Statt der Frage “Wie viel Islam verträgt unser Land?”
Bis heute habe ich mich in meinen Blogartikeln von heiklen Themen, wie sie in aktuellen Debatten geführt werden, zurückgehalten. Die Entwicklungen in den letzten Tagen, vor allem Sendungen wie hart aber fair, die ihre Themen besonders einfallsreich benennen (zu nennen sei die Sendung vom 13.10.2010 “Özil hui, Ali pfui – welche Zuwanderer brauchen wir?”, bringen die Debatten auf den Höhepunkt.
So wie im Artikel der taz-Kolumnistin Kübra Yücel (Mesut Özil ist deutsch, ich bin es nicht, vom 12.10.2010) frage ich mich ebenfalls, warum ein deutscher Nationalspieler mit türkischen Wurzeln, der weder die deutsche noch die türkische Sprache problemlos beherrscht, als Symbol der “gelungenen Integration” glorifiziert wird, viele überintegrierte Perönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben jedoch als Deutsch-Türken bezeichnet oder gar als rückständig betrachtet werden nur anhand ihrer äußeren Erscheinung.
Sarrazin-Effekt im ganzen Land
Nach den Aussagen von Sarrazin hat sich das separatistische Gedankengut, das die gesellschaftliche Entwicklung mehrere Jahre zurückwirft, im ganzen Lande ausgebreitet und die Menschen sind mutiger geworden, diese öffentlich zum Ausdruck zu bringen.
Ein konkretes Beispiel? Ich biete sogar zwei aus meiner eigenen Erfahrung, die sich in diesen Tagen ereignet haben.
Das erste Symptom der sarrazinischen Psycho-Krankheit einer älteren Dame durfte ich letzte Woche in meiner Heimatstadt Köln erfahren. Ich saß im Bus und telefonierte in einer Fremdsprache (Türkisch). Der weibliche Fahrgast neben mir wollte aussteigen, woraufhin ich mit einer höflichen Gestik Platz machte, alsdann sich der folgende Dialog zwischen uns bildete:
“Gott sei Dank, dass ich jetzt aussteigen muss. Ist ja kaum zu ertragen ihr Gerede!”
“Wie bitte? Ich glaube Sie falsch verstanden zu haben. Haben Sie eben gesagt, dass es Sie stört, wenn ich in einer Fremdsprache telefoniere?”
“Nein! Ich hab’ ein Problem damit, dass Du überhaupt redest!”
“Ich glaub ich höre nicht richtig. Sarrazin-Effekt?!” (Schmunzeln bei den Fahrgästen; unwissend, ob es ein Ausdruck der Verlegenheit oder der Verachtung ist).
Sollte ich mich darüber aufregen, dass ich als Ausländer abgestempelt worden bin, dass die Dame mit mir von oben herabgeredet hat, indem sie ihre Höflichkeit aufgab und in der zweiten Person Singular sprach, oder dass sie diskriminierende Worte von sich gab, ohne dass überhaupt jemand reagierte?
Soweit so gut. Durch mein Hochschulwechsel von Köln nach Münster genoss ich eine gewisse Vorfreude über einen neu zu beginnenden Lebensabschnitt, frei von jeglichem Rassismus, anderweitiger Diskriminierung, jedweder Verachtung, gefüllt mit Toleranz und Aufgenommenheit, Respekt und Aufgeschlossenheit.
Wie blauäugig von mir aber auch!
Woher hätte ich denn wissen sollen, dass mich die Sarrazin-Krankheit auch hier verfolgt, um mich zu kränken und letztendlich zu töten? Heute fuhr ich traditionell mit einem Fahrrad in der Altstadt und sah einen älteren Mann, überzogen mit einem schwarzen Kittel und einer weißen Aufschrift: “Merkel verschuldet Deutschland um die TÜRKEN zu ernähren!”.
Ich wollte es nicht wahrhaben! Ich war fest davon überzeugt, dass der Sarrazin-Effekt nachgelassen hat, aber anscheinend verstärkt es sich mit den Folge-Debatten, die aus dem Saatgut des Ex-Bundesbankiers entsprungen sind.
Was soll ich machen? Ignorieren, so wie einige Facebook-Kollegen es mir raten? Auswandern und Material für die Presse (u.a. Focus) liefern, die seit gestern Rundmails schickt, dass sie dringend hochqualifizierte, türkischstämmige Personen suchen, die mit dem konkreten Gedanken spielen, auszuwandern?
Oder nach diesen grotesken Schlagzeilen und Erlebnissen mich einfach vor die Glotze setzen und als Dessert die sinnlosen und nichtsbringenden Islam/Integrations-Debatten im Fernseher im Munde zergehen lassen?
Danach werde ich ja eh sieben bis acht Stunden haben, während des Schlafs in eine Traumwelt zu fallen, wo es diese Probleme nicht gibt, bis es wieder heißt: “Aufwachen! Willkommen auf der wahren Seite des Lebens! Darf ich mich vorstellen: Ich bin dein Albtraum a.k.a. Sarrazin-Effekt!”
Vom Gastschreiber: Bilal Erkin