Wie kam es zum Mord wegen einer Verleumdnung auf Facebook? Kann man Cybermobbing wirksam begegnen?

Eine 15-Jährige in den Niederlanden hat üble Gerüchte und Verleumdnungen im sozialen Netzwerk Facebook verbreitet.  Das Opfer des Cybermobbings, die ehemalige 15-jährige Freundin, reagierte mit einem Mordauftrag.  Am Montag begann in Arnhein der Prozess. Die niederländische Gesellschaft ist fassungs- und ratlos. Wie konnte das geschehen? Wie kann so etwas zukünftig verhindert werden?

Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass ein 15-Jähriger den Auftragsmord gestanden hat. Auch zwei weiteren Jugendlichen wird der Prozess gemacht. Sie sollen dem mutmaßlichen Täter für den Mord 100 Euro gezahlt haben. Alles hatte mit einer Verleumdung auf Facebook begonnen: Dort soll das Opfer, ein 15 Jahre altes Mädchen, verbreitet haben, dass ihre Freundin mit mehreren Jungen sexuelle Kontakte habe. Diese reagierte extrem und wollte sich daraufhin rächen. Gemeinsam mit einem Freund hat sie den Mord geplant und dem Angeklagten Jinghua K. 100 Euro gezahlt, um das Mädchen zu töten. Der sogenannte Facebookmord im Januar erschüttert seitdem die niederländische Gesellschaft.

Erwartetes Strafmaß

Dem Angeklagten droht laut der niederländischen Zeitung “De Telegraaf” die Höchststrafe für jugendliche Straftäter von einem Jahr Gefängnis und Zwangstherapie. Am heutigen Dienstag müssen sich die mutmaßlichen Anstifter des Mordes vor Gericht verantworten. Der Vater des ermordeten Mädchens mahnte in den niederländischen Medien eindringlich vor Cybermobbing: “Die Gefahren durch Chatten und Online-Netzwerke werden unterschätzt”, sagte er; und fachte eine Diskussion um das Thema Mobbing im Internet zwischen Jugendlichen an.

Was ist Cybermobbing überhaupt?

Mit den aus dem Englischen kommenden Begriffen Cyber-Mobbing, auch Internet-Mobbing, Cyber-Bullying sowie Cyber-Stalking werden verschiedene Formen der Diffamierung, Belästigung, Bedrängung und Nötigung anderer Menschen oder Firmen mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel über das Internet, in Chatrooms,auf Blogs, beim Instant Messaging und/oder auch mittels Mobiltelefonen bezeichnet. Dazu gehört auch der Diebstahl von (virtuellen) Identitäten, um in fremden Namen Beleidigungen auszustoßen oder Geschäfte zu tätigen usw.

Wer?

Eine repräsentative Studie der Universität Münster zusammen mit der Techniker Krankenkasse kam 2011 zu dem Ergebnis, dass mittlerweile mehr als 36 % der Jugendlichen und jungen Erwachsenen als Opfer von Cybermobbing betroffen sind. 21 % der Befragten konnten sich vorstellen, auch als Täter im Internet aufzutreten. Je mehr das Internet zur alltäglichen Selbstverständlichkeit wird, desto wichtiger ist es für das soziale Leben. Die junge Generation, die erste, die mit der Internet Technologie  aufwachsen, hat keine Berührungsängste mehr und entwickelt ein ausgeprägtes Gespür von den sozialen und kommunikativen Möglichkeiten, die das web ihnen bietet. Das Internet wird als Teil der sozialen Realität wahrgenommen und begründet diese auch ein wesentliches Stück weit.

Warum?

Ja, es mag stimmen: Die Hemmschwelle, im Internet andere auszulachen oder zu verhöhnen, ist gering. In der Anonymität des World Wide Web muss ein Täter (werden Bullies genannt) nämlich seinem Opfer nicht in die Augen blicken – eine unmittelbare Rückmeldung für das eigene Verhalten bleibt (zunächst) aus und in der Folge auch das Bewusstsein und Empfinden für das mögliche Ausmaß und die Qualität der Verletzung der Betroffenen. Es ist so einfach, Unwahrheiten zu äußern oder Menschen zu diffamieren. Dieser Effekt wird auch als Online Disinhibition Effect (dt. Online-Enthemmungseffekt) bezeichnet: Es fällt Menschen, insbesondere aber Jugendlichen, schwerer, ihre Impulse zu zügeln, wenn eine direkte soziale Kontrolle wegfällt oder eben nicht spürbar ist. Und ein weiterer Aspekt ist wichtig. Oftmals finden Betroffene bisher keine adäquate Hilfe bei Eltern oder Lehrern, da diesen bislang die Problematik unbekannt ist und sie auch nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Die fehlende Medienkompetenz 2.0 der älteren Generationen schadet so noch zusätzlich und erschwert die Erfassung und Bearbeitung von Cybermobbing Fällen. Das Bewusstsein darüber entwickelt sich erst langsam, aber immerhin findet schon ein gesellschaftlicher Disput statt. Politiker, besonders die älteren und die konservativen, haben häufig eine unzureichende Internetkompetenz und fürchten sich auch vor dem Internet, weil es ihnen Macht entziehen kann oder in unangenehme Situationen bringt. Sie reagieren mit verboten, dem Aufbau von Überwachungs- und Kontrollmechanismen und der Verschärfung von Gesetzen, wobei sie völlig an der Realität des Internets vorbei schiessen.

Ursachenforschung hat gerade erst begonnen

Die Ursachenforschung hat jetzt erst so richtig begonnen. Man versucht aus der sozio-psychologischen Sichtweise Gründe für das Cybermobbing zu finden. Diese könnten sein:

  • Überwinden und Verdrängen der eigenen Angst: um nicht selbst zum Mobbingopfer zu werden, möchte man lieber zu einer aktiven, vermeintlich starken Gruppe gehören
  • Anerkennung und Selbstbewusstsein ernten: cool sein, das Bedürfnis, sich Geltung, Einfluss sowie Prestige zu verschaffen. Ausleben der eigenen egozentrischen Natur. Manchmal entwickelt sich auch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.
  • Ausfechten interkulturelle Konflikte: Unterschiedlichkeiten, Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher Nationalitäten, Sprachen, abweichendem Aussehen. Gruppenzugehörigkeit auf ethnischer Basis.
  • Langeweile: beispielsweise “aus Spaß” ein Foto von Jemandem negativ bewerten, Troll spielen. Trolle sind Internetprovokateuere, die andere reizen wollen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Trollen kann pathologische Ausmaße erreichen.
  • Machtdemonstration: das Bedürfnis, Stärke zu zeigen, andere zu unterwerfen und sich zu erhöhen.
  • eigene Minderwertigkeitskomplexe: zur eigenen und fremden Ablenkung von diesen
  • persönliche Krisen: das Zerbrechen einer Liebe, Freundschaft, Beziehung: Hass- oder Neidgefühle; oft wissen die Täter um intime Details

Die Liste lässt sich vermutlich noch erweitern.

Ohnmächtig der Situation gegenüber?

Wie damit ungehen? Eine schwierige Frage. Zunächst ist der Betroffene ohnmächtig: Mittels Argumenten hat man gegen eine anonyme Gruppe keine Chancen. Mangelndes Selbstbewusstsein verschärft dabei die Situation. Als Außenseiter kann man wie im wirklichen Leben auch hier von der Internetcommunity nur schwerlich bzw. keinen Beistand erwarten. Steht erst einmal ein entwürdigendes Video im Netz, oder diffamierende Behauptungen, können es schnell Hunderte oder Tausende sehen und allzu schnell und einfach lässt sich ein bereits erfolgtes soziales Stigma nicht wieder entfernen. Hinzu kommt die Ungewissheit der Urheberschaft.

Was tun als Eltern?

Eltern müssen mit den Betroffenen intensiv die Situation erörtern und auf alle Fälle im entsprechenden Fall die Schule informieren. Dazu brauchen sie dringend die bereits erwähnte Internetkompetenz. Sie sollten sich die Foren und seiten, die ihre Kinder besuchen auch mal zeigen lassen. Vielleicht bietet auch ein Internetkurs eine gute Grundlage zum Aubau des Verständnises darüber, wie Internet funktioniert. Erwachsene können bei Cyber-Mobbing gegen Kinder und Jugendliche auch direkt eingreifen, indem sie möglichst schnell die Polizei informieren: diese kann die Täter unter Umständen identifizieren und eine Strafverfolgung einleiten. Das ist allerdings dadurch erschwert, dass entsprechende Server oft im Ausland angemeldet sind und sich damit einer eventuellen Strafverfolgung entziehen bzw. nicht deutschem Recht unterliegen.

Jedenfalls ist das offene Gespräch mit Vertrauenspersonen und die aktive Anzeige bei der Polizei wichtig. Der Schutz der Täter durch die Anonymität hat ihre Grenzen. Mobber können aufgespürt werden.

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Quellen und weiterführende links

  1. Großbritannien macht gegen Cyber-Mobbing mobil. In: pressetext.de, pressetext.austria, 26. Juli 2006
  2. Cybermobbing – ein gesellschaftliches Problem, revolvermaenner.com, 25. Juli 2011
  3. zdf.de, Mediathek
  4. heise.de, 14. Februar 2007: Medienwissenschaftler: Kein neues Gesetz für Gewaltspiele nötig
  5. spiegel.de, 20. November 2006: Video-Vermächtnis mit Waffe, Mantel, Kampfstiefeln
  6. Südkorea: Gesetze gegen Cyber-Mobbing, testticker.de, 28. Juni 2007
  7. swr3.de, 4. Mai 2011, Evi Seibert: Wer mobbt, fliegt raus (4. Mai 2011)
  8. heise vom 4. Juli 2009: Straffreiheit für Cyber-Bullying
  9. ARD Nachrichten

so long

es grüsst euch René B. – humanicum


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