Wie Je Milarepa Befreiung erlangte…

Wie Je Milarepa Befreiung erlangte…

Um das Entwickeln von Bodhicitta zu verstehen, lasst uns ein Beispiel von Jetsün Milarepa betrachten. Milarepa wurde von seinem Lehrer Marpa angewiesen, ein Kloster mit neun Stockwerken zu bauen und egal welche Härten Milarepa zu dieser Zeit auch aushalten musste, blieb er am Bauen dran. Aber nach und nach ließ Marpa alles abreißen, was Milarepa errichtet hatte. Milarepa wollte schon das neunte Stockwerk bauen, als Marpa heraus kam und ihn aufforderte, alles abzureißen. Ein anderes Mal forderte Marpa ihn auf, ein kreisrundes Gebäude zu errichten und als er fertig war, sah Marpa danach und sagte: „Reiß es ab.“ Ein weiteres Mal ließ Marpa ihn ein dreieckiges Gebäude bauen, was er tat und als er fertig war, kam Marpa wieder herbei und sagte: „Reiß es nieder.“ Ihr seht, Milarepa hatte sehr starkes, äußerst intensives negatives Karma durch das Töten anderer mittels schwarzer Magie angesammelt und Marpa, der dies wusste, bot Mila einfach eine Möglichkeit, diese Intensität des Karmas zu bereinigen, sodass dieser in einem Leben Befreiung erlangte.
Eines Tages versuchte Marpas Sohn aus Erbarmen und Mitgefühl Milarepa zu helfen, indem er einen Stein zur Mauer hinzufügte, die gebaut wurde. Als Marpa später zwecks Umkreisungen am Abend herauskam, ging er geradewegs auf den Stein zu und sagte: „Wer hat den hierhin gelegt? Das möchte ich sofort wissen!“ „Es war Euer Sohn,“ sagte Milarepa und Marpa schalt ihn wie wild. „Ich habe dir befohlen, dieses Gebäude zu bauen! Ich will nicht, dass du meinen Sohn als deinen Diener benutzt! Reiß alles nieder!“ So reiß Milarepa alles nieder. Ein anderes Mal kam manchmal jemand von der örtlichen Sangha, die Belehrungen erhielt, die Milarepa nicht erhalten durfte, und versuchte ihm zu helfen, indem er ein oder zwei Steine herantrug. Aber Marpa bemerkte dies jedesmal und das ganze Gebäude musste wieder abgerissen werden. Zu dieser Zeit ging es Milarepa so erbärmlich, dass er wie ein Skelett herumging. Man konnte seine Organe sehen, seine Haut hing nur mehr an seinen Knochen. Er hatte ein Werkzeug mit einem Haken an jedem Ende und dies war sein einziges Werkzeug, und es war wirklich eine Tortur für ihn, dieses neunstöckige Gebäude allein durch ihn nur mit diesem einen Werkzeug zu errichten.
Eines Tages gab Milarepa daher auf und beschloss fortzugehen. „Es ist zwecklos,“ dachte er, „ich kann keine Belehrungen erhalten. Ich bin ihrer nicht wert. Ich gehe fort.“ Und er ging weg, ohne sich zu verabschieden. Er ging in ein anderes Land, wo er unbekannt war. Da er aussah wie ein Asket, lud eine Familie ihn ein zu bleiben und bat darum, er möge so gütig sein, eine der längeren Versionen der Prajnaparamita Sutra für sie zu lesen. Dies ist ein Brauch bei tibetischen Familien, die Gebildeten und die Asketen einzuladen und sie zu ersuchen, zum Segen der Familie etwas zu lesen. Während Mila für Nahrung und Unterkunft las, gelangte er zu Geschichten über die früheren Leben des Buddha als Bodhisattva und er war erstaunt, von den Härten zu hören, deren sich der Buddha bei seinen Übungen unterwarf. Niemals zögerte der Buddha auch nur für einen Moment. Worum immer er auch gebeten wurde, er führte es unverzüglich aus. Als er dies las, wunderte sich Milarepa mehr und mehr. Schließlich kam er zu einer Geschichte über den Buddha als schönes junges Mädchen. Dieses Mädchen war ein hoch entwickelter Bodhisattva. Obwohl ihre Eltern dies nicht wussten, fühlte sie insgeheim, dass sie ihr so viel in all diesen Jahren gegeben hatten – Essen und Getränke, Besitz, Schmuck – sodass sie niemals diese Güte zurückzahlen würde können oder die Güte der anderen, und dass sie sich anstrengen sollte, all ihren Besitz aufzugeben, all ihren Reichtum, weil dieser eigentlich ihren Eltern gehöre, da sie diesen von ihnen bekommen hatte. Daher war dies nichts, was sie selbst verdient hatte oder sie dessen wert wäre.
Das einzige, was ihr wirklich gehörte und dessen sie wirklich wert war, war ihr eigener Körper. Daher beschloss sie, diesen zu geben. Im Götterbereich waren zu dieser Zeit drei hellsichtige Brahmanen, die den Geist des jungen Mädchens lesen konnten. Sie beschlossen, sie zu testen, ob sie ein wirklicher Bodhisattva wäre, und so manifestierten sie sich als Körper-, Rede- und Geist-Emanationen. Sie waren wie eine Vision für sie und kamen gerade herbei, als sie betete, dass sie fähig sein möge, allen Opferungen darzubringen. Die drei Brahmanen kamen zu ihr und baten sie um Almosen. Sie sagte: „Obwohl ich Gold und Silber habe, gehört es nicht wirklich mir und ich kann es nicht rechtmäßig weggeben.“ „Keine Sorge,“ antworteten die Brahmanen, „alles, was wir wollen, ist dein Körper.“
Das Mädchen war erfreut. Sie ging zu ihren Eltern und dankte ihnen für all die Güte, die sie ihr gezeigt hatten. „Heute habe ich eine Gelegenheit, wirklich etwas zu geben, das mir gehört und ich habe mich entschlossen, dies zu tun,“ sagte sie und sie erzählte ihnen, was sie vor hatte. Ihre Mutter sagte: „Nein, nein, mach das bitte nicht!“ Aber das Mädchen hielt daran fest. Also ging  ihre Familie mit ihr und sah ihr zu, wie sie sich Stück für Stück das Fleisch von den Gliedern schnitt und es den drei Brahmanen-Göttern gab. Nachdem sie ihnen all die guten Teile ihres Fleischs gegeben hatte, an denen sie sich genüsslich erfreuten, machte sie sich daran, ihre Knochen zu brechen, damit sie diese verzehren konnten. Sofort hörten sie auf und sagten: „Nein, nein, das brauchst du nicht machen. Hör jetzt auf.“ Sie versetzten sich in Gleichmut, schnippten gleichzeitig mit den Fingern und sie wurde noch schöner als vorher wiederbelebt. Ihre 500 Diener wurden sofort zu 500 Kutschen, und sie und alle anderen gingen in einer großen Prozession geradewegs in den Buddhabereich ein, wo sie sofort erleuchtet wurde.
Als Milarepa diese Geschichte beendet hatte, dämmerte es ihm, dass er nicht genug getan hatte. Er erkannte, dass es ihm an der Entwicklung von echtem Bodhicitta mangelte, jener vollständigen Gabe durch ihn selbst. Da ging er zurück zu Marpa und begann wieder mit der Bautätigkeit. Von nun an war es anders. Wann immer er einen Stein hinzufügte, war eine ganze Wand damit errichtet, und was immer er am Tag errichtete, verdreifachten die Götter und Geister in der Nacht. In neun Tagen war das Gebäude fertig und Milarepa hatte all den Verdienst angesammelt, der notwendig war und all das negative Karma, das bereinigt werden musste, gereinigt. Und so wurde er durch dieses sofortige Entwickeln von Bodhicitta befreit.
Danach fragte Marpa zum ersten Mal, welchen Namen Milarepa habe. Bis dahin hatte er ihn immer nur „Schwarzmagier-Bürschchen“ gerufen. Als Milarepa ihm seinen Namen sagte, stand Marpa Lotsawa auf und verneigte sich vor ihm, weil Milarepa in einem früheren Leben Marpas Wurzel-Guru gewesen war. Obwohl beide hoch verwirklichte Wesen waren, mussten sie sich noch immer vielen Härten zum Nutzen des Dharma unterziehen und um andere zu führen und zu befreien.
Daher braucht ihr euch über diese Art von Schwierigkeiten wundern, die ihr möglicherweise entlang des Pfades vorfindet und die einzige starke und feste geistige Überzeugung, die ihr immer dabei aufrecht halten sollt, ist das dies die einzige Richtung ist, die zu Glück führt: die wahre Praxis des Dharma. Wenn alle Buddhas und Bodhisattvas, die schon erleuchtet sind, sich noch immer Schwierigkeiten und Härten unterziehen, dann müsst ihr, die ihr noch viel mehr in der Verwirrung seid, euch noch mehr verbeugen und den Dharma praktizieren. Dies ist die einzige Methode, die funktionieren wird und sie sollte Vorrang in eurem Leben haben.

Diese Belehrung über Bodhicitta stammt vom Ngakpa Yeshe Dorje. Möge sie für die Wesen von Nutzen sein! Sarva Mangalam!


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