Wie ich einen Tag trotz großer Angst meisterte

Ich kann mich noch gut an diesen Tag erinnern. Ein sonniger Tag im Frühjahr vor etwa fünf Jahren. Neben meinem Studium arbeitete ich in der Zweigstelle eines Familienunternehmens mit etwa 150 Mitarbeitern. Es war eine kleine Niederlassung mit 7 Mitarbeitern.

Für diesen Tag war eine Mitarbeiterversammlung in der Zentrale angesetzt, in der ich zuvor noch nie gewesen bin, etwa 30 km von meinem Wohnort entfernt. Ich wollte dort nicht hin. Die meisten Menschen kannte ich nicht, ich kannte die Räumlichkeiten nicht, wusste nicht, was mich dort erwartet. Zudem hasste ich die Strecke, die dort hinführte.

Diese verdammten Panikattacken beim Autofahren

Ich hatte Angst vorm Autofahren und diese Strecke war für mich schlimmer als jede Autobahn. Kilometerlange Landstraßen ohne Seitenstreifen. “Was, wenn ich anhalten muss, wenn ich wieder Panikattacken habe, mir schwindlig wird und ich hyperventiliere? Wie kann man nur eine Landstraße ohne Seitenstreifen oder Parkbuchten bauen?!”

Diese Gedanken führten immer wieder dazu, dass ich wahnsinnig angespannt war und mich manchmal auch eine heftige Panikattacke ereilte. Panikattacken beim Autofahren sind anders als in den meisten Situationen nicht nur unangenehm. So etwas kann tatsächlich gefährlich werden, was die Angst vorm Autofahren zusätzlich verstärkte.

Der Neue in einem Raum ohne Fluchtmöglichkeit

In Situationen, aus denen ich nicht so einfach flüchten konnte, war die Angst besonders schlimm, beim Frisör, beim Zahnarzt oder Flugzeug beispielsweise. Und auch aus so einem Meeting kann man nicht so einfach heraus, ohne das dies auffallen würde.

“Was also, wenn die Angst übermächtig wird und ich es nicht länger dort aushalte? Was, wenn ich vor lauter Angst umkippe?” Dieses Denken ist ganz typisch für die Agoraphobie. Bei der Agoraphobie treten Panikattacken vor allem dann auf, wenn der Betroffene nicht ohne Weiteres aus dieser Situation flüchten kann.

Ich, als der Neue in einem Raum ohne Fluchtmöglichkeit. Die Angst vorm Autofahren auf dem Weg dorthin und diese Versammlung, für Millionen von Menschen keine Hürde, sondern normaler Alltag, für mich war das damals der wahrgewordene Albtraum.

Wie kam ich da nur wieder heraus?

Ich war bereits Tage zuvor nervös und überlegte mir, wie ich aus dieser Nummer wieder herauskam. Ich konnte mich krank melden oder sagen, mein Auto spränge nicht an. Ich malte mir verschiedene Szenarien aus und doch war mir eines im Grunde immer klar: Auch dieser Situation werde ich mich stellen.

Ich habe nur selten etwas vermieden, da ich wusste, dass sich mein Bewegungsradius sonst immer weiter verkleinern wird und ich wohlmöglich irgendwann gar nicht mehr aus dem Haus gehe. Und so war es auch an diesem Tag.

Wunsch und Realität

Ich bin dort ganz entspannt hingefahren und auch die Mitarbeiterversammlung war für mich kein Problem. Das hätte ich mir damals gewünscht, aber so war es nicht, so war es eigentlich nie.

Ich saß angespannt im Auto, immer wieder blickte ich sorgenvoll auf den nicht vorhandenen Standstreifen, ich fühlte mich vom Fahrzeug hinter mir bedroht, ich bekam Schweißausbrüche, mir war schwummrig und ich hatte Atembeschwerden. Aber irgendwie kam ich schließlich an.

Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude fand ich keinen Parkplatz, fuhr zurück und baute fast einen Unfall mit einem mir bis dahin unbekannten Kollegen. Ich spazierte eine Minute vor Beginn der Versammlung in das Gebäude, fand den entsprechenden Raum und setzte mich auf einen Stuhl.

Und schon ging es los: Die Geschäftsführerin begann zusammen mit dem zuständigen Steuerberater mit ihrer Präsentation über anstehende Umstrukturierungen, der ich kaum folgen konnte. Zu sehr war ich mit mir und meinen Symptomen der Panikattacken beschäftigt. Es fiel mir verdammt schwer, ruhig auf meinem Stuhl sitzen zu bleiben.

Immer wieder schweifte mein Blick zur Tür, vor der sich der Chef der IT-Abteilung wie ein Türsteher aufgebaut hat. Seine haltung gab mir nur eines zu verstehen: DU KOMMST HIER NICHT RAUS!

Die Erlösung

Ich stand das Ganze irgendwie durch. Anschließend begrüßte ich die Geschäftsführerin mit Handschlag und stellte mich vor, hielt noch ein wenig Smalltalk mit dem zuständigen Steuerberater, der ebenfalls anwesend war und verließ das Gebäude.

Mal wieder hatte niemand außer mir etwas bemerkt. Die Rückfahrt verlief deutlich entspannter. Zu Haus angekommen war ich erschöpft, aber glücklich, mich meinen Dämonen erneut gestellt zu haben. Einmal mehr machte ich die Erfahrung, dass Angstzustände und Panikattacken mich nicht umbrachten. Auch wenn ich meine Angststörung verfluchte, war ich ein wenig stolz, dass ich den Mut aufbrachte.

Man macht sich oftmals schon vorher verrückt, wenn solche Dinge anstehen und doch ist man in der Lage das durchzustehen. Manchmal ist es längst nicht so schlimm, wie man sich das ausmalt, manchmal kommt es genau so. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, es wäre leicht, sich seinen Ängsten zu stellen. Das ist es nicht, es ist sogar verdammt hart.

Dabei ist es sehr viel schlimmer, sich eingestehen zu müssen, es nicht versucht zu haben. Die Angst ist nichts gegen den Selbstvorwurf, den Kampf gegen die Angst verloren zu haben oder was meinst Du?


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