Wie man einen Mord vertuscht

KOMMUNISMUS. DAS WORT, DESSEN ROT MIT DEM BLUTE SEINER OPFER GESCHRIEBEN IST.
(Vincent Deeg)
„Papa, wir fahren noch mal gucken, ob wir bei den Russen Schrott finden.“ Waren die letzten Worte des 19 jährigen Uwe, bevor er sich mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Christian aufs Moped setzte und mit ihm davon fuhr.
Bei den Russen nach Schrott gucken. Das bedeutete, dass die beiden jungen Männer, wie schon viele Male zuvor zu dem nahe gelegenen Militärgelände fahren wollten, auf dem ein russisches Gardepanzer-Regiment stationiert war, um dort nach dem, von den Soldaten achtlos über die Mauer geworfenen Abfall und Schrott zu suchen. Fundstücke, die, wenn sie aus Metal waren, bei den DDR-Betrieben eine Menge gutes Geld einbringen konnten.
Eine wahre Goldgrube also. Zumindest für Uwe und Christian, die bei den Soldaten dieses Militärstützpunktes, in dem die beiden ein und aus gingen, in dessen Läden sie einkaufen und dessen Kino sie besuchen durften bereits seit langem bekannt waren. Doch hieß das auch, dass sie dort sicher waren?
Eine Frage, die sich den Brüdern damals nicht stellte. Gab es doch bis dahin keinerlei Anzeichen einer drohenden Gefahr. Zumindest nicht bis zu diesem einen Tag. Dem 11. Juni 1987. Es war der Tag, an dem Uwes und Christians Vater, nur eine halbe Stunde, nach dem sich seine Söhne von ihm verabschiedet hatten von dem Geräusch mehrerer Schüsse hoch schreckte.
Der Tag, an dem der Mann nur eine halbe Stunde nach diesem Schreck erfuhr, dass ein sowjetischer Soldat seine Söhne, die sich mit ihrer Schrottsuche nur ein paar Mark dazu verdienen wollten mit zwei gezielten und tödlichen Feuerstößen aus seinem Sturmgewehr AK47 erschossen hatte.
Ein sowjetischer Soldat, der aus Moldawien stammte und der später behauptete, dass ihn die beiden jungen Männern angegriffen hätten. Dass er aus Notwehr und entsprechend seiner Dienstanweisung gehandelt hätte.
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Hatte sich dieser Soldat tatsächlich nur verteidigt? Hatten ihn die beiden jungen Männer tatsächlich aus einem heute nicht mehr nachvollziehbaren Grund angegriffen? Hatte der Todesschütze vom 11. Juni 1987, der laut einem späteren Gutachten der russischen Militärjustiz „In Ausübung dienstlicher Obliegenheiten“ handelte, nur seine Pflicht getan?
Wohl kaum. Denn wie die spätere Obduktion durch DDR-Gerichtsmediziner ergab, wurde Christian, der sich, genau wie sein Bruder Uwe zum Zeitpunkt des Beschusses außerhalb des Militärgeländes befand und den man, statt ihn in die gerade mal 60 Meter entfernte russische Krankenstation zu bringen einfach verbluten ließ, von hinten erschossen.
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Ein schreckliches und absolut grausames Verbrechen, das, wie man sich vorstellen kann laut nach Sühne schrie. Sühne jedoch, die niemals stattfinden sollte. Denn nicht nur, dass die sowjetische Militäradministration den DDR-Behörden unter Vorhaltung des zu diesem Zeitpunkt herrschenden Stationierungsabkommens, das es den Behörden eines besetzten Landes untersagte, gegen die Sowjetunion und deren Angehörige zu ermitteln, deutlich zu verstehen gab, dass es keinerlei Verfahren gegen diesen Soldaten geben würde.
Nein. Auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR tat das ihrige dazu bei, jegliche Aufklärung zu verhindern und jegliches Aufbegehren im Keime zu ersticken. So stellte das MfS beispielsweise etwa 250 Mann, um der sicheren Eskalation entgegen zu wirken, die den, bei Drögen stationierten russischen Soldaten von der aufgebrachten Bevölkerung des 6000 Einwohner-Städtchen Fürstenberg, dem Heimatort der Familie Baer drohte.
Und mehr noch. Statt die Geschehnisse im Wald von Drögen ans Tageslicht zu bringen, beschäftigte man sich nicht nur damit diese zu vertuschen, sondern auch damit, die dort getöteten Jungen durch einen IM, der eine Menge an Gerüchte verbreitete, als Kriminelle zu diffamieren und deren Vater als einen Feind der DDR darzustellen.
Ein Vater, der gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter um die getöteten Jungen trauerte. Eine Familie, der man die Wahrheit verweigerte und auf die das MfS ganze neun IM ansetzte, um sie zu bespitzeln. IM, die alle samt aus dem Verwandten, Bekannten und Kollegenkreis dieser Familie kamen. Ja, selbst der Rechtsanwalt, an den sich der Vater in seiner Verzweiflung wendete, entpuppte sich später als Informant der Staatssicherheit, der, statt sich den Anliegen seines Mandanten zu widmen und diese zu vertreten, Berichte über diesen und dessen Familie verfasste, welche er in regelmäßigen Abständen an seine Auftraggeber ablieferte.
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Ein Einzelfall? Ganz im Gegenteil. Ist doch inzwischen bekannt, wie absolut rücksichtslos und gnadenlos sich dieses menschenverachtende Ungeheuer Namens Kommunismus in den von ihm beherrschten Ländern zeigte. Mit welcher einer Rücksichtslosigkeit die in den Ostblockstaaten stationierten russischen Besatzungstruppen regierten und welch große Anstrengungen das SED Regime unternahm, die alte Lüge von der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, die in der Wirklichkeit nichts anderes als roter Terror und Ausbeutung der vorhandenen Ressourcen bedeutete aufrecht zu erhalten.
Nein, dies ist kein Einzelfall. Es ist nur ein weiterer, der tragischen und vermutlich niemals aufgeklärten Fälle, in denen die Opfer ungerecht, die Tat ungesühnt und der oder die Täter ungestraft bleiben.
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Diese Geschichte beruht auf eine wahre Begebenheit. Sie entstand unter der Verwendung der im Jahre 1997 veröffentlichten Erkenntnisse des deutschen Publizisten, Historikers, Journalisten und Autors der Bücher „Deckname Vergeltung. Die Stasi und der Tod der Brüder Baer“ und „Zwischen Recht und Willkür – die Rote Armee in Deutschland“ Volker Koop.
Aus dem als letztes genannten Buch ist unteranderem zu entnehmen, dass die in der DDR stationierten Sowjettruppen ganz nach belieben vorgehen konnten. Sich also keiner DDR-Behörde oder Gerichtsbarkeit stellen mussten. Ganz egal, wie schwerwiegend die verübte Tat eines ihrer Angehörigen auch immer gewesen sein mag.
Daneben findet man in diesem Buch eine Liste der bekanntgewordenen 27 505 Straftaten, die von 1976 bis 1989, das Jahr, in dem das SED Regimes unterging von Angehörigen der in der DDR stationierten russischen Streitkräfte begangen wurden.
27 505 begangene Straftaten, von denen etwa 20 000 als Diebstähle, 51 als Morde, 280 als vorsätzliche Körperverletzung, 705 als Vergewaltigungen, 370 als Raubüberfälle und 629 als tödliche Verkehrsunfälle zu verzeichnen sind.

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