Wie unabhängig sind die Medien wirklich?

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Was das Grundgesetz oder die Verfassung angeht, gibt es in Deutschland und Spanien keine Pressezensur. Doch wie frei ist die Berichterstattung wirklich – oder besser: wie unabhängig ist sie? Ist der deutsche Medienkonsument besser dran als der spanische? Wie geht es Journalisten, die intensiv recherchieren und kritische Fragen stellen wollen? Und welche Tipps kann man Lesern und TV-Zuschauern geben, die sich möglichst umfassend informieren wollen. Diese und andere Fragen sollen hier analysiert werden von jemandem, der die Medien-Szene beider Länder aus eigener Erfahrung von innen kennt.

 

Zuerst ganz grundsätzlich das Resultat der Analyse vorweg. Es gibt (bisher!) keinen nennenswerten Unterschied zwischen Spanien und Deutschland, ausser einem einzigen: In Spanien gibt es kein Drecksblatt, das die politische Mehrheitsmeinung im Land fast allein und nach Belieben bestimmt. Das allerdings ist ein so erhebliches Unterscheidungsmerkmal, dass es unbedingt an den Anfang gehört. Das deutsche Drecksblatt hatte 1991 versucht, ein spanisches Pendant unter dem Namen “Claro” zu publizieren, das jedoch nur vier Monate später eingestellt wurde, nachdem es nicht funktioniert und hohe Verluste eingefahren hatte.

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Darüber hinaus und ohne zu sehr ins Detail zu gehen, sonst wird der Artikel endlos: Spanische wie deutsche Zeitungen kann man problemlos entweder der Politik-Schiene schwarz-gelb oder eben rot-grün zuordnen. Weder hier noch dort bekommen die Medien direkte Anweisungen der Regierung. Hier wie dort erfolgt keine Order, bestimmte Themen auszulassen oder wie Themen anzugehen sind. Dennoch gibt es Abhängigkeiten, die mindestens so schlimm oder vielleicht sogar schlimmer sind.

Medien kritisieren die Regierenden. Dennoch hat das deutliche Grenzen. Das Wirtschaftssystem beispielsweise wird nicht in Frage gestellt. Einige Presse-Organe beklatschen die Banken-Hilfe, andere kritisieren sie; niemand jedoch fordert zum Beispiel, “gerettete” Banken zu verstaatlichen und damit gesellschaftlich zu kontrollieren. Es gibt regierungstreue Medien und solche, die der Opposition nahe stehen. Doch fällt auf, dass in Deutschland wie in Spanien sofort die Kritik ausbleibt, wenn sich Regierung und Opposition einig sind. Als sich beispielsweise die deutsche Regierung 1999 am Jugoslawien-Krieg beteiligte, internationale Verträge brach und dem eigenen Grundgesetz zuwider handelte, folgte praktisch die gesamte Presse der Argumentation der Schröder/Fischer-Regierung.

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Weil alle Parteien, bis auf die abseits stehende PDS, den Krieg für nötig hielten, gab es keinen Widerspruch. Erst viel später gab man ganz leise auf den letzten Seiten zu, dass Kriegsgründe erfunden worden waren. So hatte es den “Hufeisenplan” nie gegeben, den Verteidigungsminister Scharping als Begründung angab und der angeblich die “ethnische Säuberung” des Kosovo durch Jugoslawien zum Ziel hatte. Doch der Krieg war vorbei, die Ziele erreicht. Die Medien hatten unisono gehandelt, Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit hatten sie einmal mehr nicht bewiesen.

Wie auch? Politik und Medien sind viel zu sehr verwoben. Journalisten werden geködert, indem man sie mit Exklusiv-Informationen versorgt, stellen Bücher von Politikern vor … oder anders herum. Besonders gute (willfährige) Journalisten werden Regierungssprecher. Conrad Ahlers (Spiegel) bei Willy Brandt, Klaus Bölling (Der Tagesspiegel u.a.) bei Helmut Schmidt, Peter Boehnisch (Bild) bei Helmut Kohl, Bela Anda (Bild) bei Gerhard Schröder, Ulrich Wilhelm (Bayrischer Rundfunk) bei Angela Merkel, Steffen Seibert (ZDF) auch bei Merkel. Um niemanden zu langweilen: Die andere Richtung läuft genauso. Conrad Ahlers wurde später Intendant der Deutschen Welle, Helmut Schmidt zeichnet als Herausgeber der “Zeit”.

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Nicht alle steigen auf. Aber allein die Möglichkeit des beruflichen Weiterkommens beeinflusst die Berichterstattung, sorgt für vorauseilenden Gehorsam und freiwillig umgehängte Maulkörbe. Und hier sind wir beim wichtigsten Stichwort des Artikels angekommen: Beim vorauseilenden Gehorsam! Der determiniert Medien-Ergebnisse fast so viel, wie eine Zensur es könnte. Das fängt bei den Verlagen an und hört beim allerletzten Journalisten auf. Der Schreiberling, der bei der Regierungs-Pressekonferenz besonders heftig attackiert, weiss genau, dass er das vermutlich nur einmal macht. Ein freundlicher Anruf beim Verleger, ob man nicht bitte jemand anders schicken könne, der heutige Journalist habe sich daneben benommen … und es müsste schon um einen sehr heftigen Einsatz gehen, wenn Verleger und/oder Chefredakteur jetzt nicht antworten “Ja, kein Problem, der kommt demnächst nicht mehr, wir schicken jemand anderen”.

Wenn Uhupardo-Leser “baranek” (der teilweise “schuld” an diesem Artikel ist, muchas gracias für die Anregung) glaubt, deutsche Journalisten seien unabhängiger und das sei halt ein “endemisches Problem in Spanien”, als wir gerade über die Entlassung von Ana Pastor und zweier Kollegen berichteten, irrt er sich gründlich. Damit kann man sich zwar die eigene deutsche Umgebung schöndenken, doch macht es die Lage dadurch (für ihn selbst) nur schlimmer. Als ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender unbequem wurde, schoss ihn die Union (Roland Koch, Stoiberund Co.) 2009 eiskalt ab. Union und SPD entscheiden, niemand sonst.  “Öffentlich-rechtliches” Fernsehen gibt es weder in Deutschland noch in Spanien – es ist in beiden Fällen Regierungsfunk, bezahlt mit Ihren Steuergeldern, und nichts weiter.

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Das ist nur die eine Schiene, die Unabhängigkeit behindert. Die wirtschaftliche Seite sorgt mindestens so sehr dafür. Kennen Sie – egal ob Deutschland oder Spanien – Automobil-kritische Presse? Natürlich nicht, denn es gibt sie nicht. Dafür hat fast jedes Blatt einen Auto-Sonderteil, in dem Fahrzeuge vorgestellt und angepriesen werden. Natürlich könnte man auch das gesamnte Verkehrssystem in Frage stellen, bei dem wenig ökologische Autos mehr stehen als fahren, überall Parkplätze fehlen und andere Konzepte sogar wirtschaftlicher sind. Doch dann müsste man auf die fetten Anzeigenaufträge der Auto-Industrie verzichten und das will niemand.

Beispiele gäbe es hunderte, nur eins noch: Vor einigen Jahren hatte ich kiloweise Papier auf dem Tisch, das zweifelsfrei bewies, dass eine grosse deutsche Touristik-Firma dreistellige Millionenbeträge gewaschen und an der Steuer vorbei geschoben hatte. Das Material war komplett wasserdicht. Kein einziges der grossen deutschen Medien wollte diese Geschichte bringen – kein einziges. Die Ablehnungen waren teilweise so skurril begründet, dass es an Kabarett grenzte. Völlig klar: Der Tourismus-Riese ist einer der attraktivsten Anzeigenkunden überhaupt. Deswegen war es sogar in Spanien ungeheuer schwierig. Am Ende fand ich ein einziges Medium dort, das die Geschichte brachte. Das unterschwellige Echo war riesig; offizielle Reaktionen blieben komplett aus. Selbst meine direkte Aufforderung, mich bitte zu verklagen, verschwand im tiefen dunklen Loch. Totschweigen war die Masche und klappte am Ende perfekt, weil die Medien mitspielten.

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Politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten nachzuweisen, ist ein Kinderspiel, und ich hätte – aus beiden Ländern in den vergangenen drei Jahrzehnten – hunderte von Beispielen dafür. Schwieriger wird es mit den Beziehungen, die sich zwischen Journalisten und ihren Lesern oder Zuschauern ergeben. Medienvertreter beschäftigen sich am liebsten mit Themen, die grosses Publikumsinteresse versprechen. Pluspunkte sammeln, Aufmerksamkeit generieren, Karriere machen, was denn sonst. Dabei sind schlechte, skandalöse Nachrichten generell die bessere Wette. Das wird von Chefredakteuren immer unterstützt. Diese Grundgesetze des Journalismus gelten aber ganz plötzlich nicht mehr, wenn die schlechte Skandalnachricht die falsche ist.

Zwischen 1998 und 2008 sind Zehntausende von Menschen an den EU-Aussengrenzen ums Leben gekommen. Allein auf dem Seegweg von Afrika zu den Kanarischen Inseln waren es mehr als 25.000 Flüchtlinge, die im Atlantik versunken sind. Hauptschuld daran trägt die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX, die durch Abschottungs- und Verfolgungsmassnahmen dafür sorgte, dass die Fluchtwege immer länger wurden. Dutzende Male stand ich, mit und ohne Kamera am Ufer, als Nussschalen mit völlig erschöpften, salzverkrusteten Menschen ankamen, die die lebensgefährliche Reise übers Meer überlebt hatten. Einmal hielt eine Afrikanerin ihr eben geborenes, blutverschmiertes Baby im den Händen, die Nabelschnur war noch dran

Szenen haben sich abgespielt, die man besser nicht beschreibt und ganz sicher nie vergisst. Die Besuche in den Flüchtlingslagern, die halb toten Menschen, die auf den Kanaren landeten: Das wäre doch die perfekte schlechte Nachricht, der geeignete Skandal, um Schlagzeilen zu machen? – Nein, eben nicht. Das ist die falsche schlechte Nachricht. Das Grenz- und Asylregime der EU mag zwar die Menschenrechte verletzen, doch gleichzeitig sichert es (angeblich!) den Wohlstand der Europäer. Da will der Leser/Zuschauer lieber nichts wissen von Menschenrechtsverletzungen, und da der Chefredakteur das weiss, kippt er diese Themen lieber und lässt sie unter den Tisch fallen. Statt dessen gibt es dann den Bericht üer Menschenrechtsverletzungen in China oder Russland, das kommt gut an und sagt dem Leser/Zuschauer “Du stehst auf der richtigen Seite!”.

Ich könnte Ihnen noch viel erzählen. Über die extrem gesunkenen Honorare freier Journalisten, die immer wieder nur noch mittels zwischengeschobener PR-Aufträgen ihre Miete zahlen können. Oder über die Angst aller (aller!) noch festangestellten Redakteure um ihren Arbeitsplatz (Stichwort: vorauseilender Gehorsam) nach den vielen Kündigungen in allen Medien. Über Medienkonzentrationen, die dafür sorgen, dass sie heute in vielen Medien die exakt selben Artikel lesen, weil sie alle demselben Eigentümer gehören. Es gibt immer noch Nischen des freien und unabhängigen Journalismus. Doch das sind eben Nischen und mit wenig Aufmerksamkeit. Fast alle wirtschaftlich nicht rentabel. Wer für sie arbeitet, kann von seiner Arbeit nicht leben. Deswegen enden die meisten irgendwann in der Mainstreampresse, in der Wirtschaft und Politik, um dort zu produzieren, was man hören oder lesen will.

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Was Pressefreiheit ist, definierte 1965 der Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Paul Sethe, schon glasklar: “Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.” – Das galt damals. Heute, mit so vielen Journalisten, die unter prekären Bedingungen arbeiten, gilt es noch viel mehr. Wenn das aber so ist, was kann der Medienkonsument denn tun, um nicht ständig das Gefühl zu haben, von allen Seiten verschaukelt zu werden?

Es gibt kein Patentrezept, aber Hoffnung. Die wachsende Blog-Spähre in Deutschland und die noch viel intensivere Blog-Szene Spaniens sind sehr erfreulich und erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Misstrauen ist auch im Netz unbedingt angebracht, keine Frage; doch wenn sie einem erfahrenen Journalisten glauben mögen: Sie werden in den Massenmedien in der Summe weitaus mehr betrogen und/oder man verschweigt Ihnen einfach die wichtigsten Informationen. Es braucht mehr qualitativ gute Blogs, mehr Whistleblowers vom Typ Wiki-Leaks oder wie auch immer. Vor allem aber brauchen wir ganz dringend mehr bewusste Menschen, die Massenmedien misstrauen, selbst denken lernen, sich die Zusammenhänge selbst suchen und Zeit in Informationsbeschaffung investieren, bevor sie sich eine Meinung bilden.

Vielleicht verstehen Sie jetzt z.B. die Gründung eines Uhupardo besser, die keinerlei wirtschaftliche Vorteile bietet und viel Zeit kostet. Lassen Sie sich nicht frustrieren: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich! Informieren Sie sich so breit wie möglich – aber denken Sie selbst!


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