Wie man meditiert (I): Das Tso-ch’an I von Ch’ang-lu Tsung-tse

Das Tso-ch’an I („Prinzipien der Sitzmeditation“) aus der Nördlichen Sung-Periode (960-1127) gilt als früheste Meditationsanleitung und beeinflusste viele der nachfolgenden Manuale. Ch’ang-lu Tsung-tse (Lebensdaten unbekannt) verfasste im Jahre 1103 den ältesten erhaltenen Mönchskodex, und obwohl das Tso-ch’an I sich ursprünglich nicht darin findet, wird es gerne dessen Autor zugeschrieben. Bei dieser Methode werden aufziehende Gedanken einfach beobachtet, bis sie von selbst verschwinden (das Vergehen von Gedanken und der darauf bezogenen Aufmerksamkeit war bereits bei Shen-hui als „Nicht-Denken“ bezeichnet worden). Nach dem Sitzen gelte es, die meditative Ruhe aufrechtzuerhalten und so jederzeit willentlich wieder in samâdhi eintreten zu können (ting-li). Die Meditation würde die oberflächlichen Wellen des Geistes glätten und so sich die darunter liegende befreiende Weisheit offenbaren können. In Meditationstexten der Südlichen Sung-Periode (1127-1279) muss Tsung-tses schlichter Ansatz des (wertfreien) Gedankenbeobachtens zunehmend Aspekten der Zen-Weisheit weichen, die sich in den Schulen der stillen Erleuchtung (mo-chao) und des Kôan-Studiums (k’an-hua)manifestierten, wobei Erstere sich mit der ursprünglichen Natur des Geistes zu identifizieren sucht, Letztere Einblick in die Natur des Geistes gewinnen möchte. Dôgen bezog sich zwar in seinem Fukan zazengi senjutsu yurai aufs Tso-ch’an I, bezeichnete es aber als fehlerhaft. Ein Grund mehr, es nun zu übersetzen und die schlichte Effizienz seiner Methode zu würdigen. [In Klammern Textstellen, die sich in einer von zwei Textvarianten nicht finden.]
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Prinzipien der Sitzmeditation
Ein Bodhisattva, der Weisheit (prâjna) studiert, sollte zunächst den Gedanken von großem Mitempfinden erregen, die umfassenden Gelübde ablegen und energisch samâdhikultivieren. Wenn du gelobst, fühlende Wesen zu erretten, solltest du nicht nur für dich selbst Befreiung suchen.
Wirf nun alle Verwicklungen ab und beende deine zahlreichen Angelegenheiten. Körper und Geist sollten vereint sein, ohne Unterschied zwischen Handeln und Ruhen. Mäßige die Nahrungszufuhr, so dass du weder zu viel noch zu wenig isst und trinkst, und schlafe weder zu lang noch zu kurz.
[Wenn du dich zur Sitzmeditation begibst, breite eine dicke Matte an einem ruhigen Ort aus. Lockere dein Gewand und deinen Gürtel und nimm eine angemessene Haltung ein.] Dann hocke dich mit gekreuzten Beinen hin: Lege zuerst deinen rechten Fuß auf den linken Schenkel, dann den linken Fuß auf den rechten Schenkel. [In der alternativen Textvariante genau umgekehrt!] Du kannst auch im halben Lotussitz hocken und einfach deinen linken Fuß auf deinen rechten Fuß legen. Dann platziere [deine rechte Hand auf deinem linken Fuß und] deine linke Hand in deiner rechten Handfläche. Drücke die Daumenspitzen aneinander. Richte langsam deinen Oberkörper auf und strecke ihn nach vorn, schwinge nach links und rechts und richte dann keinen Körper gerade auf. Neige danach weder nach links noch nach rechts, weder vor noch zurück. Halte deine Hüften, deinen Rücken, Nacken und Kopf in einer Linie, so dass deine Haltung einer Stupa gleicht. [Überstrecke deinen Körper jedoch nicht, das würde deine Atmung erzwungen und unruhig machen.] Deine Ohren sollten in einer Linie mit deinen Schultern sein, deine Nase in einer Linie mit deinem Nabel. Drück deine Zunge gegen den Gaumen und schließe Lippen und Zahnreihen. Die Augen sollten leicht geöffnet bleiben, um Schläfrigkeit vorzubeugen. Wenn du (mit offenen Augen) in samâdhieintrittst, wird es am kräftigsten sein. In alten Zeiten gab es in der Meditationspraxis herausragende Mönche, die stets mit offenen Augen saßen. In jüngerer Zeit hat der Chan-Meister Fa-yün Yüan-t’ung diejenigen kritisiert, die mit geschlossenen Augen meditieren, und (ihre Praxis) mit der Geisterhöhle des Schwarzen Berges verglichen. Wer die Meditation gemeistert hat, wird die tiefe Bedeutung dessen verstehen.
Wenn du deine Haltung eingenommen und deinen Atem reguliert hast, solltest du deinen Unterleib entspannen. Denke an keinerlei Gutes oder Übles. Wann immer ein Gedanke auftaucht, sei dir seiner bewusst. Sobald du dir seiner bewusst bist, wird er verschwinden. Wenn du eine lange Zeit Objekte vergisst, wirst du auf natürliche Weise eins. [Dies ist die wesentliche Kunst der Meditation.]
Aufrichtig gesprochen handelt es sich bei der Sitzmeditation um das Dharma-Tor zu Gelassenheit und Freude. Wenn dennoch häufig Menschen davon krank werden, dann weil sie nicht sorgsam genug sind. Wenn du die Punkte dieser Praxis erfasst, werden die vier Elemente (des Körpers) auf natürliche Weise leicht und bequem, der Geist frisch und geschärft, die Gedanken recht und klar; der Geschmack des Dharma wird den Geist aufrechterhalten, und du wirst ruhig, rein und freudvoll. Wenn einer bereits Klarheit erlangt hat, kann man ihn mit einem Drachen vergleichen, dem Wasser bekommt, oder mit einem Tiger, den es in die Berge zieht. [Selbst einer, der es noch nicht entwickelt hat, muss sich nicht besonders anstrengen, wenn er nur den Wind die Flamme fächeln lässt:] Wenn du nur dahin aufsteigst, wird es dich nicht täuschen. [Dennoch vermehren sich Dämonen, sobald der Weg ansteigt, und zahlreich sind angenehme und unangenehme Erfahrungen. Wenn du jedoch nur den rechten Gedanken gegenwärtig hältst, kann dich nichts davon behindern. Im Shurangama-Sutra, dem Chih-kuandes T’ien-t’ai und Kuei-fengs Hsiu-cheng i finden sich detaillierte Erklärungen dieser dämonischen Erscheinungen, wer sich also im Voraus auf das Ungeahnte einstellt, sollte damit vertraut sein.]
Wenn du aus dem samâdhitrittst, bewege dich langsam und stehe ruhig auf, [ohne Hast und Hektik. Wenn du samâdhi verlassen hast,] wende stets die rechten Mittel an, um die Kraft des samâdhi zu schützen und aufrechtzuerhalten, so als würdest du ein Baby behüten; so wird deine samâdhi-Kraft sich auf leichte Weise entwickeln.
[Diese eine Lehre der Meditation ist unsere dringendste Angelegenheit. Wenn du deinen Geist nicht in der Meditation oder in dhyânaausrichtest, dann wirst du, wenn es darauf ankommt, auf verlorenem Posten stehen.] Darum heißt es: „Um eine Perle zu suchen, sollten wir die Wellen beruhigen; wenn wir das Wasser aufrühren, wird sie schwer zu finden sein.“ Wenn die Wasser der Meditation klar sind, wird die Perle des Geistes von selbst erscheinen. Darum steht im Sutra der Vollkommenen Erleuchtung: „Unbehinderte, makellose Weisheit entsteht stets abhängig von Meditation.“ [Und im Lotus-Sutra heißt es: „An einem ruhigen Ort praktiziert er die Kontrolle des Geistes und verweilt bewegungslos wie der Berg Sumeru.“] Darum wissen wir, dass das Weltliche transzendieren und das Heilige überschreiten auf der Grundlage von dhyânamöglich werden. Diesen Körper im Sitzen abzuwerfen und dieses Leben im Stehen zu fliehen hängen von der Kraft des samâdhi ab. Selbst wenn man sich das ganze Leben dieser Praxis hingibt, schafft man es womöglich nicht rechtzeitig; wie will also einer, der es aufschiebt, je das Karma überwinden? Darum sagte ein Altehrwürdiger: „Ohne die Kraft des samâdhi wirst du nur kleinlaut am Tor des Todes kauern.“ Wenn du dann deine Augen schließt, wirst du vergeblich zur Erde zurückkehren und so, wie du bist, in samsâra umhertreiben. Freunde im Chan! Lest euch diesen Text wieder und wieder durch. Anderen wie uns selbst nutzend, lasst uns die vollkommene Erleuchtung erlangen!“
(Erstellt auf der Grundlage von Carl Bielefeldt: “Ch’ang-lu Tsung-tse’s Tso-ch’an I and the `Secret`of Zen Meditation“, in Studies in East Asian Buddhism 4, Honolulu 1986. )
Wie man meditiert (I): Das Tso-ch’an I von Ch’ang-lu Tsung-tse
(Foto: Keller; Schnecke geht die Wand hoch)

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