Wie mit den Feinden einer toleranten Gesellschaft umgehen?

Von Nicsbloghaus @_nbh

Amsterdam

Die Stadt Amsterdam wird ab 2013, „Personen, die fort­ge­setzt Schwule und Lesben, Migranten oder andere Menschen schi­ka­nie­ren und mob­ben, zwangs­weise in geson­derte Containerdörfer umsie­deln, wo sie von Sozialarbeitern und Polizisten reso­zia­li­siert wer­den sol­len“, wie der Berliner „Tagesspiegel“ vor weni­gen Tagen gemel­det hat. Bis zu sechs Monate soll der Aufenthalt dort dau­ern kön­nen, bevor diese Personen in ihre Wohnungen zurück­keh­ren dür­fen. In den sepa­ra­ten Siedlungen sol­len sie mit Unterstützung von Sozialarbeitern ihr dis­kri­mi­nie­ren­des Mobbingverhalten erör­tern und reflek­tie­ren.

Amsterdamer Regelung gegen Mobbing / Stalking

Eine Sprecherin der Amsterdamer Stadtverwaltung hat dar­auf hin­ge­wie­sen, dass von der ent­spre­chen­den Regelung nur die aller­schwers­ten Fälle von Schikane und Mobbing erfasst wer­den sol­len, es han­dele sich um durch­schnitt­lich sie­ben bis zehn Fälle pro Jahr. Das Konzept sei klar defi­niert: „Kampf gegen schwere und fort­ge­setzte Einschüchterung.“

Als Beispiele für der­ar­tige Fälle wer­den bspw. ein les­bi­sches Paar genannt, das über einen lan­gen Zeitraum stän­dig beläs­tigt wurde, und eine Familie, deren Sohn eine Zeugenaussage vor Gericht tätigte und die des­halb täg­li­chem Spießrutenlauf in ihrem Wohnumfeld aus­ge­setzt war.

Nach nie­der­län­di­schem Recht ist es Bürgermeistern bzw. Stadtverwaltungen erlaubt, Einwohner befris­tet umzu­sie­deln, um Gefahren für die öffent­li­che Ordnung abzu­wen­den. Die ent­spre­chen­den Kompetenzen lie­gen bei der Kommune, der Polizei und der Staatsanwaltschaft.

Der Beschluss für das Projekt zur Bekämpfung von kri­mi­nel­lem, ras­sis­ti­schem und sexis­ti­schem Mobbing ist von der Amsterdamer Stadtregierung, die von Sozialdemokraten, Liberalen und Linksgrünen gebil­det wird, gefasst wor­den.

Es soll ein deut­li­ches Zeichen gegen die in den letz­ten Jahren enorm gestie­gene Ausländerfeindlichkeit und den Schwulenhass gesetzt wer­den. Null-Toleranz somit gegen Rassisten und Homophobe, die nicht gele­gent­lich mal het­ze­ri­schen Unmut äußern son­dern gezielt anhal­tend andere Menschen wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer sexu­el­len Orientierung mob­ben und schi­ka­nie­ren.

Irritierende Kritik an Amsterdamer Maßnahme

So weit, so gut, gäbe es nicht ein mitt­ler­weile über­bor­den­des Protestgeschrei. Die Protestler sehen, unter­schied­lich, die Meinungsfreiheit, die Freiheit schlecht­hin in Gefahr, fabu­lie­ren von „Belästigungen“, wo es um mob­bing und stalking-ähnlichem Verhalten geht, man­cher meint schon die Einrichtung von Konzentrationslagern aus­ma­chen zu kön­nen. Hinsichtlich der Kritiken fällt auf, das sie auf das eigent­li­che Thema (ziel­ge­rich­te­tes unun­ter­bro­che­nes mas­si­ves ras­sis­ti­sches und sexis­ti­sches Drangsalieren und Über­le­gun­gen zum Schutz der Betroffenen) über­haupt nicht ein­ge­hen, wie sich anhand der Kommentare zum Tagesspiegel-Artikel deut­lich zeigt; auf­fäl­lig ist auch, dass die Kritiken aus einer poli­ti­schen Ecke kom­men, die regel­mä­ßig gegen Ausländer und Schwule mobil macht, wie sich an einem Artikel und den dazu gehö­ri­gen Leseräußerungen bei Politically Incorrect1 zeigt. Offenbar hat das Vorgehen der Amsterdamer Stadtverwaltung bei ihnen den rich­ti­gen Nerv getrof­fen.

Bedenken wer­den aber auch von nicht die­sem poli­ti­schen zuge­hö­ri­gen Kritikern gegen die mit der Amsterdamer Maßnahme ver­bun­de­nen Aufenthaltsbeschränkungen und der vor­ge­se­he­nen Resozialisierung unter Einschaltung von Sozialarbeitern vor­ge­tra­gen.

Deutsche Rechtsvorschriften gegen unzu­mut­bare Belästigungen

Dies ist nicht nach­voll­zieh­bar, sind zumin­dest ähn­li­che Maßnahmen auch nach deut­schem Recht zuläs­sig und in der Praxis ange­wen­det. Es sei hier­bei nur auf das seit 2002 gel­tende Gewaltschutzgesetz (Gesetz zum zivil­recht­li­chen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen) ver­wie­sen, das umfäng­lich vor Angriffen schützt, die nicht ledig­lich in Körper-, Gesundheits- und Freiheitsverletzungen beste­hen kön­nen, son­dern auch – mit der Amsterdamer Problematik ver­gleich­bar – darin, dass jemand „eine andere Person dadurch unzu­mut­bar beläs­tigt, dass … ihr gegen den aus­drück­lich erklär­ten Willen wie­der­holt nach­stellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ver­folgt“ wird (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 b). Der Umfang der zuläs­si­gen Maßnahmen reicht vom Verbot des Betretens der Wohnung der ver­letz­ten Person, des Aufenthalts in einem bestimm­ten Umkreis die­ser Wohnung („Einrichtung einer stö­rungs­freien Bannmeile“), des Aufsuchens von Orten, an denen sich die ver­letzte Person regel­mä­ßig auf­hält, bis hin zum Verbot der Kontaktaufnahme und des Herbeiführens von Zusammentreffens und des Gebots der sofor­ti­gen Abstandsherstellung bei einem zufäl­li­gen Zusammentreffen. Diese Maßnahmen gehen weit über die Möglichkeiten nach dem Polizeirecht der Länder hin­aus.

Das Belästigungsverbot bezieht sich auf alle mög­li­chen Formen, es soll hart­nä­ckige Belästigungen ein­schließ­lich wie­der­hol­ter Über­wa­chung und Beobachtung des Opfers und stän­dige demons­tra­tive Anwesenheit des Täters in des­sen Nähe noch vor der Schwelle zur Strafbarkeit bzw. neben die­ser aus­schlie­ßen.

Wegen der Schwere ihrer Wirkung für den Täter müs­sen sie im Einzelfall ver­hält­nis­mä­ßig sein, und sie müs­sen befris­tet sein. Die Durchsetzung die­ser Anordnungen, die im Eilfall sei­tens der Polizei, ansons­ten aber von einem Gericht getrof­fen wer­den müs­sen, ist straf­be­wehrt (Geld- oder Freiheitsstrafe, § 4), und kann auch zusätz­lich mit­tels Zwangsgeldes ver­folgt wer­den.

Die deut­schen Regelungen die in Einzelpunkten von den nie­der­län­di­schen durch­aus abwei­chen mögen, ermög­li­chen sub­stan­ti­ell zum Schutz des Opfers sehr weit­ge­hende Eingriffsmöglichkeiten in Rechtspositionen des Täters.

Seit 2007 ist es in Deutschland zudem straf­bar, einer ande­ren Person beharr­lich nach­zu­stel­len.

Die Regelungen in Deutschland, ursprüng­lich vom Gedanken des Schutzes miss­han­del­ter Frauen inspi­riert, haben sich längst zu einem wich­ti­gen Pfeiler des Opferschutzes ent­wi­ckelt.

Amsterdam: Schutz der Opfer und Resozialisierung der Täter

Die Amsterdamer Maßnahme fin­det unter­halb der Schwelle der Strafbarkeit statt und ist somit ein wesent­lich mil­de­res Mittel, als die betref­fen­den Rassisten und Sexisten sofort zu kri­mi­na­li­sie­ren. Die Amsterdamer Regelung dient wesent­lich der Herstellung des Rechtsfriedens, indem sie den Opfern (u.a. Migranten und Schwulen) Sicherheit an den Orten gewähr­leis­tet, an denen sich täg­lich auf­hal­ten, die Täter aber ver­sucht, zu reso­zia­li­sie­ren, indem diese über ihr Verhalten gegen ihre Opfer reden und dar­über nach­den­ken sol­len. Ein sol­ches Vorgehen ent­spricht den Grundgedanken des deut­schen Jugendstrafrechts, wo über ent­spre­chende Maßnahmen Jugendliche mit den Folgen ihres Tuns kon­fron­tiert wer­den, sich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen haben und dadurch „gebes­sert“ wer­den sol­len.

Die Amsterdamer Regelung ist prä­ven­tiv ori­en­tiert und gibt den Tätern eine gute Gelegenheit, zu einem fried­li­chen Miteinander in der Gesellschaft zurück­zu­keh­ren. Das ist alle­mal bes­ser als abzu­war­ten, bis die Opfer trau­ma­ti­siert, ver­letzt oder getö­tet sind und die Täter ledig­lich hin­ter Schloss und Riegel zu brin­gen.

Ein Stadtteil, eine Stadt darf nicht den Feinden der tole­ran­ten Gesellschaft über­las­sen wer­den. Eine frei­heit­li­che Gesellschaft muss den Gesellschaftsfrieden gewähr­leis­ten, darf Opfer (-die Schwächeren-) nicht allein­las­sen und No-Go-Areas nicht zulas­sen. Minderheiten dür­fen nicht in die innere Emigration gezwun­gen oder zur Flucht ver­an­lasst wer­den.

Über den Rest, die Einzelheiten der Amsterdamer Regelung, da mag man dann dis­ku­tie­ren, wenn die Grundsätze geklärt sind.

Walter Otte

Fotoquelle: Wikipedia; Amsterdam Municipal Department for the Preservation and Restoration of Historic Buildings and Sites (bMA)

  1. wird aus Prinzip nicht verlinkt