle Frau ersetzt durch einen Martin, der mir locker und cool sagt er wisse ja nicht mal ob er mich irgendwie gut findet. Ich höre mir alles an und erspare mir den Kommentar. Ich weise ihn nicht darauf hin, dass ich nicht sabbernd vor meinem Handy sitze und auf eine Nachricht von ihm warte, und es lediglich als Akt der Höflichkeit empfinde, auf eine gestellte Frage zu antworten. Ich habe nicht das Bedürfnis ihm mitzuteilen, dass auch ich nicht ganz sicher bin ob ich das alles will oder nicht. Ich hatte lange keine Beziehung mehr, woher soll ich wissen ob ich nicht selbst wegrennen würde wenn es dazu käme. Ich weiß ja nicht mal ob ich ihn immer noch aufregend finde wenn ich ihn wiedersehe. Aber ich will es herausfinden. Wir einigen uns auf Sonntag.
Will ich oder will ich nicht?
Nach dem Telefonat gönne ich mir ein Glas Rotwein. Ich bin nicht traurig. Ich grüble. Das Ergebnis meiner Grübelei verärgert mich. Versucht er wirklich, mir den Schuh dafür anzuziehen, dass er nicht weiß was er will? Er redet davon, dass ich doch wissen müsse, dass er mir ehrlich sagen würde, sollte er mich nicht wiedersehen wollen. Ich müsse verstehen, dass er nicht so der Schreiber ist. Ja muss ich das? Wie soll ich das verstehen, wenn er mir etwas anderes suggeriert? Wie soll ich mir sicher sein, wenn ich diesen Mann so ganz und gar nicht kenne? Er war euphorisch, im ersten Moment, hat sich dann zurückgezogen weil er Schiss bekommen hat. Und jetzt soll ich den schwarzen Peter dafür spielen? Sicher nicht. Ich enge ihn ein, nehme ihm fast die Luft zum Atmen. Ich reflektiere viel über mich und meine Handlungen. Ich weiß ziemlich genau, wenn ich über die Strenge geschlagen habe. Ich habe es nicht. Es gab keine Eigeninitiative meinerseits, die ihn in die Flucht hätte schlagen können. Er agiert, ich reagiere. Für das, was er initiiert, muss er selbst die Verantwortung tragen. Was Martin wohl getan hätte, wäre ich eine dieser Frauen, die alle fünf Minuten eine Nachricht mit Liebesbekundungen und kitschigen Knutschmileys schickt? Eine Frau, die ständig anruft und eine ausbleibende Antwort nicht als Zeichen versteht, nicht mehr anzurufen? Stattdessen bin ich da. Ich habe mein generelles Interesse bekundet, wozu es keine Worte benötigt, und war bereit, die Sache einfach mal laufen zu lassen. Und nun verdreht Martin die Tatsachen, mir die Worte im Mund. Legt was ich sage auf die Goldwaage. Wenn ich jetzt daran denke, ihn zu treffen, ist die Vorfreude weg. Was bleibt ist ein komisches Gefühl. Will ich mich überhaupt mit einem Mann treffen, der mich so sieht? Bei dem ich das Gefühl habe, mich rechtfertigen zu müssen?
Ende ohne Schrecken
Ein paar Tage vor dem Treffen erhalte ich eine Nachricht von Martin. Wie es mir gehen würde, ihm ginge es super da nun endlich das Wetter besser sei. Diese gefühlt etwas zu fröhliche Nachricht wird gefolgt von der Folgenden: “Ich habe nachgedacht über unsere Texte und das Gespräch und ich glaube, ich will dich lieber nicht mehr wiedersehen und wir sollten das mit dem Treffen lassen. Ich denke es ist besser so. Pass auf dich auf!” Ich lese und staune. Unsere Texte? Du meinst die, in denen du mir mitten in der Nacht mitteilst, dass du knutschen willst? Ich lese, staune und bin gänzlich unberührt. Ich bin nicht traurig, nicht enttäuscht. Ein gutes Gefühl lässt sich schnell durch ein schlechtes verdrängen – das schlechte allerdings kann nicht mehr so leicht bereinigt werden. Nach unserem Telefonat habe ich bereits für mich beschlossen, dass ich mir für so etwas zu schade bin. Ich will mir nicht um jedes Wort, jede Tat zuvor den Kopf zerbrechen müssen. Ich will ich selbst sein können, und tun was ich für richtig empfinde. Vor allem aber will ich, dass mein Gegenüber das also ebenso selbstverständlich empfindet wie ich. Martin ist nicht dieser Mann. Er hat lediglich zeitweise die Fähigkeit so zu tun, als wäre er es. Ein paar letzte Worte lasse ich mir nicht nehmen.
“Lieber Martin, auch wenn ich denke, du interpretierst viel zu viel in diese Sache, bin ich ehrlich zu dir. Meine Vorfreude ist in den letzten Tagen zu Zweifel geworden. Ich hätte dich gerne getroffen um herauszufinden, ob sich das bestätigt, aber ich denke nicht, dass das noch notwendig ist. Wenn du jedes meiner Worte auf die Goldwaage legst, kann ich nicht ich selbst sein. Dass wir getrennte Wege gehen ist die beste Entscheidung.”
Für einen kurzen Moment hatte ich mich selbst verloren. Nun habe ich wieder zu mir zurückgefunden.
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