Keine Verteidigungsrede auf Uli Hoeneß, aber ...
Wenn die Medien jetzt mit der Kamera draufhalten, wie Hoeneß in den Bau marschiert, dann ist eine letzte Grenze überschritten. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, über die vom Gericht bescheinigte Schuld informiert zu werden. Aber die Sühne ist nicht mehr für sie bestimmt.
Ich war nie ein Freund von Uli Hoeneß. Schon als Kind nicht. Anfang der Neunziger kam der FC Bayern mal für ein Freundschaftsspiel nach Ingolstadt. Das Stadion blieb aber relativ leer an diesem eiskalten Abend. Ich war jedoch dort. Als dann einige Fans anfingen, lauthals über Bayern-Torwart Aumann zu spotten, marschierte Hoeneß Richtung Fanblock, musste dazu durch den Bereich des Stadions, in dem ich recht verloren stand. Er gestikulierte wild in den Block hinein, hatte einen hochroten Kopf auf und erntete dafür Stinkefinger und Gesänge, die etwas vom »Arschloch« aussagten. Beim Rückmarsch stieg er mir fast auf die Zehen, rumpelte mich an, entschuldigte sich natürlich nicht, nahm mich nicht mal war. Ich war auch nur einer der namenlosen Gesichter, die seinen Erfolgsweg pflasterten. Immer als ich ihn später mit anschaulicher Arroganz in Studios sitzen und sprechen sah, dachte ich an diese Szene zurück.
Wenn ich das Stichwort »Hoeneß« bekomme, denke ich mir eine eisigen Abend, Flutlicht und dieses marode ESV-Stadion. Erst dann kommen mir all diese unseligen Szenen einer Beziehung in den Sinn, die man als Fußball-Fan in Deutschland mit diesem Mann zwangsläufig eingegangen ist. Sein Kampf gegen Daum, die vollendete Kommerzialisierung der Bundesliga, die Etablierung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft ebendort oder aber seine späteren Auftritte als »politisches Gewicht« und »Leistungsträger«. Noch einige Monate vor der Offenlegung seiner Steuerhinterziehung saß er bei Jauch und schimpfte auf »Die Linke«, gegen Defätisten und natürlich gegen Sozialhilfebezieher, denen es doch eigentlich nicht ganz schlecht gehe.
Nein, man muss diesen Mann wirklich nicht mögen. Aber wie die Medien sich auf diesen Urteilsspruch stürzten, versuchten in Hoeneß' Gesicht Exegese zu betreiben, Psychologen um Expertisen baten und Statements von den belanglosesten Zeitgenossen einsammelten, das war schon ein unwüdiger Akt, den man nicht mal seinen Feind anempfehlen möchte.
Das Medieninteresse am Prozess legitimierte sich durch den Anspruch der Öffentlichkeit, in Schuldfragen informiert zu werden. Immerhin hatte der Angeklagte der Allgemeinheit Schaden zugefügt. Das ist nicht nur in Fällen so, in denen Steuerbetrug auf den Tisch kommt. Auch wenn jemand gewalttätig wurde, gibt es ein Recht auf öffentliche Information. Schließlich wird ja auch immer, wenigstens theoretisch, »im Namen des Volkes« geurteilt. Transparenz ist daher kein gnädigerweise gewährter Akt, sondern substanzieller Bestandteil des Rechtsstaates. Dass man das Strafmaß erfährt, ist die eine Sache. Danach gibt es aber keinen öffentlichen Anspruch mehr. Die Sühne ist eine Sache zwischen Verurteilten und Justizbehörden. Wie der Verurteilte einrückt, seine Tage verbringt, was er »drinnen« trägt und ob in seinem Gesicht Spuren der Reue, der Einsicht, der nervlichen Anspannung oder wahlweise der Wut zu sehen sind, ist nicht mehr relevant.
Im Falle des Gnadengesuchs Christian Klars maßte sich ja die Öffentlichkeit an, über die Einsicht und die Reue des Ex-Terroristen zu befinden. Dabei sind diese beiden Kategorien gar keine rechtsstaatlichen Indikatoren. Wenn jemand 15 Jahre Haft bekommt, dann bekommt er sie nicht unter der Maßgabe, bis dahin bereut zu haben. Wenn die Einsicht eintritt, so ist das ein guter Effekt, aber kein Muss. Gesühnt hat man auch so. Wenn es um Reue ginge, dann könnte man die zeitlichen Strafen auch gleich abschaffen und nur auf eine Reue hinwirken, die dann ehrlich oder aber auch erschwindelt sein könnte. Aber ich verrenne mich gerade in etwas. Ich will ja eigentlich nur deutlich machen, dass alle Regungen und persönlichen Verarbeitungsprozesse während des Strafvollzugs keine Attraktion für das Publikum sind. Hier endet das Anrecht auf Transparenz.
Man kann nun sicherlich über das Strafmaß diskutieren. Wobei ich persönlich denke, dass eine faktische Haftdauer - unter Berücksichtigung guter Führung - von mehr als zwei Jahren für einen Mittsechziger auch nicht unbedingt wenig ist. Selbst bei offenen Vollzug ist das eine Belastung. Vielleicht bin ich da aber auch nur zu gutmütig. Wie gesagt, man kann über viele Sonderbarkeiten im Falle Hoeneß' sprechen. Auch darüber, woher er diverse Gelder erhielt, mit denen er dann zockte. Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Verurteilte Hoeneß durchaus ein Recht darauf hat, als angehender Häftling anständig von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Sollte der Eindruck entstehen, der fade Prozess legitimiere es, Hoeneß auf Schritt und Tritt zu begleiten und mit Häme zu übergießen, dann muss man sich schon die Frage gefallen lassen, welche Auffassung von Rechtsstaat man eigentlich hat.
Nein, das ist keine Verteidigungsrede auf Hoeneß. Wie gesagt, ich konnte und kann den Kerl nicht leiden. Wir würden nie Freunde. Ich halte auch nichts davon, dem Mann jetzt Anstand zu beglaubigen, nur weil er die Strafe akzeptierte und von einer Revision abließ. Wobei ich zugeben muss, dass ich im ersten Affekt dachte, dass er doch noch einen Funken Anstand im Leib habe. Nach mehrere Überlegungen fand ich aber, dass diese Aussage Quatsch sei. Außerdem ging es ihm weniger um Anstand als darum, endlich wieder Ruhe herzustellen. Ein gelungener Clou war es jedenfalls. Das ist es ja, was er kann. Aber dennoch, wenn man denen, die man auf den Tod nicht leiden kann, nicht den unbedingt notwendigen Respekt entgegenbringt, dann muss man sich fragen lassen, für welche Werte man eigentlich sonst so eintritt. Ich kann doch nicht Hoeneß verbales Verhalten gegen die Schwachen der Gesellschaft beklagen und dann, da er selbst eine Rolle der Schwäche einnimmt, mit ähnlichen Mitteln agieren.
Ich kann es nicht verhindern, dass irgendein Schmutzblatt Bilder von einem Hoeneß druckt, wie er in Landsberg an das Tor klopft. Aber sollte es dazu kommen, verurteile ich das scharf. Ich verachte seine Meinung, aber ich gäbe nicht unbedingt mein Leben, wohl aber schon meinen rhetorischen Einsatz dafür, dass er so behandelt wird, wie ich mir das in einer wenigstens auf dem Papier aufgeklärten Gesellschaft vorstelle.
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