Es braucht nicht viel, um in der Schweiz fremdenfeindliche Kommentare hervorzurufen. Es reicht völlig, wenn Journalisten ihre Arbeit nicht machen.
Am Anfang stand die Schlägerei. 30 Asylbewerber im Durchgangszentrum Riggisbern BE gingen am Abend des 1. Septembers aufeinander los, angeblich wegen der Frage, wer in einem Zimmer mit Fenster schlafen darf und wer seine Nächte unter der Erde in der Zivilschutzanlage verbringen muss. “Angeblich“ deshalb, weil Kantonspolizei, Gemeindebehörden und auch das bernische Migrationsamt bisher keine offiziellen Untersuchungsergebnisse kommuniziert haben. Die Gründe für den Streit, die in den Berner Medien kolportiert werden, kommen vom Hörensagen. Fakt ist einzig, dass es bei der Keilerei sechs Verletzte gab und sechs Personen verhaftet wurden.
Nun muss man als Lokaljournalist Spalten füllen, und eine Schlägerei in einem Zentrum für Asylbewerber ist ein toller Aufhänger. So berichtet denn die “Berner Zeitung” prompt von einer Nachbarin, die seit dem Vorfall die Tür abschliesst, wenn sie aus dem Haus geht. Eine andere Frau lässt ihre Kinder seither nicht mehr draussen spielen – für die BZ Indizien, dass “die Stimmung im Dorf merklich umgeschlagen” hat.
Da kann auch der “Bund” nicht hintenanstehen – und wirft dabei jegliche Grundsätze journalistischer Arbeit über Bord. Statt selber zu recherchieren, zitiert der “Bund”-Journalist ausführlich aus einem offenen Brief einer “IG Asylzentrum Riggisberg”. Die IG, eine Gruppe von Anwohnern, von denen es die meisten vorziehen anonym zu bleiben, schreibt darin von “Beobachtungen”. So soll ein Asylbewerber das Billet für das Postauto mit einer Hunderternote bezahlt haben, “das er einem Notenbündel entnahm”. Der Mann sei am Abend “mittel- und gepäcklos” weggefahren und am nächsten Morgen “mit mehreren neuen Taschen voller Waren” zurückgekommen sein.
Leider unterlassen es sowohl die IG als auch der “Bund”-Journalist zu erklären, wie sie zur Information gelangt sind, dass der Mann mittellos war (und weshalb ein Asylbewerber dies in ihren Augen offenbar zwingend sein muss). Weitere “Beobachtungen” aus dem offenen Brief, welche vom “Bund” willfährigst kolportiert werden, umfassen angebliche Strafanzeigen wegen “Betatschen”, wegen eines Hausfriedensbruchs und wegen einer Schlägerei in einem Restaurant. Was (ausser dem Hausfriedensbruch, von dem der Schreibende selber von einem Betroffenen erfahren hat) tatsächlich stattgefunden hat und was genau passiert ist, steht nicht im “Bund”, denn eine zweite Quelle, welche zu befragen bei solch gravierenden Vorwürfen zu den elementarsten journalistischen Prinzipien gehört, nennt der Journalist nicht. Der Brief der IG, welche aufgeregt-selbstgerecht von “kriminellen Elementen” schreibt, reicht der “unabhängigen liberalen Tageszeitung” (Eigenwerbung) offenbar.
Wundert sich da noch jemand, dass in den Online-Kommentare im “Bund” von “Asylanten”, “denen” und von “Ausschaffen ohne wenn und aber” die Rede ist?
Übrigens: Was man in Riggisberg vor der Schlägerei im Durchgangszentrum (und vor den Artikeln in “BZ” und “Bund” dachte (und möglicherweise immer noch denkt, wenn man nicht gerade Regionalzeitungen liest), steht im Beobachter 18/2014.