Den Einstieg ins Schwerpunktthema gibt Gunnar Schedel mit seinem Editorial »Wie mächtig ist die Kirchenlobby?« Er schreibt u.a.: »Wer sich dieser Frage zuwendet, erkennt zunächst, daß es bislang kaum wissenschaftliche Forschung dazu gibt. Das liegt möglicherweise daran, daß Kirchen häufig überhaupt nicht als Interessenvertreter wahrgenommen werden. Weite Teile der Öffentlichkeit akzeptieren das Selbstbild der Kirchen, die sich gewissermaßen als ›Oberschiedsrichter‹ sehen; als Instanz über den demokratischen Strukturen (…) Letztlich wirken hier vormoderne, feudalistische Strukturen nach.« (S. 2)
Besser wäre es wohl, statt allgemein von Kirchen konkreter vom Klerus zu reden. Denn es geht ja ausschließlich um dessen ureigene (Macht-)Interessen; auch um dessen Interessen als kollektive Großgrund- und Kapitalbesitzer! Und nicht um individuelle spirituelle Interessen der praktizierenden bzw. nominellen Mitglieder dieser Kirchen…
Zu Recht mahnt Schedel in diesem Zusammenhang die so gut wie fehlende Lobbyarbeit der säkularen Verbände an.
»Kirchen als politische Akteure« - so formuliert es auf den Punkt gebracht Carsten Frerk. Der Klerus nicht nur als bloßer Lobbyist, sondern sehr oft, zu oft sogar, als unmittelbarer Akteur in der Politik. Er macht das an einem wohl absolut unbekannten Beispiel deutlich: Daran, daß die beiden sogenannten Amtskirchen sogar in die staatliche Kommission zur Klärung der Atommüll-Endlager eigene, stimmberechtigte Vertreter entsenden dürfen…
Frerk merkt dazu an: »Damit werden die zwei Seiten des Themas deutlich: Zum einen, welchen Anspruch haben die christlichen Kirchen in Deutschland gegenüber der Politik und zum anderen, welcher Einfluß wird den Kirchen von der Politik eingeräumt?« Und er kommentiert: »Das Wollen muß ja nicht dem Gewähren lassen entsprechen.« (S. 3)
Was die klerikale Interessendurchsetzung angeht, resümiert der Autor: »So besitzen die großen Kirchen in der Bundesrepublik heute weitaus mehr Privilegien als nach der Revolution von 1918 und als sie ihnen in den fortschrittlichsten Verfassungen der westlichen Demokratien, nämlich in Großbritannien, in den USA und in Frankreich, gewährt werden.« (S. 4)
Wobei die »Kirchen (…) keine Lobbyisten wie andere [sind], da sie sich in alles (!) einmischen und sie ihre Lobbyisten (und die Gefolgschaft) schon als Kinder indoktrinieren, die dann später Politiker, Juristen u.a.m. werden.« (S. 8) Was sich auch darin zeige, daß in allen relevanten Parteien (und Fraktionen) konfessionelle Gruppen und Netzwerke bestünden und daß Parteien/Fraktionen personell aufs engste mit solchen kirchlichen Gremien wie Synode der EKD und Zentralkomitee der Katholiken verzahnt seien.
Noch erhellender ist der Beitrag von Ulli Schauen »Der kirchlich-mediale Komplex… und warum er den Medienleuten nicht stinkt«.
Schauen führt für diese unheilige Allianz zwischen Medien und Klerus eine Vielzahl von Beispielen an, die sprachlos machen. Denn »der mediale Einfluß der Kirchen geht weit über ihre gesetzlichen Rechte wie Sitze in Rundfunkräten oder Sendeplätze für ›Verkündigungssendungen‹ hinaus.« (S. 10)
Nur einige dieser Beispiele aus Funk und Fernsehen sollen hier genannt werden: »Kirchlich beeinflußte Berichterstattung [z.B. durch unkritische 1:1-Übernahme von Verlautbarungen der kirchlichen Presseagenturen, die nicht wie Pressemitteilungen anderer Verbände oder Unternehmen behandelt werden; SRK] - das ist freiwillig. Doch auch bei den gesetzlichen Pflichtleistungen legen die Medien zugunsten der Kirchen noch etwas oben drauf. Sie produzieren teure Kirchensendungen selbst, ohne dazu verpflichtet zu sein und ohne den Kirchen die dafür mögliche Rechnung zu schreiben. (…) Das ZDF überträgt an fast jedem Sonntag einen Gottesdienst - geschätzte Produktionskosten jeweils um die 100.000 Euro. In einer Antwort gibt die ZDF-Pressestelle zu erkennen, daß der Sender die ›Verkündigungssendungen‹ als seine eigene Angelegenheit betrachtet und mit Berichterstattung [!!!] gleichsetzt. (…) [Dabei] sind die Sender nach den Rundfunkgesetzen und -staatsverträgen lediglich verpflichtet, den Kirchen Sendeplätze für solche Sendungen einzuräumen - von einer Verpflichtung, sie zu produzieren [und auf Kosten der Gebührenzahler zu finanzieren; SRK] steht dort nichts…« (S. 16)
Darüber hinaus gebe es noch eine Vielzahl an »versteckten Kirchensendungen« wie die Diskussionssendung „tacheles« auf dem Parlamentskanal (!) Phoenix oder die „missionarische Kindersendung ›Chi Rho‹ auf dem öffentlich-rechtlichen Kinderkanal KiKa«…
Desweiteren enthält die aktuelle MIZ ein Gespräch mit Corinna Gekeler über das Antidiskriminierungsgesetz, die erfolgreiche klerikale Lobbyarbeit zur Aufweichung des ursprünglichen Gesetzentwurfes. Gekeler stellt in diesem Zusammenhang fest: »Die Wählerstimmen der Konfessionslosen scheint man nicht zur Kenntnis zu nehmen.« (S. 20) Was übrigens für alle Bundestagsparteien gelte, auch für DIE LINKE. Sie und andere sähen die Großkirchen als »wichtige Verbündete« Und als solche scheint man sie auf keinen Fall kritisieren zu dürfen. Das höchste der Gefühle ist dann schon, ›in den Dialog‹ zu treten.« (S. 22)
Mit Schuljahresbeginn 2013/14 hat die IBKA-Kampagne ›Reli adieu!‹ ihre Öffentlichkeitsarbeit aufgenommen. Darüber berichtet Rainer Ponitka. Über „Evolution in der Grundschule« geht es in einem mit (fw) gezeichneten Beitrag über eine Bildungsinitiative der »Giordano-Bruno-Stiftung«, die das Thema Evolution im Unterricht verankern möchte. Denn, so der Autor, »die meisten Schüler in Deutschland verlassen (…) als naturwissenschaftliche Analphabeten die Lehranstalten.« (S. 44)
Hierzu sei angemerkt, daß diese Aussage nur für Bundes-Deutschland zutreffend ist. In der weiland DDR war das Gegenteil der Fall!
Weitere Beiträge in der MIZ sind:
»Kein Demokratiepaket, keine Demokratisierung« - ein Artikel von Arzu Toker über die immer aggressiver werdende Islamisierung der Türkei durch die derezeitige autoritäre Regierung. Doch auch die selektive Nachrichtenauswahl bundesdeutscher Medien wird von ihr angesprochen: »Warum eigentlich zahle ich GEZ-Gebühren? Um mit meinen eigenen Gebühren Scheinnachrichten zu finanzieren?« (S. 33)
Roland Ebert schreibt über das »Geschäft mit der Altenpflege - Die Kirchen haben das Vorbild des barmherzigen Samariters in der Rumpelkammer abgelegt«.
Christoph Steinmetz gibt einen Nachruf auf den von religiösen Fanatikern ermordeten indischen Rationalisten Narendra Dabholkar.
Natürlich darf auch in dieser Ausgabe eine Glosse von Daniela Wakonigg nicht fehlen, heuer zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse.
In der Rubrik »Blätterwald« wird u.a. das aktuelle Buch von Horst Groschopp zum Humanismus in der DDR vorgestellt. Die Rubrik »Zündfunke« berichtet über den »Säkularen Aktionstag« im September und hebt besonders die Medienberichterstattung zum Finanzgebaren des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst hervor und daß in diesem Zusammenhang Carsten Frerk als der deutsche Experte in Sachen Kirchenfinanzen auf nahezu allen Kanälen (und in allen relevanten Printmedien) ein gefragter Mann war.
Nicht fehlen darf in einer MIZ die »Internationale Rundschau« mit nahezu 30 Nachrichten aus Deutschland, Europa, Nord- und Südamerika, Afrika und Asien. In einer Nachricht aus dem Erzbistum Müchen und Freising erfährt der Leser eher nebenbei auch dies: «… daß der Erzdiözese 5.800 Wohn- und Gewerbeimmobilien gehören. Zudem ist sie Hauptgesellschafterin des Katholischen Siedlungswerks München. (…) Ende 2012 verwaltete das Werk 3.800 eigene Wohnungen.« (S. 50) Hervorhebenswert auch eine Nachricht über das slowenische Erzbistum Maribor, welches durch massive Finanz(fehl)spekulationen über 800 Millionen Euro Schulden angehäuft hat. (Dazu heißt es: »Eine Institution, die den geistlichen Wert von Armut und soziale Verantwortung predigt und gleichzeitig selbst Millionenbeträge verspekuliert, ist unglaubwürdig.« - S. 56) - Nun, seit der Erhebung des Christentums zur Staatskirche vor rund 700 Jahren ist diese Kirche doch in erster Linie ein Wirtschaftsunternehmen…
In einer Anmerkung der MIZ-Redaktion zu einer Nachricht aus Litauen heißt es über dessen Nachbarstaaten Lettland und Estland, beides übrigens Vorzeigemitglieder von EU und NATO: »In Lettland gehören nur 40 Prozent einer Religionsgemeinschaft an. (…) Estland ist neben Tschechien und Ostdeutschland die am stärksten religionsfreie Region Europas: 70 Prozent der Einwohner sind konfessionslos, weitere 20 Prozent gehören nur noch auf dem Papier (z.B. durch Säuglingstaufe) einer Kirche an.« (S. 54)
Siegfried R. Krebs
MIZ - das bedeutet Materialien und Informationen zur Zeit. Das Vierteljahresmagazin des IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) erscheint seit 1972 und kann beim Alibri-Verlag Aschaffenburg bezogen werden.
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]