Was sucht man üblicherweise an der Algarve? Sonne, Strand, Meer und frische Sardinen... Was findet man? Jede Menge außergewöhnliche Menschen. Nicht nur die liebenswerten Algarvios, die allen Widrigkeiten ihre zurückhaltende Lebensfreude zelebrieren. Sondern auch viele aus allen Teilen der Welt, die die Region aus den unterschiedlichsten Gründen zu ihrem neuen Lebensmittelpunkt erkoren haben. Will man sie finden, braucht es Neugier und den gelegentlichen Gang an die richtigen Orte, wie in das Kulturzentrum in Lagos, das immer wieder mit kleinen, feinen Kunstperlen überrascht. Zum Beispiel mit der wunderbaren Ausstellung „Diálogo Interdisciplinar Arte - Espaço - Arquitetura" des deutschen Künstlers Ernst Föll. Ausgerechnet - ein Beuys-Schüler an der Algarve! Im Beuys-Jahr 2021!
Der Mann für die Umwege
Beuys-Schüler Föll lebt seit 2017 im beschaulichen Fischerörtchen Olhao. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Nada, Künstlerin und Tanzlehrerin, bewohnt er im historischen Stadtkern eines dieser typischen weißen schmalen Häuser von Straße zu Straße, die man, scheint die Sonne heiß, aus alten italienischen Filmen zu kennen glaubt. Anna Magnani und so.
Hier erwartet den gespannten Besucher eine kleine, ausgesuchte Beuys-Ausstellung. Zum Jubiläum „100 Jahre Joseph Beuys" hat Föll Bilder, Plakate und vieles mehr aus seinem persönlichen Fundus zusammengestellt. Föll war von 1970 bis 1974 Meisterschüler von Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf. Seine Eltern waren eher handwerklich-kleinbürgerlicher Herkunft und hielten mit ihrer Ablehnung nicht hinterm Berg, als der damals 20jährige sein Studium begann. „Beuys, das ist doch der bekloppte Kunstprofessor mit dem Hut...". Die Düsseldorfer Jahre waren wohl seine prägendsten. Von Beuys lernte er hier unter anderem, den Menschen immer auf Augenhöhe zu begegnen, ohne Hierarchie im Kopf. Er lernte von Beuys auch, Fragen zu stellen und ausforschend und kritisch-philosophisch durch das Leben zu gehen.
„Diese Freiheit im Kopf sollte uns helfen, dem Lebenskampf besser gewappnet zu sein. Sein geistiges Vermächtnis - Schütze die Flamme - lebe ich bis heute", sagt Föll. Unbedingt lesenswert sind Ernst Fölls Kunstbriefe - Kunstbriefe (ernst-foell.com). Hier reflektiert er aktuelle Kunst und politische Ereignisse, vor allem aber gibt er Einblick in sein enges mentales Verhältnis zu Beuys. Der Rezipient lernt Beuys hier in vielen Episoden im einfühlsamen Umgang mit seinen Studenten und anderen, oft ausgegrenzten, Menschen kennen.
Nach seinem Studium arbeitete Ernst Föll 16 Jahre lang als Lehrer für Kunsterziehung. Später machte er sich als Architekt in Düsseldorf und Münster mit verschiedensten Bauvorhaben einen Namen. Auch hier war er stets offen für alles. Er entwarf eine Bauhausvilla, baute eine Shoppingmall um und restaurierte Gründerzeitvillen. Diese Interdisziplinarität zieht sich durch sein gesamtes künstlerisches Schaffen. „Mich interessieren Holzwege, Umwege, Abbiegungen. Gerade Wege sind nicht meins", sagt der Künstler Ernst Föll.
Denkmal für einen Dichter
Portugal hat es ernst Föll angetan. Dabei ist er eher durch Zufall hier gelandet, man kann es auch Schicksal nennen. Nada lernte er bereits in seinen Jahren als Lehrer kennen. Um die 30 waren beide damals, verloren sich danach Jahrzehnte aus den Augen. Vor 6 Jahren schrieb Föll ehemalige Weggefährten an. „Ich wollte wissen, was aus ihnen geworden ist". Nada lud ihn ein und er blieb. Und warum? „Wir lieben die Herzlichkeit der Menschen und die Ursprünglichkeit des Landes, die raue und ruppige Landschaft. Eben das nicht perfekte, geradlinige..."
Da passt auch seine Begeisterung für den auch hierzulande eher wenig bekannten portugiesischen Dichter und Mystiker Teixeira de Pascoaes (1877 bis 1952) hinein. „Für mich ist er einer der bedeutendsten Literaten der vergangenen 200 Jahre. Zu Unrecht ist er heute fast vergessen." Pascoaes Geburtsstadt Amarante darf sich in naher Zukunft auf ein Denkmal für den Dichter freuen, an dem Föll gerade arbeitet.
Also, liebe Algarve-Gäste und ‑Bewohner, verlassen Sie kurz die Sonnenstrände und ergreifen Sie die Gelegenheit, einen der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts ganz neu kennenzulernen. Fernab von akademischem Geschwafel, stattdessen in anregendem Gespräch mit einem Zeitzeugen und Künstlerkollegen aus Fleisch und Blut. Und wenn Sie Lust haben, weiht Sie Tanzlehrerin Nada noch ein wenig in die Geheimnisse des Tangos ein!
Kontakt: ernst_foell@yahoo.com, 00351 933 647 368, www.ernst-foell.com
Für Ausstellungsbesuch bitte telefonisch anmelden: 00351 965 755 769.
Joseph Heinrich Beuys (* 12. Mai 1921 in Krefeld; † 23. Januar 1986 in Düsseldorf) war ein deutscher Aktionskünstler, Bildhauer, Medailleur, Zeichner, Kunsttheoretiker und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Beuys setzte sich in seinem umfangreichen Werk mit Fragen des Humanismus, der Sozialphilosophie und Anthroposophie auseinander. Dies führte zu seiner spezifischen Definition eines „erweiterten Kunstbegriffs" und zur Konzeption der Sozialen Plastik als Gesamtkunstwerk, indem er Ende der 1970er Jahre ein kreatives Mitgestalten an der Gesellschaft und in der Politik forderte. Er gilt weltweit als einer der bedeutendsten Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts (Quelle: Wikipedia).