Wie lange kraulst du mir noch mein Ohrläppchen?

„ANA“ eine Performance im mumok in Zusammenarbeit mit ImpulsTanz von Ana Rita Teodoro brachte einem Teil des Publikums körperlich sinnliche Erfahrungen der ungewohnten Art.

Große Leinwände mit darauf flimmernden Filmen. Kleine Bildschirme, eine Unzahl, mit darauf flimmernden Filmen. Beschriftete Täfelchen mit den Erklärungen, wer, was, wann. Präzise, übersichtlich und dennoch unkonsumierbar, außer man plant für die Ausstellung „Mein Körper ist das Ereignis – Wiener Aktionismus und internationale Performance“ im mumok mehrere Tage ein. Aufgrund einer intelligenten Zusammenarbeit mit dem ImpulsTanz Festivals wäre das auch möglich. In der Serie Redefining Action(ism), in der sich Künstlerinnen und Künstler aus der mittlerweile Genre-überschreitenden Tanzszene dem Thema Aktionismus und Performance widmen, kann im Anschluss an das jeweilige performative Geschehen abermals in die Historie der referenzierten Geschehnisse eingetaucht werden.

Viele der bislang gezeigten Performances bezogen sich in direkter Art und Weise auf einzelne Künstlerinnen oder Künstler. Ana Rita Teodoro, portugiesische Tänzerin, blickte aber noch eine Tür weiter hinter die Kulissen. „ANA“, so ihr Performancetitel, beschäftigt sich mit Ana Brus, heute 72 Jahre alt. Frau des Aktionisten Günther Brus und auch eng verbunden mit Muehl, Schwarzkogler und Nitsch, Protagonisten des Wiener Aktionismus. Ana – sie trägt denselben Namen wie die junge Portugiesin – war und ist aber mehr als nur die Ehefrau von Günther Brus. Sie nahm auch aktiv in vielen Aktionen teil, die in den Filmen im Museum zu sehen sind. Die Liste, die im Programmheft mit der Beteiligung von Ana Brus zu finden ist, umfasst insgesamt 13 Titel. In einem Interview mit Carola Dertnig brachte Ana Brus einmal zum Ausdruck, dass es sie viele Jahre gekränkt hat, dass Frauen wie sie, die an den Aktionen maßgeblich beteiligt waren, nie Erwähnung fanden. Erst jüngste Untersuchungen widmen sich verstärkt diesem Thema und beleuchten die Rolle der Frauen aus dieser Zeit.

Gemeinsam mit Marcela Santander und Katerina Andreou präsentierte Ana Rita Teodoro ihre Performance im kleinen Raum, der an die große Ausstellungsfläche im 3. Untergeschoss des mumok angrenzt. Wenige kleine Hocker sind bald besetzt. Teodoro und Santander sitzen stirnseitig am Boden und warten, bis der Raum gefüllt ist. Teodoro hat über ihre kurze Hose und ihr Shirt helle Strumpfhosenteile gezogen, Santander ebenso, nur sind diese viel dunkler. Sofort assoziiert man männliche und weibliche Zuordnungen. Langsam nehmen sie hintereinander Aufstellung. Teodoro verdeckt Santander aufgrund ihrer Größe, findet aber durch sie festen Halt. Ihre Vorwärtsschritte sind zaghaft, unbeholfen, ohne festen Stand. Ohne Santander könnte sie weder richtig stehen, noch sich fortbewegen. Bald hilft ihr Santander, sich zu setzen, abermals in der Anordnung Teodoro als Frontfrau, sie dahinter.

Was folgt, ist ein Monolog, in dem das Wort ANA die Hauptrolle spielt. Er erzählt von der Schwangerschaft, von ihrer Rolle als Mutter, als Frau und als Modell. Während Teodoro in kurzen Sätzen, manche davon lebhaft und laut intoniert, ein Bild von Ana Brus entwirft, wird sie von Santander beständig gehalten und gestreichelt. Insgesamt 8 Menschen aus dem Publikum erfahren zur gleichen Zeit ebenfalls einen zärtlichen Körperkontakt. Die hinter ihnen Sitzenden Mit-Performerinnen, berühren zart ein Ohrläppchen und beginnen dieses während der gesamten Performance permanent zu streicheln, daran zärtlich zu zupfen oder es anzustupsen. Anfänglich befremdlich, dann bald vertraut und angenehm, empfand ich es nach einer gewissen Zeit jedoch als lästige Intervention. Als Störfaktor, der mich nicht intensiv zuhören ließ, als Eingriff in meine Selbstbestimmung, die ganz subtil und perfide konterkariert wurde. Andere Personen mögen dies sicherlich anders empfunden haben. Die jeweiligen Reaktionen ergeben sich aus den persönlichen Assoziationen und Emotionen. Aber sie bewirken, dass ANA zu einer Person wird, die man mit all seinen Sinnen wahrnehmen kann. Während dieser Berührungsinterventionen spiegeln Marcela Santander und Ana Rita Teodoro beständig dieses Ritual in leicht abgewandelter Form. Während Teodoro auch an der Brust und an den Armen gestreichelt wird, während ihr Santander durch die Haare fährt, bleibt es bei den kleinen Ohr-Streicheleinheiten beim Publikum.

Teodoro beschreibt unterdessen ohne Unterlass Anas Rolle und fügt hinzu: Wenn ich in den 60ern geboren worden wäre, dann wäre ich Anas Freundin geworden. „Was ist das hier eigentlich? Eine Performance? Ich weiß es nicht.“, stellt sie ihre Aktion zur reflektorischen Disposition. Eine Woche Vorbereitung dafür war nicht lang, reichte aber für eine Aktion, die Geschichte mit Gefühl miteinander in Verbindung brachte. Und die vor allem eines tat: Die Rolle von Ana Brus einem Publikum vorzustellen, das, bis auf wenige Ausnahmen, wahrscheinlich bis dahin nichts von der Existenz der Künstlerin Ana Brus wusste.

ANA ist eine kurze, sanfte, aber umso intensivere Auseinandersetzung mit der Rolle von Ana Brus in der Zeit des Wiener Aktionismus. Sie steht darüber hinaus aber stellvertretend für all jene Frauen, die aktiv in die kreativen Arbeitsprozesse ihrer Männer eingebunden sind, ohne jedoch dafür in der öffentlichen Wahrnehmung aufzuscheinen. ANA ist eine Performance, die das Gefühl für die Körperlichkeit, das der wesentlichste Bestandteil des Aktionismus überhaupt war, subtil weitergibt, fühlbar macht und damit einen zusätzlichen Zugang zu dieser Zeit, den Menschen und ihren Arbeiten schafft. In dieser Vermittlung gleicht Teodoros Arbeit jener von „Charged documents“ unter Christine Gaigg, die auch Menschen aus dem Publikum in direkten körperlichen Kontakt miteinbezog.


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